Bundesgerichtshof

Keine Patientenaufklärung bis der Schädel brummt!

Ärzte müssen die Patientenaufklärung verständlich gestalten – und „den allgemeinen Sprachgebrauch“ nutzen, urteilte der Bundesgerichtshof. So streng wie beim Beipackzettel muss die Formulierung also nicht geregelt sein.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Versteht der Patient die Aufklärung? Hier sind Zweifel angebracht.

Versteht der Patient die Aufklärung? Hier sind Zweifel angebracht.

© Alexander Raths / fotolia.com

KARLSRUHE. Bei der Aufklärung über mögliche Behandlungskomplikationen müssen sich Ärzte und Kliniken nicht an den strengen Wahrscheinlichkeitsangaben der Arzneimittel-Beipackzettel orientieren. Auch in schriftlichen Aufklärungsbögen gilt vielmehr der allgemeine Sprachgebrauch, wie kürzlich der Bundesgerichtshof entschied. Danach darf ein Risiko von 8,7 Prozent als „gelegentlich“ bezeichnet werden.

Der Kläger hatte eine Knieprothese bekommen. Vor dem Eingriff war er unter Verwendung eines Aufklärungsbogens auch über mögliche Komplikationen informiert worden. In dem Bogen heißt es, die Prothese könne sich „im Laufe der Zeit gelegentlich“ lockern. Nach knapp zwei Jahren kam der Kläger erneut in die Klinik und berichtete von zunehmenden Schmerzen. Es stellte sich heraus, dass sich die Prothese gelockert hatte.

Keine scharfen MedDRA-Häufigkeitsdefinition nötig

Mit seiner Klage verlangt der Kläger ein Schmerzensgeld von 50.000 Euro. Er sei falsch behandelt und unzutreffend aufgeklärt worden. Mit einer Quote von 8,7 Prozent trete eine Lockerung nicht nur „gelegentlich“ auf. Die Klage hatte durch alle Instanzen keinen Erfolg, wobei sich der BGH zuletzt nur noch mit der Aufklärung zu beschäftigen hatte.

Insbesondere hätten Klinik und Arzt das Risiko einer Lockerung des Implantats nicht verharmlost, entschied der BGH. Denn die „Selbstbestimmungsaufklärung“ vor einer Operation müsse sich nicht an den scharfen Häufigkeitsdefinitionen des Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA) orientieren, das für Arzneimittel verwendet wird. Nach diesen Definitionen würde 8,7 Prozent schon als „häufig“ gelten, „gelegentlich“ bezeichnet den Bereich von 0,1 bis 1,0 Prozent.

Bei Op, so der BGH, „ist es nicht erforderlich, dem Patienten genaue oder annähernd genaue Prozentzahlen über die Möglichkeit der Verwirklichung eines Behandlungsrisikos mitzuteilen“. Allerdings dürften aufklärende Ärzte auch nicht verharmlosen. Ein Patient müsse letztlich wissen, „worauf er sich einlässt“.

Allgemeiner Sprachgebrauch als Basis

Daher müsse die Aufklärung verständlich sein und könne hierbei „auf den allgemeinen Sprachgebrauch“ abstellen. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich die „vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichenden“ MedDRA-Definitionen bei den Patienten generell durchgesetzt haben. „Gelegentlich“ sei im Sprachgebrauch eine Häufigkeit zwischen „selten“ und „häufig“.

Laut Duden heiße „gelegentlich“ „nicht regelmäßig“ oder „ab und an“. Danach lasse sich „eine statistische Häufigkeit im – wie hier – einstelligen Prozentbereich nach allgemeinem Sprachgebrauch ohne Weiteres unter den Begriff ‚gelegentlich‘ fassen“. Nach einer Umfrage würden selbst Ärzte und Pharmazeuten unter „gelegentlich“ eine Wahrscheinlichkeit um zehn Prozent verstehen.

Unterdessen hatte in einem anderen Fall das Oberlandesgericht Frankfurt am Mainüber das Wort „vereinzelt“ zu entscheiden. Dabei ging es um das von einem Sachverständigen auf 20 Prozent taxierte Risiko eines Falschgelenks bei einer Humerus-Nagelung. Unter Berufung auf das BGH-Urteil meinte das OLG, 20 Prozent könnten noch als „vereinzelt“ durchgehen. Laut Duden bedeutet „vereinzelt“ allerdings: „einzeln, nur in sehr geringer Zahl vorkommend; selten; sporadisch“.

Bundesgerichtshof Az.: VI ZR 117/18

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