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BGH schränkt Privileg der Arztbewertungsportale ein
Darf ein Arztbewertungsportal eine Praxis ungefragt listen? Ja, aber nur, wenn der Portalbetreiber mediale Neutralität wahrt. Heißt: Kein Arzt muss sich Werbung konkurrierender Praxen im direkten Bewertungsumfeld gefallen lassen.
Veröffentlicht:Das erinnert an das Grimmsche Märchen vom Hasen und dem Igel, nur dass sich das Rennen durch die Instanzen über Jahre hinzog. Kaum hatte aber der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe sein Urteil verkündet und der klagenden Ärztin einen Anspruch auf Löschung ihres Profils zugebilligt, ruft Jameda: "Ich bin schon hier!" Ein Anspruch auf Löschung bestehe für Ärzte grundsätzlich eben nicht. Dabei geht es dem nach eigenen Angaben größten deutschen Arzt-Bewertungsportal nicht mehr um die Karlsruher Klägerin. Ihr Profil war ohnehin schon länger gelöscht – nach Jameda-Angaben, weil sie gar nicht mehr praktiziere.
Adressaten der Sofortmaßnahme sind sicherlich die vielen anderen Ärzte, die mit Bewertungsportalen oder konkret mit Jameda nicht zufrieden sind. Sie sollen gar nicht erst auf die Idee kommen, die Löschung ihres Profils zu verlangen.
"Ärzte können sich weiterhin nicht aus Jameda löschen lassen", titelten die Portalbetreiber keine zwei Stunden nach Verkündung des Urteilstenors in einer Pressemitteilung. Der Grund: Der Kritik sei bereits Rechnung getragen.
Die Kölner Dermatologin hatte ihre Klage insbesondere mit zwei Rügen begründet. Zum einen sei es ihr nicht zuzumuten, sich ständig um das Portal zu kümmern und gegen falsche oder unfaire Bewertungen zu wehren. Zumal sie angab, Jameda habe erst nach Einschaltung eines Rechtsanwalts reagiert und 17 im Jahr 2015 beanstandete Bewertungen gelöscht.
Knackpunkt "neutraler Informationsmittler"
Doch dieses Thema rührte der BGH jedenfalls in seiner vorläufigen Urteilsbegründung gar nicht an. Stattdessen bezog er sich auf die zweite Rüge bezüglich der Werbepraxis: Jameda bietet Ärzten ein "Premium-Paket" an. Beim untersten Preis von 59 Euro monatlich beinhaltet dies die Möglichkeit, ein Foto hochzuladen und die eigene Praxis auch mit einem kleinen Text zu beschreiben.
Bei der Suche eines Arztes ohne Premium-Paket wurden bisher auch noch die Praxen von Fach-Kollegen in der Umgebung angezeigt – allerdings nur diejenigen mit Premium-Abo. Dies war klein als "Anzeigen" gekennzeichnet. Suchten Nutzer einen Premium-Kunden, erschienen dagegen keine Wettbewerber. Nutzer konnten so den Eindruck gewinnen, dies sei auch die einzige Praxis in der Näheren Umgebung.
Der BGH rügte hier die unzureichende Transparenz. Vor allem aber kritisierte er, dass Jameda so die "Rolle als ‚neutraler‘ Informationsmittler" verlässt. Zwar könne sich Jameda weiterhin auf die Meinungs- und Medienfreiheit berufen. Doch vor dem Hintergrund kommerzieller Interessen wiege dies weniger schwer. Anders als in einem vergleichbaren Urteil aus 2014 gaben die Karlsruher Richter diesmal daher der klagenden Ärztin recht.
Als Konsequenz löschte Jameda auf den Profilseiten der Nicht-Zahler die Hinweise auf zahlende Premium-Kunden in der Umgebung. Damit tauchen diese Anzeigen generell nicht mehr auf, so dass auch die umgekehrte Bevorzugung der Premium-Kunden nicht mehr besteht. "Ich bin schon hier?" Das letzte Rennen von Hase und Igel ist damit sicherlich noch nicht gelaufen. Denn immer noch sehen die Profilseiten von Zahlern und Nicht-Zahlern sehr unterschiedlich aus. Erstere beschränken sich auf die wichtigsten Daten wie Name, Fachrichtung und Öffnungszeiten. Premium-Kunden können zusätzlich ein Foto und einen Text über ihre Praxis einstellen. Ob dies dem BGH dennoch "neutral" genug ist, wird wohl erst ein neues Verfahren klären.
Urteil markiert einen Sinneswandel
So oder so markiert das neue Urteil einen Sinneswandel. Ob die neue rechtliche Bewertung tatsächlich nur auf neue Argumente und andere Umstände des konkreten Falls zurückgehen, darf bezweifelt werden. Es dürfte auch mit an neuen Einsichten der Richter liegen.
Darauf deutet auch hin, dass der BGH die zweite Baustelle unfairer Bewertungen bei seiner Urteilsverkündung gar nicht erwähnt hat. Mehrfach hatte er bereits entschieden, dass Bewertungsportale und auch Bewertungen gegen den Willen der Betroffenen rechtlich zulässig sind. Das haben die Karlsruher Richter auch nun wieder bekräftigt.
Und sie haben damit recht. Die Zulässigkeit von Kritik gehört zum Wesen unserer Demokratie. Und das kann dann im Internet nicht nur für Waschmaschinen und Regenjacken gelten, auch Dienstleister wie Ärzte müssen sich Bewertungen gefallen lassen.
Ebenso zu Recht hat der BGH mehrfach aber auch entschieden, dass Portalbetreiber den Rügen Betroffener über möglicherweise unfaire Bewertungen nachgehen und diese dann gegebenenfalls löschen müssen. Hier ist aber völlig unklar, wie eine solche Prüfung rasch und fair geschehen kann.
Gerichte können hier immer nur Einzelfälle entscheiden. Eine wirkliche Klärung würde einen weiteren Hase-Igel-Wettlauf bedeuten, der sich aber über mehrere Fälle und damit über sicher zehn Jahre hinziehen würde. Sinnvoll scheint da ein Dialog zwischen Portalen und Ärzten.
Die Erklärung des Virchow-Bundes zu dem Karlsruher Urteil liest sich da fast wie eine ausgestreckte Hand: Patienten brauchen objektive Portale, deren Suchergebnisse nicht von Zahlungen einzelner Ärzte abhängen, heißt es dort. Gleichzeitig führt der NAV aber auch an, was auch Jameda als wichtiges Argument nennt und fordert Ärzte auf, "auf berechtigte Negativkritik zu reagieren und sie als Herausforderung und Hinweis auf Verbesserungspotenziale zu verstehen". Das wäre auch im Interesse der Patienten.