Arzneiverordnung

"Auffälligkeiten zu thematisieren, darf kein Tabu sein"

Kommunikation zwischen Ärzten, Apothekern und Pflegekräften ist das A und O, wenn die Arzneimittelsicherheit für Patienten verbessert werden soll. Das macht Hedwig François-Kettner vom Aktionsbündnis Patientensicherheit im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" klar. Doch dafür gibt es in der Praxis noch einige Hürden.

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Hedwig François-Kettner

'Auffälligkeiten zu thematisieren, darf kein Tabu sein'

© Wiebke Peitz

Aktuelle Position: Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit; zuvor Pflegedirektorin der Charité – Universitätsmedizin in Berlin.

Werdegang: Geboren 1950 in Bitburg. Ausbildung und Tätigkeit als Krankenschwester zwischen 1969 und 1979. 1990 Studium Pflegedienstleitung im Krankenhaus an der Fachhochschule Osnabrück.

Ärzte Zeitung: Das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) versteht sich als Netzwerk im Gesundheitswesen, in dem sich interdisziplinär alle Akteure im Gesundheitswesen zusammengeschlossen haben, um die Versorgung sicherer zu machen. Wo hakt es noch - speziell in der Arzneimittelversorgung - beim Zusammenspiel der Akteure?

Hedwig François-Kettner: An sich nehmen öffentliche Apotheken mit ihrem Expertenwissen hier eine sehr wichtige Rolle bei der Versorgungssicherheit ein. Denn sie können ihr Wissen direkt an den Patienten geben.

Die große Informationsflut hierzulande bedeutet leider nicht unbedingt, dass Sachverhalte bei den Patienten (richtig) ankommen.

Außerdem sitzen Apotheker an der Schaltstelle, wenn es darum geht, mögliche Inkompatibilitäten oder Wechselwirkungen bei Arzneimitteln zu erkennen und beim verschreibenden Arzt zu intervenieren. Das geschieht schon, aber noch nicht oft genug.

Bislang scheinen vor allem Kliniken und Ärzte im Fokus zu stehen, wenn es um mehr Patientensicherheit geht. Was würden Sie bei der ambulanten Arzneiversorgung noch verbessern?

Ich denke, dass es auch in der Arztpraxis eine viel stärkere Interaktion zwischen Apotheke und Arzt geben müsste. In der Klinik habe ich es inzwischen häufiger erlebt, dass es Wunder wirkt, wenn auf Stationen, auf denen viele Medikamente verabreicht werden, auch ein Apotheker mit zur Visite geht.

Damit das funktioniert, muss jeder den Fachbereich des anderen respektieren und sehen, dass der Vorteil für den Patienten in der gemeinsamen Nutzung des jeweiligen Fachwissens liegt.

Dass das selbstverständlich akzeptiert wird - davon sind wir, glaube ich, aber noch ziemlich weit entfernt. Ein erster Schritt könnten mehr gemeinsame Fortbildungen sein.

Gibt es derzeit beim APS Arbeitsgruppen, in denen gezielt Lösungen zu Problemen im Bereich Patientensicherheit (vor allem in der öffentlichen Apotheke) erarbeitet werden?

Wir haben im APS eine Arbeitsgruppe Arzneimitteltherapiesicherheit, die von zwei Pharmazeutinnen mit ausgeprägten Fachkenntnissen geleitet wird. Sie arbeiten mit Ärzten und Mitgliedern anderer Berufsgruppen zusammen.

Aus der Zusammenarbeit ist jüngst eine Information zum korrekten Umgang mit Methotrexat entstanden und zum Umgang mit dem Zytostatikum Vincristin.

Das bestätigt, dass ein Aspekt für mehr Patientensicherheit die richtige Einnahme von Arzneien ist. Auf dem Apothekertag wurde diskutiert, wie Apotheker sich künftig in ein interdisziplinäres Medikationsmanagement einbringen und wie die Kooperation zwischen Arzt und Apotheker aussehen kann. Ein längst fälliger Schritt oder hehre Theorie?

Ein längst fälliger Schritt. Wichtig ist nun, dass man das dazu nötige Know-how in die Ausbildung beziehungsweise in die Fort- und Weiterbildung beider Berufsgruppen einbettet, am besten, indem beide Berufsgruppen bereits in der Ausbildung zumindest stellenweise gemeinsam lernen.

Es darf dabei neben inhaltlichen Fakten auch darum gehen, wie man kommuniziert und konkret aufeinander zugehen und dabei das jeweilige Expertenwissen nutzen kann.

Welcher wesentliche Aspekt muss Ihrer Meinung nach erfüllt sein, damit ein Medikationsmanagement so funktioniert, dass die AMTS auch tatsächlich verbessert wird?

Als erste Maßnahme sollte bei der Aus- und Fortbildung angefangen werden. Dabei muss auch das Bewusstsein hergestellt werden, dass Verantwortung Hinterfragen heißt. Das gilt für Arzt wie Apotheker.

Außerdem muss vorhandenes Wissen transparenter gemacht werden, etwa, in dem Daten und Beispiele gesammelt und kommuniziert werden, wo etwas falsch läuft. Das mögen Einzelfälle sein, die aber bei häufigem Auftreten dann doch zeigen, wo Handlungsbedarf ist. Hier könnten Apotheker meines Erachtens noch offensiver sein.

Drittens: Wir brauchen ein Machtwort der Politik bei der elektronischen Gesundheitskarte. Sie ist die Grundlage für Transparenz und interkollegialen Dialog, der für ein bundesweit sicheres Medikationsmanagement nötig ist.

Kommunikation und Teamfähigkeit sollen als zentrale Elemente für ein Mehr an Patientensicherheit sorgen. Können Sie an einem Beispiel festmachen, was Sie darunter verstehen?

Es ist ja oft so: Die einzelnen Personen machen in ihrem Sektor eine hochqualifizierte gute Arbeit, aber im Zusammenspiel und der Kommunikation gehen dann doch wichtige Infos verloren.

Ein positives Beispiel ist für mich daher der erste Preis für Patientensicherheit, den wir in diesem Jahr an eine Pflegeeinrichtung vergeben haben, in der ein Apotheker zusammen mit der Heimleitung die Medikamente der Patienten gecheckt hat.

Dabei wurde festgestellt, dass mindestens ein Drittel verzichtbar war, wegen Inkompatibilitäten, Doppelverordnungen oder ungünstiger Effekte auf die Vigilanz der Patienten.

Leider verordnen in Heimen Ärzte oftmals reflexhaft immer gleiche Medikamente beziehungsweise die Heimleitung ordert die Medikamente einfach nach, ohne dass eine Überprüfung der Sinnhaftigkeit erfolgt.

In diesem Fall hat die gute Kommunikation von Arzt-Apotheker-Pflege dazu geführt, dass weniger Arzneimittel benötigt wurden, aber die Bewohner am Ende nachweislich eine deutlich bessere Lebensqualität hatten.

Was könnte noch verbessert werden?

Zum einen müssen Patienten in Deutschland souveräner werden und nicht alles, was vom Arzt kommt, als alternativlos ansehen. Zum anderen wäre gerade bei den Apothekern mehr Resilienz schön, um Probleme, wo sie auffallen, auch offensiv anzugehen.

Es darf kein Tabu sein, über Auffälligkeiten bei einer Verordnung zu reden - oder wenn es um Wechselwirkungen zwischen verordneten Arzneien und OTC-Präparaten aus der Selbstmedikation geht.

Apotheker dürfen sich mit ihrem Expertenwissen nicht verstecken. Denn: Es muss immer um den Patientennutzen und um die Patientensicherheit gehen.

Das Interview führte Ruth Ney

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