COVID-19
Ärzte in Japan zweifeln an Corona-Reinfektions-Theorie
Können Menschen nach durchgemachter Erstinfektion ein zweites Mal an COVID-19 erkranken? Fälle aus Japan und China sollen darauf hinweisen. Doch nicht nur Ärzte in Japan zweifeln an der Theorie, wie eine Umfrage der „Ärzte Zeitung“ zeigt.
Veröffentlicht:Tokio. Zwei Meldungen aus Japan und China über Patienten, die nach Genesung angeblich erneut an dem neuartigen Coronavirus (COVID-19) erkrankt sind, sorgen international für eine wissenschaftliche Debatte unter Ärzten – wobei deutliche Zweifel an der Theorie aufkommen.
Zuerst meldete das japanische Gesundheitsministerium am 26. Februar von einer ausländischen Staatsbürgerin in ihren Vierzigern, die als Reiseführerin eine Touristengruppe aus dem chinesischen Wuhan durch Japan begleitet hatte, und bei der zunächst am 29. Januar eine Infektion mit SARS-CoV-2 festgestellt worden sei.
Am 1. Februar sei sie aus dem Krankenhaus entlassen worden und habe sich zu Hause weiter erholt – laut aktueller Richtlinien in Japan können infizierte Patienten das Krankenhaus verlassen, wenn ein Test 48 Stunden, nachdem sie keine starken Symptome aufwiesen, negativ ausfällt, und wenn ein weiterer Test zwölf Stunden später ebenfalls negativ ist.
Die Frau wurde nach Ministeriumsangaben am 6. Februar erneut getestet – das Ergebnis war negativ, sie schien geheilt. Doch am 19. Februar traten bei der Frau wiederum Beschwerden wie Husten, Hals- und Brustschmerzen auf. Ein neuerlicher Test am 26. Februar ergab zum zweiten Mal ein positives Testergebnis auf COVID-19.
Am 27. Februar berichteten Ärzte um Dr. Haibo Xu und Dr. Yirong Li vom Zhongnan Hospital der Universität Wuhan im JAMA (online 27. Februar) über vier COVID-19-Patienten aus den Reihen des medizinischen Personals, die nach der Heilung zunächst virusfrei waren, in den Wochen danach aber mehrmals erneut positiv auf das SARS-CoV-2 getestet worden waren. Allerdings hieße dies jedoch nicht per se, dass diese Personen nach Reinfektion weiter andere anstecken könnten, so die chinesischen Wissenschaftler.
Fall von Pseudo-Negativität?
Experten versuchen nun zu ergründen, ob die Patientin zwischendurch tatsächlich vollständig geheilt gewesen war und sich erneut angesteckt hat, oder ob das Virus weiter in ihrem Körper war, wenn auch in kleineren Mengen, wodurch es bei dem Test Anfang Februar nicht entdeckt worden sei.
Die japanische Ärztin Dr. Sae Ochi stützt letztere Theorie. „Ich glaube, es handelt sich um einen Fall von Pseudo-Negativität bei dem zweiten Test anfang Februar“, erläutert Ochi, die am Jikei University Katsushika Medical Center im Nordosten Tokios als Dozentin in der Abteilung für Labormedizin arbeitet, im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“.
Obwohl die Frau als „geheilt“ diagnostiziert worden sei, habe sie vermutlich das Virus weiter in sich getragen – nur der Test habe es eben nicht detektiert, glaubt Ochi. „Es ist nicht ungewöhnlich bei Infektionskrankheiten, dass sich diese durch die exzessive Reaktion des Immunsystems in der späten Phase der Krankheit verschlimmern“, untermauert sie ihre Annahme.
Derzeit sei ihr Team im Labor damit beschäftigt, in ihrer Einrichtung die Einführung geeigneter PCR-Tests vorzubereiten, um Patienten auf das Coronavirus testen zu können.
Zeitspanne zu kurz für Reinfektion?
Ochi steht mit ihrer Einschätzung in puncto COVID-19-Reinfektion nicht alleine da. „Ich sage nicht, dass eine Reinfektion niemals vorkommen kann, aber in so kurzer Zeit ist das unwahrscheinlich“, äußerte sich zum Beispiel der Virologe Florian Krammer von der Icahn School of Medicine im Krankenhaus Mount Sinai in New York, gegenüber der „New York Times“. Selbst sehr milde Infektionen sollten bei einem sich erholenden Patienten für eine gewisse, wenigstens kurzzeitige Immunität sorgen.
Auch er vermute, dass die vermeintlich reinfizierten Patienten noch sehr niedrige Level des Virus aufwiesen, die Tests nicht entdeckten.
Im Fall von Masern zum Beispiel könnten die sehr sensiblen PCR-Tests noch Monate, nachdem die Patienten erkrankt waren, Überbleibsel des Virus im Körper nachweisen, so Krammer.
Möglich sei auch, dass im Fall der in Osaka erkrankten Patientin der Test Anfang Februar unzureichend durchgeführt wurde oder die Probe bei unpassenden Temperaturen gelagert wurde und dadurch verdarb. Wenn sich zum Zeitpunkt des Tests an der Stelle im Hals, wo der Abstrich durchgeführt wird, gerade kein Virus befand, könne der Test laut Krammer ebenfalls negativ ausfallen.
Hemmt die Sommerolympiade die Testfreudigkeit in Nippon?
In Japan gehen derweil Gerüchte um, wonach die Regierung – wenige Monate vor den am 24. Juli startenden Olympischen Spielen in Tokio – die Durchführung von PCR-Tests auf SARS-CoV-2 bewusst verschleppe, um die Zahlen der bestätigten Fälle möglichst niedrig zu halten. Im Gegensatz zu anderen Ländern solle die Zahl der Getesteten erst wenige tausend Personen betragen.
Japans Premierminister Shinzo Abe übte sich derweil am Samstag bei einer Pressekonferenz in Tokio in der Schadensbegrenzung. Er kündigte ein weiteres Notfallpaket in Höhe von 270 Milliarden Yen (2,27 Milliarden Euro) in zehn Tagen an, um die Folgen des Virus abzumildern, sowie eine Reihe weiterer Maßnahmen.
Laut Abe sollen etwa die Bettenkapazitäten zur Behandlung von COVID-19-Patienten in den Kliniken landesweit von derzeit 2000 auf 5000 erhöht werden. Außerdem solle mit Freiwilligen eine In-vivo-Beobachtungsstudie mit drei bei Influenza zugelassenen Impfstoffen durchgeführt werden.
Offensichtlich Lieferengpässe bei Test-Kits
Laut Abe sollen die Testkapazitäten auf 4000 täglich erhöht werden, wozu allen universitären und privaten Forschungslabors Testkits zugesandt würden. Laborärztin Ochi würde sich darüber freuen – und stellt resignierend fest, dass es derzeit Probleme bei der Beschaffung der nötigen Ausrüstung gebe.
Da dieser Tage auch andere Länder in großem Umfang diesen Test durchführten, ist es laut Ochi schwierig, entsprechende Geräte und Reagenzien dafür zu bekommen – gibt es offensichtlich Lieferengpässe. Es fehle zudem an Objektträgern für die Patientenproben, was ebenfalls zur Stagnation bei der Zahl der angebotenen Tests führe. „Und da es keine Informationen über die Pseudo-Positivität und Pseudo-Negativität gibt, können wir nicht entscheiden, wie wir die Testergebnisse zu interpretieren haben“, beschreibt Ochi ihre Dilemma-Situation.
Neuer Test soll Diagnostik beschleunigen
Die Präfektur Kanagawa und Japans größter Forschungsverbund Riken teilten unterdessen am Freitag mit, man eine neue Testmethode entwickelt zu haben, wodurch sich die Dauer der COVID-19-Diagnostik drastisch von bis zu sechs Stunden derzeit auf gerade einmal 15 bis 30 Minuten verkürzen ließe. Mit der neuen Methode sei es nicht nötig, die Temperatur gemischter Proben zu erhöhen und zu senken, wie dies beim PCR-Test der Fall ist. Laut Premier Abe soll dieser neuartige Test ab März landesweit verwendet werden.
Auch das National Institute of Advanced Industrial Science and Technology und das Unternehmen Kyorin Pharmaceutical gaben laut Nachrichtenagentur Kyodo vor Kurzem bekannt, eine Technologie entwickelt zu haben, die die Testauswertung auf 15 Minuten verkürze. Demnach hätten auch die japanischen Chemie-Unternehmen Tosoh und Fujifilm Wako Pure Chemical mit der Entwicklung schnellerer Tests begonnen.
Staat übernimmt Testkosten
Zuletzt häuften sich in Japan Meldungen über Fälle, wonach Personen, die über Krankheitssymptome klagten, beim zuständigen Gesundheitsamt nicht zu den Tests zugelassen worden seien, da sie bestimmte Kriterien – vier Tage Fieber über 37,5 Grad, bei Senioren zwei Tage – nicht erfüllt hätten. Nun sollen Personen, die eine Infektion vermuten, diese auch direkt bei privaten Testanbietern durchführen lassen können, so Abe. Die Kosten dafür würden – entgegen der bisherigen Praxis – vom Staat erstattet.In Japan waren bis Sonntag mehr als 950 SARS-CoV-2-Infektionsfälle bestätigt worden – allein 705 Infektionen beträfen Passagiere, die sich auf dem Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“ aufgehalten hatten, das in Yokohama zwei Wochen lang zur Quarantäne vor Anker lag.
Vorsichtsmaßnahmen mit Nebenwirkungen
Fast alle Arbeitsplätze in Japan seien von dem Coronavirus-Ausbruch in irgendeiner Form betroffen, konstatiert Laborärztin Ochi. So seien auch in ihrem Krankenhaus alle Konferenzen sowie das Trainingsprogramm für Medizinstudenten gestoppt worden. Das neuartige Coronavirus hänge wie ein Damoklesschwert über dem Versorgungsalltag. „Jedes Mal, wenn es Patienten gibt, bei denen man COVID-19 vermutet, bricht unter den medizinischen Angestellten eine kleine Panik aus und sie diskutieren, ob sie sich nun um die Person kümmern können oder nicht“, berichtet Ochi.
Von der Maßnahme der Abe-Regierung, bis Anfang April sämtliche Schulen im gesamten Land zu schließen, und nicht nur die in den stark betroffenen Präfekturen – könne sie nicht nachvollziehen. Diese Maßnahme schade sogar den Angestellten im Gesundheitswesen, davon viele Frauen mit kleinen Kindern, die niemanden hätten, der in der Zeit auf ihre Kinder aufpassen könne.
„Diese Maßnahme ist eine schwere Belastung für arbeitende Frauen“, so Ochi. „Krankenhäuser sind von Frauen dominierte Arbeitsplätze, da über 90 Prozent des Pflegepersonals, der Köche und der Büroangestellten Frauen sind.“
Schulschließung ohne wissenschaftliche Begründung?
Die Regierung ist bisher eine Bestätigung darüber, dass es eine wissenschaftliche Grundlage für die Entscheidung zur Schulschließung gebe, schuldig geblieben. „Es war eine politische Entscheidung und nicht ein Vorschlag, der auf medizinischem Wissen beruhte“, sagte Masaki Yoshida, Professor an der Jikei University School of Medicine, der der Japanese Society for Infection Prevention and Control vorsteht, der Zeitung „Mainichi“ am 29. Februar.
Auch der Arzt Masaharu Tsubokura, Leiter des Forschungszentrums für Gesundheitswesen am Krankenhaus von Minami-Soma in Fukushima, hält von Abes Entscheidung nichts. „Es ist kein guter Weg, die Schulen zu schließen, denn erstens haben Senioren die erste Priorität bei der Prävention der Verbreitung des Virus, und zweitens können viele Pfleger und Krankenschwestern ihrer Arbeit in den Krankenhäusern nicht nachkommen, weil ihre Kinder nicht zur Schule gehen“, sagte er im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“.