250.000 Euro Strafe möglich
Haften Ärzte für Dritte?
Wer unberechtigt den Doktor-Titel führt, macht sich strafbar. Und wenn andere einen ungefragt "Dr. med" nennen? Muss man das unterbinden - meint jedenfalls das Landgericht Hamburg.
Veröffentlicht:HAMBURG. Haftet ein Arzt für unrichtige Angaben, die von Dritten ungefragt über ihn verbreitet werden, beispielsweise in einem Adressverzeichnis oder einem Bewertungsportal? Intuitiv wird man diese Frage wohl spontan verneinen. Doch das Landgericht Hamburg hat kürzlich gegenteilig entschieden (Az.: 312 O 574/15).
Es gab damit einer ortsansässigen Zahnärztin auf, gegen die fälschliche Verwendung des Doktor-Titels im Zusammenhang mit ihrem Namen selbst vorzugehen (wir berichteten). Widrigenfalls drohen ihr 250.000 Euro Ordnungsgeld oder Ordnungshaft. Außerdem bleibt sie auf den Abmahngebühren und den Verfahrenskosten sitzen.
Kläger war die Wettbewerbszentrale, die die Zahnärztin zuvor insgesamt sieben Mal abgemahnt hatte, weil mehrere Internetverzeichnisse – darunter Jameda, das Stadtbranchenbuch Hamburg sowie die Website eines Vereins, in dem die Ärztin Mitglied ist –, sie mit dem Titel "Dr. med. dent" oder auch "Dr. dent" führten.
Haftung durch Duldung
Unstrittig hatte die Ärztin diese fehlerhaften Einträge selbst nicht veranlasst. Vermutlich waren sie von einem kommerziellen Adressanbieter in die Welt gesetzt und durch Abschreiben voneinander vervielfältigt worden. Dennoch hafte die Zahnärztin für die Duldung der falschen Angaben, begründeten die Richter den Unterlassungsanspruch. Wörtlich heißt es in der Urteilsbegründung: "Sie haftet für die streitgegenständlichen irreführenden Einträge als Täterin durch pflichtwidriges Unterlassen".
Die Ärztin sei zwar keineswegs in der Pflicht gewesen, "proaktiv zu überprüfen und sicherzustellen, dass sie im Internet nicht von Dritten in irreführender Weise betitelt wird". Doch nachdem sie von der Wettbewerbszentrale über den Sachverhalt informiert und aufgefordert worden war, dagegen einzuschreiten, hätte sie die Angelegenheit nicht weiterhin ignorieren dürfen.
"Indem sie gänzlich untätig geblieben ist, hat die Beklagte indes auch diese eng begrenzten Handlungspflichten verletzt", befanden die Richter.
Urteil nichts rechtskräftig bisher
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Berufungsfrist läuft bis Ende August. Auf eine Anfrage bei der Zahnärztin, ob sie in die zweite Prozess-Runde geht, lag bis Redaktionsschluss keine Antwort vor. Hätte das Hamburger Urteil Bestand, wäre einer Abmahnwelle gegen Ärzte Tür und Tor geöffnet.
Jeder beliebige Wettbewerber könnte vergleichbare Abmahnungen aufsetzen. Dabei muss es nicht allein um den akademischen Titel gehen. Abmahnfähig, erläutert die Heidelberger Fachanwältin für Medizinrecht Beate Bahner, seien beispielsweise auch falsche Facharzt-, Zusatz- oder Schwerpunktbezeichnungen.
Darüber hinaus wäre auch die Verwendung möglicherweise irreführender Begriffe wie "Experte" oder "Spezialist" im Rahmen der Arzt- oder Praxisdarstellung durch Dritte angreifbar. Sogar Angaben zur Praxisausstattung oder bestimmten Behandlungsmethoden ließen sich als Irreführung abmahnen, wenn sie nicht stimmen.
Rechtsanwältin Bahner gibt zu bedenken, dass mit der Erlaubnis zur Abmahnung gleichsam über Bande, also in diesem Fall beim Arzt statt beim unmittelbar verantwortlichen Emittenten, ein erhebliches Missbrauchsrisiko geschaffen werde.
Bahner weiter: "Es ist ein Leichtes, Informationen über Dritte ins Internet einzustellen, ohne dass der betroffene Arzt hiervon überhaupt weiß. Tagtäglich könnten neue unbefugte Titel eingestellt werden, der Betroffene hätte dann alle Hände voll zu tun, die Verantwortlichen zu kontaktieren und für eine Unterbindung der falschen Bezeichnungen oder Behauptungen zu sorgen."
Blaupause Strafrecht?
Bahner macht kein Hehl daraus, dass sie das Urteil für "ein krasses Fehlurteil" hält. Aus dem Strafrecht sei das "Begehen durch Unterlassen" (Paragraf 13 StGB) bekannt. Allerdings greife hier die Strafbarkeit nur unter der Voraussetzung, dass jemand, wie es im Gesetz wörtlich heißt, "auch rechtlich dafür einzustehen hat", dass ein bestimmtes Negativ-Ereigniss nicht eintritt.
Auf einen Wettbewerbsverstoß wie die hier verhandelte Irreführung lasse sich das aber nur adaptieren, wenn Ärzte tatsächlich rechtlich verpflichtet wären, falschen Angaben Dritter über sie entgegenzutreten. Und dass sei nicht der Fall. Auch die wiederholten Anschreiben und Unterlassungsaufforderungen eines privaten Abmahnvereins wie der Wettbewerbszentrale begründeten noch lange keine solche rechtliche Verpflichtung.
An der falschen Adresse
Daher lasse sich der beklagten Zahnärztin die irreführende Titel-Verwendung nur dann juristisch zurechnen, wenn sie durch eigenes Zutun eine Mitverantwortung daran trage. Doch auch das könne verneint werden, ist Bahner überzeugt.
"Die Zahnärztin hat niemals selbst den Doktortitel angegeben und auch sonst keinerlei vertragliche Verhältnisse zu den Plattformen, auf denen sie mit Doktortitel gelistet ist." Sie sei "schlichtweg die falsche Adressatin. Beklagte hätte nicht die Zahnärztin, sondern die Internetplattformen sein müssen".