Gastbeitrag
Kinderschutz: Wann Ärzte reden dürfen
Ärzte sind seit Anfang des Jahres rechtlich dazu verpflichtet, notfalls pseudonymisiert, Anhaltspunkte für ein gefährdetes Kindeswohl anzuzeigen. Das steht im Bundeskinderschutzgesetz. In der Praxis kann das durchaus zu einer Gratwanderung werden.
Veröffentlicht:Seit dem 1. Januar hat sich die Rechtslage für Ärzte beim Verdacht auf Misshandlung von Kindern oder Jugendlichen entscheidend geändert. Grund ist das Bundeskinderschutzgesetz, zu dem auch das Gesetz zur Kooperation und Informa tion im Kinderschutz gehört.
Mit dem Gesetz wird zum einen die ärztliche Schweigepflicht gelockert, zum anderen ergeben sich neue Maßstäbe, wann Ärzte beim "Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung", die Eltern, Beratungsstellen oder das Jugendamt zu informieren haben.
Ist das Kindeswohl gefährdet, darf die Schweigepflicht aufgehoben werden
In dem Gesetz wird die ärztliche Schweigepflicht partiell aufgehoben, wenn der Schutz des Kindes dies erfordert. Ergeben sich für Ärzte bei der Behandlung von Kindern oder Jugendlichen Anhaltspunkte dafür, dass das Wohl ihres Patienten gefährdet sein könnte, dann sollen sie mit ihm und den sogenannten Personensorge berechtigten, also meist den Eltern, die Situation besprechen.
Soweit erforderlich, sollen sie bei diesen darauf hinwirken, Hilfen in Anspruch zu nehmen - wenn dadurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird.
Aufgrund dieser Regelungen können Ärzte also mit den Eltern Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung sowohl durch einen Elternteil als auch durch Dritte erörtern, ohne gegen die Schweigepflicht zu verstoßen. Voraussetzung sind "gewichtige Anhaltspunkte" für die Gefährdung des Kindeswohls.
Das ist im Gesetz so unbestimmt ausgedrückt, dass es einen erheblichen Einschätzungsspielraum eröffnet. Es sind nur die Grenzen grob konturiert.
So müssen nur Anhaltspunkte vorliegen, ein Arzt muss also nicht die konkrete Kenntnis von Misshandlungen oder Ähnlichem haben, es muss noch nicht einmal ein dringender Verdacht vorliegen. Die Anhaltspunkte müssen allerdings gewichtig sein.
Ärzte haben zur Einschätzung der Lage einen Beratungsanspruch
Dies bedeutet aber nicht, dass Hinweise auf schwere Kindeswohlgefährdungen vorliegen müssen, da das Gesetz jegliche Gefährdung verhindern will. Die Anhaltspunkte sollten aber bereits in einer Weise valide und konkret sein, dass eine Kindeswohlgefährdung nicht als ganz fernliegend erscheint.
Da diese Einschätzung im Einzelfall sehr schwierig sein kann und der Gesetzgeber dies erkannt hat, haben Ärzte einen Beratungsanspruch.
Sie können zur Einschätzung der Lage, also der möglichen Gefährdung des Kindes, beim Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Beratung durch eine erfahrene Fachkraft verlangen. Dies schreibt das Gesetz ausdrücklich vor.
Die Kindesdaten sind hierbei zu pseudonymisieren. Ärzte sollten darauf achten, dass ein konkreter Personenbezug tatsächlich nicht mehr besteht. Es sollte also nicht nur der Nachname des Kindes auf den Anfangsbuchstaben verkürzt werden.
Besser ist es, den Namen vollständig zu ersetzen und gegebenenfalls auch ein Pseudonym für Schule oder Stadtteil aufzunehmen, wenn dies eine realistische Einschätzung der Gefährdungslage nicht erschwert.
Unterlassen: Arzt kann wegen fahrlässiger Körperverletzung belangt werden
Ärzte sind also verpflichtet, bei gewichtigen Anhaltspunkten mit dem Kind und den Sorgeberechtigten die Situation zu erörtern - außer, wenn gerade dadurch das Kind möglicherweise gefährdet werden könnte. Auch zu diesem Aspekt kann die Beratung durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe in Anspruch genommen werden. Ärzte sollten dieses Recht auch wahrnehmen.
Denn wenn es am Ende tatsächlich zu einer Kindesmisshandlung kommt, dann könnte beim Verstoß gegen die Pflicht zur Information der Sorgeberechtigten die Frage aufkommen, ob die Kindesmisshandlung bei pflichtgemäßem Verhalten hätte verhindert werden können. Würde dies bejaht, so könnte der Arzt eventuell wegen fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassen belangt werden.
Schließlich regelt das Gesetz in einem dritten Schritt das Recht der Ärzte, das Jugendamt mit Namensnennung des Kindes zu informieren. Wenn nämlich die Gefahr fürs Kind durch die Erörterung der Situation mit Kind und Sorgeberechtigten nicht abgewendet werden kann oder erfolglos blieb und der Arzt es für erforderlich hält, dass das Jugendamt tätig wird, darf er das Amt informieren.
Der Gesetzgeber hat dieses Informationsrecht allerdings mit einem für Ärzte schwierigen Vorbehalt verbunden. Die Betroffenen, also Kind und Sorgeberechtigte, sind vorab darauf hinzuweisen, dass die Befugnis besteht, das Jugendamt zu informieren.
Hinweispflicht nur dann, wenn Mitteilung für Kind nicht nachteilig
Diese Hinweispflicht entfällt nur dann, wenn durch den Hinweis der wirksame Schutz des Kindes infrage gestellt würde. Der Arzt muss also einschätzen, ob die Mitteilung des Informationsrechtes für das Kind nachteilig sein könnte.
Eine solche Einschätzung wird häufig sehr schwierig sein, da in der Regel eben nur Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen, der Arzt aber nicht die gesamte komplexe Situation der Familie und des Verhaltens ihrer Mitglieder kennt.
Unterlässt der Arzt den Hinweis auf sein Informationsrecht, so ist auch in Zukunft nicht ausgeschlossen, dass er sich bei dennoch erfolgender Information wegen der Verletzung von Privatgeheimnissen strafbar macht.
Es empfiehlt sich deshalb, pseudonymisiert zunächst vom Träger der Jugendhilfe eine Beratung dazu zu verlangen, ob der Hinweis auf das Recht zur Information des Jugendamtes den wirksamen Schutz des Kindes in Frage stellen könnte.
Wenn diese Beratung nicht schriftlich erfolgt, sollte der Arzt in jedem Fall das Beratungsergebnis protokollieren und von der beratenden Fachkraft der Jugendhilfe gegenzeichnen lassen.
Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizin- und Verwaltungsrecht und Partner der Anwaltskanzlei Busse & Miessen in Bonn.