Für medizinische Notfälle über den Wolken setzt Lufthansa jetzt auf die Telemedizin

Nicht immer ist ein Arzt an Bord, wenn es auf Flügen zu medizinischen Notfällen kommt. Die Lufthansa arbeitet derzeit an einem Projekt, in dem via Telemedizin Vitaldaten auch vom Boden aus begutachtet werden können.

Denis NößlerVon Denis Nößler Veröffentlicht:
Künftig sollen bei Lufthansa-Flügen Notfallpatienten an Bord mit Hilfe von Ärzten am Boden versorgt werden können. 
© Lufthansa/Michael Lamberty

Künftig sollen bei Lufthansa-Flügen Notfallpatienten an Bord mit Hilfe von Ärzten am Boden versorgt werden können.  © Lufthansa/Michael Lamberty

© Lufthansa/Michael Lamberty

FRANKFURT / MAIN. Es sah nach einer Pionierleistung aus, was die Lufthansa vor rund sieben Jahren aus der Taufe hob - als weltweit erstes Luftfahrtunternehmen stellte sie ein System vor, das die Behandlung akuter medizinischer Notfälle an Bord von Flugzeugen revolutionieren sollte. Dann, nur knapp drei Jahre später, verabschiedete sich ein wichtiger Partner aus dem Projekt, und die Lufthansa musste ihre Pläne für ihr telemedizinisches Notfallsystem vorerst auf Eis legen. Nun wagt die Airline mit dem Kranich einen Neustart ihres Telemedizinsystems TCS.

Allein an Bord der rund 700 Lufthansa-Flugzeuge kommt es pro Jahr zu rund 1500 medizinischen Notfällen. Für den weltweiten Flugverkehr schätzen Experten die stark schwankende Zahl der Fälle grob auf 200 000. Tritt ein Notfall auf, suchen die Flugbegleiter häufig nach medizinischem Fachpersonal unter den Passagieren. Nach Angaben der Lufthansa findet sich in schätzungsweise neun von zehn Fällen eine fachkundige Person. Wie hoch der Anteil der Ärzte darunter ist, ist allerdings unklar.

Doch auch wenn ein qualifizierter Helfer gefunden ist, die medizinischen Möglichkeiten an Bord bleiben begrenzt. Schon das geringe Platzangebot und der relativ niedrige Luftdruck in der Kabine fordern Helfer und Patient einiges ab. Nach offiziellen Vorgaben, die in Europa von der Europäischen Luft- und Raumfahrtbehörde EASA vorgegeben werden, müssen Verkehrsflugzeuge einen Minimalstandard an medizinischer Ausrüstung mitführen. Dazu zählen eine kleine Bordapotheke, ein Verbandskasten und Sauerstoff. 

Ausschließlich Ärzten ist das "Doctor's Kit" vorbehalten, ein Notfallkoffer inklusive Ampullarium. Viele Fluggesellschaften, so auch die Lufthansa, führen auf einem Großteil ihrer Flugzeuge außerdem halbautomatische Defibrillatoren, kurz AED, mit.

Doch was nützt die beste Ausrüstung, wenn im Notfall kein Arzt an Bord ist? Wie soll dann der Flugkapitän entscheiden, ob etwa eine Zwischenlandung notwendig ist, um den Patienten klinisch versorgen zu können? Über Satellitentelefone an Bord kann die Crew zwar eine spezielle ärztliche Hotline anrufen, doch auch die "fernmündliche" Betreuung stößt schnell an ihre Grenzen.

Geht es nach der Lufthansa, soll diese Lücke bald geschlossen werden - mit dem Tele Care System, kurz TCS. Die Idee ist so genial wie einfach: Der Notfallpatient an Bord eines Flugzeuges soll per Telemedizin vom Boden aus betreut werden. Dazu werden mit einem speziellen Gerät sowohl die Vitaldaten als auch eine Video- und Tonaufnahme des Patienten erfasst. 

Diese Daten werden über eine Satellitenverbindung in Echtzeit an einen Notarzt am Boden gesendet. Über dieselbe Datenverbindung kann er mit dem Patienten reden und Behandlungsempfehlungen an einen Helfer oder das Bordpersonal geben. Auch die Frage, ob eine außerplanmäßige Zwischenlandung notwendig ist, soll so qualifizierter entschieden werden können.

Die technischen Möglichkeiten für dieses System wurden vor zehn Jahren geschaffen. Damals startete Connexion, ein Tochterunternehmen des Flugzeugbauers Boeing, das satellitengestützte Breitbandinternet für Flugzeuge, Lufthansa bot dies unter dem Namen "FlyNet" an. Die hohen Übertragungsraten ermöglichten schon damals die Übermittlung von Audio- und Videosignalen.

Lufthansa erkannte das Potenzial und startete 2003 einen erfolgreichen Pilotversuch für das Telemedizinsystem. Doch von einer breiten Anwendung war man noch weit entfernt. Es mangelte schlicht an geeigneten Geräten, die die möglichen Bandbreite optimal ausnutzen, beklagte damals der oberste Arzt der Lufthansa, Professor Uwe Stüben. In einem Konsortium, das unter anderem aus der Berliner Charité und dem Telemedizin-Spezialisten GHC Global Health Care und der Lufthansa bestand, begann man mit der Entwicklung des Notfallsystems TCS. 

2004 erhielt das Konsortium sogar eine Innovationsförderung von der Technologiestiftung Berlin. Doch im Sommer 2006 kam der Rückschlag - die Boeing-Tochter Connexion stellte ihr Internetangebot ein. Damals hieß es, die Nachfrage sei zu gering, lediglich zwölf Airlines hätten den Service angeboten. Für TCS war damit die technische Basis weggebrochen.

Nun kommt wieder Leben in das Projekt: Im Oktober vergangenen Jahres verkündete die Lufthansa einen Neustart ihres "FlyNet". Mitte 2010 wolle man gemeinsam mit dem neuen Partner Panasonic wieder in das satellitengestützte Breitbandinternet an Bord einsteigen. Gleichzeitig soll dann das TCS-Projekt wieder reanimiert werden. Schon im Sommer, so hört man, könnten dann erste Tests laufen.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Innovationsfondsprojekt

Asklepios testet virtuelle Klinikstationen

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Neurologische Entwicklungsstörungen

Epilepsie in der Schwangerschaft: Start mit Lamotrigin empfohlen

Lesetipps
Ein Mann hat Kopfweh und fasst sich mit beiden Händen an die Schläfen.

© Damir Khabirov / stock.adobe.com

Studie der Unimedizin Greifswald

Neurologin: Bei Post-COVID-Kopfschmerzen antiinflammatorisch behandeln

Der gelbe Impfausweis

© © mpix-foto / stock.adobe.com

Digitaler Impfnachweis

eImpfpass: Warum das gelbe Heft noch nicht ausgedient hat

Ein Aquarell des Bundestags

© undrey / stock.adobe.com

Wochenkolumne aus Berlin

Die Glaskuppel zum Ampel-Aus: Eigenlob und davon in rauen Mengen