Urteil
Berufskrankheit-Anerkennung auch bei Teil-Ursachen möglich
Eine Berufsgenossenschaft muss Blasenkrebs in bestimmten Konstellationen als Berufskrankheit anerkennen. Das gilt auch, wenn der betroffene, ehemalige Arbeitnehmer Raucher ist, so das Hessische Landessozialgericht.
Veröffentlicht:DARMSTADT/KASSEL. Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat ein Herz für Arbeitnehmer – zumindest, wenn es im Kampf mit der jeweils zuständigen Berufsgenossenschaft (BG) um die Anerkennung einer Berufskrankheit geht. Berufskrankheiten seien ebenso wie Arbeitsunfälle Versicherungsfälle der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Hierzu zählt auch ein Blasentumor durch aromatische Amine wie beispielsweise dem 2-Naphthylamin, wie es vor Kurzem im Falle eines Beschäftigten der Gummiindustrie entschieden hat. Das Urteil ist indes noch nicht rechtskräftig.
Wie das LSG betont, seien die Belegschaften der Branche in den 1980er Jahren diesem Gefahrstoff ausgesetzt gewesen. Nach aktuellem wissenschaftlichem Erkenntnisstand sei das Krebsrisiko bei Aufnahme dieses Gefahrstoffes mit dem größten kanzerogenen Potenzial deutlich erheblicher als bisher angenommen. Bereits eine mehrmonatige berufliche Einwirkung könne Blasenkrebs verursachen – auch bei einem Raucher.
Sachverständigengutachten negativ
Im konkreten Fall war der 59-jährige Mann aus dem Main-Kinzig-Kreis im Zeitraum von 1984 bis 1986 insgesamt 14 Monate in der Gummifertigung beschäftigt. Hierbei war er laut LSG unter anderem dem Alterungsschutzmittel Phenyl-2-Napthylamin (P2NA) und dem darin enthaltenen 2-Naphthylamin – einem aromatischen Amin – ausgesetzt.
Als 41-Jähriger habe er die Diagnose Blasentumor erhalten. Seine BG lehnte laut LSG eine Anerkennung als Berufskrankheit ab. Denn: Ein Sachverständigengutachten habe ergeben, dass die Exposition gegenüber 2-Naphthylamin zu gering gewesen sei. Wahrscheinlich sei die Erkrankung auf den Zigarettenkonsum des Betroffenen zurückzuführen, hieß es.
Im sozialgerichtlichen Verfahren, in dem weitere Gutachten eingeholt worden seien, habe der Mann zunächst keinen Erfolg gehabt. 2011 habe er dann einen Überprüfungsantrag gestellt, der von der Berufsgenossenschaft wiederum abgelehnt worden sei.
Das Hessische Landessozialgericht verurteilte nunmehr die Berufsgenossenschaft zur Anerkennung einer Berufskrankheit. Begründung: Es sei hinreichend wahrscheinlich, dass der Gefahrstoff 2-Naphthylamin – zusammen mit dem Tabakkonsum – den Blasenkrebs bei dem erkrankten Mann verursacht habe. Der Gefahrstoff 2-Naphthylamin gehöre zu den Stoffen, denen im Hinblick auf ihr kanzerogenes Potenzial die größte Bedeutung zugemessen werde.
In der MAK-Werteliste sei dieses Amin in die Kategorie 1 eingestuft. Die Maximale Arbeitsplatz-Konzentration (MAK-Wert) weist die maximal zulässige Konzentration eines Stoffes als Gas, Dampf oder Schwebstoff in der (Atem-)Luft am Arbeitsplatz aus. Nach dem Berufskrankheiten-Report 1/2014 der DGUV sei das Krebsrisiko beim Menschen nach Aufnahme von 2-Naphthylamin als deutlich erheblicher zu bewerten als bisher angenommen. Da der Gefahrstoff sehr gut durch die Haut penetriere, käme zu der inhalativen Aufnahme die Belastung über den Hautkontakt hinzu. Zudem würde P2NA im Körper teilweise zu 2-Naphthylamin verstoffwechselt, wie es im Report heißt.
Rauchen spielt untergeordnete Rolle
Wie das LSG ergänzt, sei nach neuesten Studien ferner die Verbindung P2NA selbst hautgängig, bilde dort ein Depot und erhöhe darüber die Dosis von 2-Naphthylamin. Auch wenn der Umfang der Gefahrstoff-Exposition im konkreten Fall nicht mehr genau festzustellen sei, sei nicht von einer nur geringen Menge auszugehen. Ferner gebe es über die Forderung nach einer Mindestdosis oder Schwellendosis in der Wissenschaft keinen Konsens.
Der Tabakkonsum des Versicherten habe zwar ebenfalls zu einer Belastung mit 2-Naphthylamin geführt. Dieses außerberufliche Risiko sei jedoch nicht überragend gewesen, zumal er nur mäßig geraucht habe. Daher handele es sich bei der beruflichen Gefahrstoffexposition um eine (Teil-)Ursache, die für die Krebserkrankung rechtlich wesentlich sei, so das LSG.
Wie Dr. Jutta Maurer, Pressesprecherin des Hessischen Landsozialgerichtes auf Nachfrage der "Ärzte Zeitung" sagte, sei gegen die Entscheidung Revision eingelegt worden.
Das Bundessozialgericht (BSG) muss sich nun erneut mit einem Verfahren aus Darmstadt in puncto Berufskrankheit befassen (Az.: B 2 U/11/18 R).
In dieser Situation "ist das Vorhandensein weiterer Einwirkungen rechtlich nicht mehr maßgeblich", urteilte das BSG damals. Da sei es unerheblich, dass der Mann über 30 Jahre hinweg täglich 20 Zigaretten geraucht habe.
Hessisches Landessozialgericht
Az.: L 3 U 129/13