E-Health
Spielregeln für Big Data fehlen
Bei der Verwendung von Patientendaten für eine optimierte medizinische Versorgung fehlt ein Regelwerk, monieren E-Health-Experten. Auch die Biotechnologie-Branche meldet sich zu Wort.
Veröffentlicht:BERLIN. Big Data beflügelt immer mehr die Fantasien der verschiedensten Akteure im Healthcare-Sektor – von der app-basierten Medizintechnik bis zur stratifizierten Medizin. Abgesehen von der Forschung und Entwicklung besitzt Big Data grundsätzlich für das gesamte Gesundheitswesen eine hohe Relevanz, so der Konsens der Konferenz "Big Data konkret" am Dienstag in Berlin.
Ausgerichtet wurde die Veranstaltung von der Begleitforschung des Technologieprogramms "Smart Data – Innovationen aus Daten" des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie gemeinsam mit dem Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) und der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF).
Ruf nach einheilticher Infrastruktur
"Zum jetzigen Zeitpunkt ist entscheidend, dass wir eine einheitliche Infrastruktur schaffen, auf der die zahlreichen Produkte angewendet werden können", postulierte bvitg-Geschäftsführer Ekkehard Mittelstaedt.
Würde der Mehrwert deutlich vermittelt, den der Einsatz datengestützter IT-Systeme für die Gesundheitsversorgung mit sich bringe, würden auch die Anwender in ihrem Willen gestärkt, zu handeln, so Mittelstaedt ergänzend.
Das Potenzial der Branche wird als sehr groß eingeschätzt: Ob Blutwerte, Vitalwerte, Röntgenbilder und Ultraschall-Aufnahmen oder Angaben zur Medikation – Patienten- und Gesundheitsdaten seien äußerst divergent und sehr sensibel.
Von der Strukturierung und der Analyse dieser Daten verspricht sich die Forschung laut bvitg eine Revolution der Versorgungsqualität.
Versorgung durch Big Data verbessern
"Mit einer effizienten Auswertung von Patienten- und Gesundheitsdaten wären wir in der Lage, die Versorgung in Deutschland deutlich zu verbessern, erläuterte Professor Wilhelm Stork, Gesundheitsexperte der Smart-Data-Begleitforschung und Direktor am FZI Forschungszentrum Informatik.
Und Storck weiter: "Hätten wir die Diagnosen und Behandlungsdaten von 80 Millionen Bürgern zuzüglich Daten zum Gesundheitsstatus, könnten wir wissenschaftlich belegen, welche Maßnahmen bei welchen Erkrankungen am effizientesten wirken."
"Heute hätten wir dagegen zu viele teure Operationen und Medikamente, die eine schlechtere Gesundheitsversorgung erzeugten als in anderen Ländern," kritisierte Stork.
Um die Bandbreite der Anwendungsfelder von E-Health vor Augen zu führen, verwies Stork unter anderem auf das Smart-Data-Leuchtturmprojekt "KDI – Klinische Datenintelligenz". Dort würde erforscht, wie durch das Zusammenführen und Auswerten unterschiedlicher Gesundheitsdaten die Behandlung von Patientinnen und Patienten bei Brustkrebs oder nach einer Nierentransplantation verbessert werden kann.
Fokus auch auf Evidenz
Im Projekt SAHRA, das für "Smart Analysis – Health Research Access" steht, entwickelten die Forscher ein System, mit dem Abrechnungs-, Behandlungs- sowie Studiendaten rechtskonform analysiert und für die Versorgungsforschung zugänglich gemacht werden können, ergänzte er.
"Im Rahmen medizinischer Behandlungen werden immer mehr Daten produziert," erinnerte TMF-Geschäftsführer Sebastian Semler die Konferenzteilnehmer. Insbesondere im stationären Bereich erzeugten Untersuchungen wie Röntgen, CT, MRT oder Blutuntersuchungen eine große Menge an heterogenen Daten, konkretisierte er. Hinzu kämen ärztliche Berichte und Behandlungsverläufe in den elektronischen Akten der Krankenhausinformationssysteme.
Die Forschung mit diesen Daten biete Potenzial für Ergebnisse, die, etwa in Form individuellerer Therapien, direkt der Patientenversorgung zugutekämen. Bevor dies möglich werde, müsse jedoch eine Vielzahl von Herausforderungen angegangen werden, um die Verfügbarkeit, Verknüpfbarkeit und Verwertbarkeit dieser Daten zu verbessern, so Semler. "Zudem", so mahnte er an, "muss begleitende Forschung sicherstellen, dass auch Big-Data-Analysen evidenzbasiert eingesetzt werden können."
In einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme zu Big Data im Gesundheitswesen fordert die Arbeitsgruppe Bio-IT und Big Data des Biotechnologieindustrieverbands BIO Deutschland indes, bei der Anpassung des deutschen Datenschutzrechts an die EU-Datenschutzgrundverordnung eine rechtliche Grundlage dafür zu schaffen, dass Daten zum Zwecke der Forschung und Entwicklung und zum Wohle des Patienten genutzt werden können.
Eine Vereinheitlichung von nationalen Datenschutzgesetzen, die Integration von Medizindaten durch die Erarbeitung von Interoperabilitätsstrukturen und eine zeitnahe Einführung sämtlicher Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte sind weitere Empfehlungen des Verbandes.
"Gesamtgesellschaftlicher Mehrwert"
"Ein gesamtgesellschaftlicher Mehrwert von Big Data kann besonders dann erzeugt werden, wenn innovative Forschungsarbeiten von digitalen Daten profitieren können. Hier besteht ein erhebliches Potenzial zur Verbesserung von Forschungsansätzen, insbesondere bei chronischen und seltenen Erkrankungen. Dazu sind aber Anpassungen im Datenschutzgesetz dringend notwendig", erklärt Martin Pöhlchen, Leiter der AG Bio-IT und Big Data.
Auch die Gewährleistung der Interoperabilität der zur Verfügung stehenden Daten sei außerordentlich wichtig. Denn nur die Vernetzung von verschiedenen Informationen erlaube es, wichtige neue Erkenntnisse über Ursachen von Krankheiten oder den Krankheitsverlauf zu gewinnen und damit neue diagnostische und therapeutische Lösungen zu entwickeln.
e-Gesundheitskarte wichtig
"Die zeitnahe Einführung der Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte ist dafür unabdingbar", konstatiert Pöhlchen weiter aus.
Zum Hintergrund seiner Forderung erläutert der Verband, dass die Verknüpfung und der Vergleich anonymisierter genetischer, klinischer und epidemiologischer Patientendaten eine gezielte Bewertung erlaube, ob bekannte genetische Veränderungen ursächlich für eine Erkrankung sind oder aber neu bewertet werden müssten.
So sei es beispielsweise gelungen, den Einfluss eines Gens neu einzuordnen, das – wenn verändert – Brustkrebs verursachen könne. Es sei daher wichtig, beim Ausbau der elektronischen Gesundheitskarte und einer geeigneten Telematikstruktur auf das Wissen und die Fachkenntnisse von Biotechnologieunternehmen zurückzugreifen, bringt sich der Verband bei den politischen Akteuren in Erinnerung.