Gastbeitrag

Bevor es ein Grundsatzurteil gibt, zahlen Versicherungen lieber leise

Wenn Patienten und Ärzte bei Prozessen mit einem positiven Grundsatzurteil rechnen können, lenken private Krankenversicherer oftmals vorher ein. Eine BGH-Richterin hat nun über diese Praxis im Fall der Lasik-Op berichtet.

Von Emil Brodski Veröffentlicht:
Billigere Sehhilfen statt Lasik-Op? Für Privatpatienten könnte es in dieser Frage bald großzügigere Regelungen geben.

Billigere Sehhilfen statt Lasik-Op? Für Privatpatienten könnte es in dieser Frage bald großzügigere Regelungen geben.

© Judex / fotolia.com

Wer aus seinem Praxisbriefkasten den Brief einer privaten Krankenversicherung (PKV) fischt, der ahnt es schon: Entweder wird die medizinische Notwendigkeit einer durchgeführten Therapie in Frage gestellt oder der Ansatz bestimmter GOÄ-Nummern.

Gerne berufen sich die PKV-Versicherer in ihren oftmals seitenlangen Schreiben auf Gerichtsurteile, die angeblich ihre Auffassung stützten - und verunsichern damit Arzt und Patienten gleichermaßen. Wer dagegen die Strategie der PKV durchschaut, kann seinen Standpunkt selbstbewusst verteidigen.

Einen ungewöhnlich tiefen Einblick in die strategische Vorgehensweise der PKV hat vor Kurzem die BGH-Richterin Dr. Sibylle Kessal-Wulf in einem Übersichtsbeitrag zur Rechtsprechung des zuständigen IV. BGH-Senats zum Krankenversicherungsrecht gegeben.

Normalerweise äußern sich BGH-Richter allenfalls in streng wissenschaftlicher Form zu tatsächlich ergangenen und veröffentlichten Urteilen und Beschlüssen ihres Gerichts.

In ihrem Aufsatz hat sich die Richterin zu Verfahren geäußert, die von den an den Prozessen beteiligten privaten Krankenversicherungen vorzeitig beendet wurden, weil sie ein Grundsatzurteil des BGH fürchteten.

Den Mantel des Schweigens, den die Versicherer über ihre Vorgehensweise und die rechtliche Sichtweise des BGH legen wollten, hat die Richterin nun gelüftet.

Konkret legte die Richterin in ihrem Aufsatz für die juristische Fachzeitschrift "recht+schaden" (2010, 9, 353) offen, dass in der Vergangenheit im Zusammenhang mit Lasik-Operationen (Laser in situ Keratomileusis) PKV-Unternehmen, sei es durch Rücknahme ihrer eigenen Revisionen, sei es durch Zahlung der Op-Kosten an den beim BGH klagenden Patienten, in letzter Sekunde den Prozessen ihre Grundlage entzogen haben.

Ein solches Vorgehen ist nicht verboten, nur erfährt außer den Prozessbeteiligten kaum jemand davon. In Sachen Lasik-OP ist diese Strategie nun nicht aufgegangen.

In Deutschland kann eine Lasik-Operation für beide Augen zwischen 2500 Euro und 5000 Euro kosten. Viele Versicherer bestreiten die medizinische Notwendigkeit dieser Operationen und verweisen ihre Versicherungsnehmer auf das Tragen von billigeren Sehhilfen.

Das Thema Lasik-OP ist daher seit Jahren oft Gegenstand von Prozessen zwischen Patienten und ihren Krankenversicherungen. Vor den Gerichten hatten PKV-Unternehmen mit ihrer Argumentationslinie zum Teil Erfolg (Landgericht München I), zum Teil sind sie damit gescheitert (Landgericht Dortmund).

Aus dem Aufsatz von Kessal-Wulf wird jedoch deutlich, dass der BGH, hätte er die an ihn herangetragenen Lasik-Prozesse entscheiden können, den von der PKV praktizierten und von einigen Untergerichten akzeptierten Verweis der Patienten auf Sehhilfen als rechtlich nicht haltbar eingestuft hätte.

Denn: Der Patient hat einen Anspruch auf eine Heilungschance. Die Sehhilfe jedoch heilt die Krankheit nicht, vielmehr wird mit ihr eine Ersatzfunktion für das kranke Organ wahrgenommen, ohne dass dadurch an dem Körperzustand etwas geändert würde .

Mit einem aufsehenerregenden BGH-Urteil wäre der Damm für viele betroffene Patienten gebrochen. Um dies zu verhindern, hat die PKV immer wieder die Notbremse gezogen und, jeweils, nachdem der BGH den Prozessparteien einen ersten Hinweis zu seinem rechtlichen Standpunkt erteilt hat, den Prozessen ihre Grundlage entzogen.

Für Ärzte und Patienten bedeutet das: Hinweise der PKV auf Urteile, die angeblich den Standpunkt der Versicherung bestätigen sollen, sind zu hinterfragen. Nur weil ein Gericht irgendwann einen ähnlichen Fall zugunsten der Assekuranz entschieden hat, heißt dies noch lange nicht, dass jede Gegenwehr einzustellen ist.

Und die Lasik-Patienten? Gegenüber diesen verhalten sich die PKV-Unternehmen weiter so, als ob der BGH nicht schon mehrfach zum Ausdruck gebracht hätte, dass er den Standpunkt der Assekuranz für rechtlich nicht haltbar halte.

Patienten und Ärzte sollten nun die durch den Aufsatz überraschenderweise bekannt gewordene rechtliche Bewertung des BGH für sich nutzen.

Zur Person: Emil Brodski ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in München

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Porträt

Felix Michl: Unternehmer, Jurist und Medizinstudent

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Porträt

Felix Michl: Unternehmer, Jurist und Medizinstudent

Lesetipps
Arzt injiziert einem älteren männlichen Patienten in der Klinik eine Influenza-Impfung.

© InsideCreativeHouse / stock.adobe.com

Verbesserter Herzschutz

Influenza-Impfraten erhöhen: So geht’s!