Ablenkung
Videobrille soll Patienten von Angst und Stress befreien
Auch bereits während kleiner medizinischer Eingriffe sind Patienten häufig sehr aufgeregt, was die Arbeit der Ärzte erschweren kann. Ein Start-up will Abhilfe schaffen und gibt Patienten etwas zur Beruhigung auf die Augen und Ohren.
Veröffentlicht:FRANKFURT/MAIN. Wer kennt die Situation nicht? Eine komplizierte Behandlung beim Zahnarzt: Mit offenem Mund schaut man eine Stunde lang nach oben. Dort entdeckt man einen Käfer, der über die Decke krabbelt, vielleicht erkennt man auch einen unschönen Fleck und hört dabei typische Zahnarztgeräusche. Genau in einem solchen Zustand ist Philipp Albrecht, Gründer von HappyMed, die Idee gekommen, daran etwas zu ändern und die Zeit während einer Behandlung anders zu verbringen.
Gemeinsam mit Florian Fischer entwickelte er das HappyMed-System – eine Videobrille, auf der sich Patienten während medizinischer Behandlungen Filme anschauen können und so vor und während einer Behandlung abgelenkt sind. Albrecht hatte zuvor vier Jahre lang eine Online-Marketing-Agentur aufgebaut, während Fischer als Web-Developer tätig war. Von der Idee bis zum fertigen Produkt hat es mehr als ein Jahr gedauert. "Ob beim Zahnarzt, vor einem kleinen ambulanten Eingriff oder einer Operation im Krankenhaus – der Moment in dem man als Patient auf einer Bahre oder dem Behandlungsstuhl liegt, ist nie gänzlich entspannt", sagt Lukas Böck, Pressesprecher von HappyMed, "die Situation erzeugt Angst und Stress."
Konsequenz des Kontrollverlusts
Der Kontrollverlust führe dazu, dass sich Patienten noch viel mehr auf die Umgebung fokussieren und übersensibel auf unterschiedlichste Sinneseindrücke reagieren, wie dem Piepsen der Maschinen, so das Start-up aus Wien. Und dadurch komme es oft zu einem verstärkten Einsatz von Sedativa und Vollnarkosen, zu mehr Komplikationen und Folgeschäden sowie zu längeren Liegedauern in Krankenhäusern, wie auch Studien bereits belegen.
Positive Ablenkung führe zu geringerem Angst- und Schmerzempfinden sowie höherem Wohlbefinden von Patienten, so HappyMed. "Mit 80 Prozent wird der Großteil der menschlichen Sinneseindrücke über Augen und Ohren wahrgenommen. Das macht die audiovisuelle Entkoppelung zu einer der wirksamsten Methoden zur Stressreduktion. Und die Kunden sehen den Kosteneinspareffekt, der daraus entsteht", erklärt Böck.
"Viele entspannen sich vor und während einer Behandlung mit Naturfilmen, junge Männer schauen dagegen gerne Sportsendungen zur Beruhigung", so Böck. Deshalb ist das Programm auf der Brille auch mit sieben verschiedenen Kategorien ausgestattet: Patienten können zwischen Dokumentationen, Komödien, Reisen, Sport, Konzerten oder Naturfilmen wählen. Auch für Kinder gibt es spezielle Filme, hier gehe es mehr um Ablenkung und Fokusverlagerung, so der HappyMed-Sprecher. Auch habe der Patient die Kontrolle über die Fernbedienung und könne sich jederzeit durch das Menü navigieren oder die Lautstärke verändern.
"Die Brille dem Patienten kurz zu erklären, übernehmen in der Regel die Pflegekräfte", so Böck. Einsatzgebiete seien zum Beispiel Anästhesie, Kardiologie, Zahnmedizin, Onkologie oder Transfusionsmedizin. "Die Videobrille kombiniert Hardware, Software und Videoinhalte und ist sofort einsatzbereit. Dafür ist auch ein gehöriger Entwicklungsaufwand eingeflossen", berichtet Böck.
Anspruchsvolle Entwicklung
Sie muss bruchsicher sein, einfach zu desinfizieren, ohne Stromanschluss funktionieren und mit intuitiver Software unkompliziert zu bedienen sein. Die Brille selbst ist laut Hersteller mit Zeiss-Technologie ausgestattet. Der Akku liefere Strom für etwa zehn Stunden. Von Ärzten hatten die Gründer im Vorfeld immer wieder gehört, dass ein Bildschirm an der Decke anzubringen recht kompliziert sei, der Handwerker müsse kommen und es müssen Kabel verlegt werden, und auch Filmlizenzen zu erwerben, gestalte sich rechtlich sehr aufwändig.
"Der Wunsch nach einer Komplettlösung war bei Ärzten und Kliniken groß. Die Anschaffung der Videobrille läuft in der Regel über ein flexibles Mietmodell, das neben der Hardware auch sämtliche Filmlizenzen beinhaltet", erklärt Böck. Die monatlichen Beträge lägen "im unteren dreistelligen Euro-Bereich".