Gastbeitrag

Praxisverlegung - künftig ein Spießrutenlauf?

Tritt das Versorgungsstrukturgesetz 2012 in Kraft, könnte es Umzugspläne von Vertragsärzten - auch in Richtung Kooperation - deutlich einschränken. Nicht nur, weil der Zulassungsausschuss nahezu freie Entscheidungsgewalt erhält.

Von Ingo Pflugmacher Veröffentlicht:
Klagt eine KV oder Kasse gegen die Sitzverlegung, stockt der Praxisumzug gleich mehrere Jahre.

Klagt eine KV oder Kasse gegen die Sitzverlegung, stockt der Praxisumzug gleich mehrere Jahre.

© M&S Fotodesign / fotolia.com

Eine ganz unscheinbare Regelung im GKV-Versorgungsstrukturgesetz könnte dazu führen, dass Praxisverlegungen in Zukunft nur noch eingeschränkt möglich oder für den Arzt mit der Unsicherheit eines jahrelangen Rechtsstreits verbunden sind.

Gerade in Großstädten und großflächigen Landkreisen wird die Gesetzesänderung erhebliche Bedeutung erlangen. Ärzte, die kurz- oder mittelfristig einen Umzug planen, sollten dies bereits jetzt berücksichtigen.

Derzeit regelt Paragraf 24 Abs. 7 der Zulassungsverordnung für Ärzte Folgendes: "Der Zulassungsausschuss hat den Antrag eines Vertragsarztes auf Verlegung seines Vertragsarztsitzes zu genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen."

Zwei Worte ersetzt

Nach dem Referentenentwurf zum Versorgungsstrukturgesetz werden in dieser Regelung nun das Wort "hat" durch das Wort "darf" und das Wort "zu" durch das Wort "nur" ersetzt.

Nach der Gesetzesbegründung handelt es sich hierbei nur um eine "Klarstellung". Man könnte meinen, dass die klarstellende Änderung von zwei Worten nicht zu weit reichenden Änderungen führen könne.

Diese Annahme wäre aber voreilig. Denn nach der Änderung lautet die Regelung wie folgt: "Der Zulassungsausschuss darf den Antrag eines Vertragsarztes auf Verlegung seines Vertragsarztsitzes nur genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen."

Bislang Anspruch auf Verlegung

Bisher hatte der Arzt einen Anspruch auf Verlegung, wenn nicht ausnahmsweise Versorgungsgründe entgegenstehen. Die Neufassung dürfte demgegenüber dahingehend auszulegen sein, dass die Genehmigung im Ermessen des Zulassungsausschusses liegt und dieser positiv feststellen muss, dass unter Versorgungsgesichtspunkten die Verlegung nicht nachteilig ist.

Um die Bedeutung in Gänze einzuschätzen, muss man sich noch zwei Aspekte vergegenwärtigen: Die Krankenkassen vertreten bekanntlich die Auffassung, in Deutschland herrsche kein Mangel an Vertragsärzten, die Praxisstandorte seien nur schlecht verteilt.

Zweitens ist zu beachten, dass die Kassen oder die KV gegen die Genehmigung eines Verlegungsantrages Widerspruch einlegen können und dieser Widerspruch aufschiebende Wirkung hat, der Arzt also seine Praxis bis zum Abschluss des Verfahrens nicht verlegen darf.

Kassen und KVen können Widerspruch einlegen

Wenn ein Arzt zukünftig seine Praxis zum Beispiel von Berlin-Marzahn nach Charlottenburg oder in einem großflächigen Landkreis vom Dorf in die Kreisstadt verlegen möchte, so muss der Zulassungsausschuss ermitteln und begründen, dass diesen Planungen keine Gründe der vertragsärztlichen Versorgung entgegenstehen.

Entscheidet er entsprechend dem Antrag des Arztes, ist eine Krankenkasse oder die KV hiermit aber nicht einverstanden, so kann sie Widerspruch und gegebenenfalls sogar Klage erheben und gerichtlich prüfen lassen, ob die Entscheidung der Zulassungsgremien richtig war - insbesondere ob die versorgungsrelevanten Gesichtspunkte zutreffend ermittelt wurden.

Solche Fragen der Bedarfsermittlung sind im Zusammenhang mit Ermächtigungen und Sonderbedarfszulassungen bekannt. Nach der Rechtsprechung bestehen extrem hohe Anforderungen an Umfang und Qualität der Bedarfsermittlung und an die Bewertung der relevanten Versorgungssituation.

Immer wieder wurden in der Vergangenheit solche Entscheidungen von Gerichten wegen Ermittlungsdefiziten aufgehoben. Die Verfahren ziehen sich dann über Jahre, da nach dem "Gang durch die Instanzen" die Berufungsausschüsse neu entscheiden müssen.

Oft kann der Arzt nicht Jahre warten

Der Arzt, der seine Praxis verlegen möchte, kann aber in der Regel nicht Jahre warten. Er hat häufig neue Räume bereits angemietet oder jedenfalls Mietoptionen vereinbart, oft hat er auch die bisherigen Praxisräume bereits gekündigt oder muss bei einem längeren Verbleib in den alten Räumen in diese investieren.

Wenn man also eine Verlegung verhindern möchte, so wird dies häufig bereits mit der Einlegung von Widerspruch und Klage gelingen, da der Arzt wegen der Verzögerung seine konkreten Pläne aufgeben muss.

Schließlich ist es bei Nachfolgezulassungen bisher nicht unüblich, dass der Praxiskäufer nach einigen Monaten den Standort wechselt, etwa um mit Kollegen zukünftig an einem neuen Ort in Berufsausübungsgemeinschaft tätig zu sein. In der Regel waren solche Konzepte zur Gründung oder Erweiterung von Gemeinschaftspraxen bisher planbar.

Wegen der Gesetzesänderung gilt dies künftig nur noch eingeschränkt. Die Änderung hat so auch für Praxisverkäufer und Käufer große Auswirkungen.

Neue Regelung betrifft auch Praxisnachfolger

1847 hat ein Staatsanwalt im Rahmen seines Vortrages über die "Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft" ein geflügeltes Wort geprägt: "Drei berichtigende Worte des Gesetzgebers und ganze Bibliotheken werden zur Makulatur." In Bezug auf die Verlegung des Vertragsarztsitzes gelingt dies dem Versorgungsstrukturgesetz mit nur zwei Worten.

Die Gesetzesänderung soll am 01.01.2012 in Kraft treten. Es gewinnt deshalb ein jüngeres geflügeltes Wort an Bedeutung: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizinrecht und Partner der Anwaltskanzlei Busse & Miessen in Bonn.

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