Adipositas
Bariatrische Op auch ohne Zusage der Kasse?
Wenn der Antrag eines Adipositas-Patienten auf eine bariatrische Operation abgelehnt wird, bringt das Ärzte in eine schwierige Situation. Denn oft verschlechtert sich der Zustand des Betroffenen.
Veröffentlicht:HEIDE. Von einer zunehmenden Zahl an hilfesuchenden adipösen Patienten berichtet Adipositaschirurg Dr. Steffen Krause am Westküstenklinikum (WKK) Heide. Bei Patienten, bei denen alle anderen Mittel ausgeschöpft sind, entscheidet er sich zum Teil auch ohne Bewilligung der Krankenkasse für eine bariatrische Operation.
Ab einem BMI von 45 hält Krause eine bariatrische Operation für unumgänglich. Von Krankenkassen und Medizinischen Diensten wird dies oft anders eingeschätzt. Mit dem Ergebnis, dass sich viele Patienten während des Streits um die Bewilligung zurückziehen und weiter zunehmen.
Der Adipositaschirurg nennt als Beispiel eine Patientin mit einem BMI von 60. Diese hatte bereits im Jahr 2011 auf eine bariatrische Operation, damals an einem anderen Haus, gehofft. Ihr Hausarzt hatte sie an ein Krankenhaus verwiesen, das entsprechende Eingriffe vornimmt. Der bei der Krankenkasse eingereichte Antrag war damals vom MDK abgelehnt worden und die Operation wurde nicht vorgenommen.
Die Frau klagte vor dem Sozialgericht, das Verfahren läuft noch immer. Seitdem haben sich Gesundheit und Lebensqualität der Frau weiter verschlechtert. Als sie in diesem Jahr in Heide vorstellig wurde, entschloss sich Krause trotz des Kostenrisikos zur Operation, die kürzlich im WKK stattgefunden hat.
Honorar für Op einklagen
Krause ist froh, dieser Patientin endlich helfen zu können. Das Honorar für den Eingriff wird das Haus von den Krankenkassen einklagen, wenn diese weiter nicht auf die Argumente eingehen. Das WKK nimmt dieses Risiko trotz eines abschlägigen Bescheids des MDK in Kauf, damit der nach Ansicht Krauses überfällige Eingriff erfolgen kann. "Die Patientin ist kein Einzelfall. Nach einem ablehnenden Bescheid ziehen sich viele adipöse Patienten zurück – mit problematischen körperlichen und psychischen Folgen", sagt Krause.
Der Adipositaschirurg hat zuvor das Adipositas-Zentrum Nord in Tönning geleitet. Er beobachtet immer wieder, dass adipösen Patienten in Deutschland zu spät oder gar nicht geholfen wird. Dabei sieht Krause nicht die Krankenkassen und den MDK allein in der Pflicht.
"In unserer Gesellschaft bestehen noch immer zu viele Vorurteile gegenüber adipösen Menschen. Die Frage der Eigenverantwortung wird in dieser Diskussion immer wieder in den Vordergrund gestellt", sagt Krause. Diese Eigenverantwortung dürfe aber nicht dazu führen, dass die Patienten ihrem Schicksal überlassen werden – genau das geschehe jedoch in zahlreichen Fällen.
Oft verweisen Krankenkassen auf bestehende Hilfsangebote und Kurse, die den Patienten beim Abnehmen helfen sollen. Viele dieser Angebote hält der Chirurg aber nicht für zielführend. Bestätigt fühlt er sich nicht nur durch die steigende Zahl von Patienten. In seiner Fachgesellschaft sehen viele seiner Kollegen in der ablehnenden Haltung der Kostenträger Methode, weil diese angesichts der großen Zahl potenzieller Patienten eine Kostenlawine befürchten. Das darf nach Ansicht von Krause aber kein Grund für die hohe Zahl der Ablehnungen sein.
"Es geht nicht um Lifestyle"
Hinzu kommt: Zwei Drittel der Ablehnungen sind nach seiner Erfahrung Fälle, in denen laut Leitlinien operiert werden muss. "Wir reden hier nicht von Lifestyle oder von einem Abspecken von fünf Kilo nach Weihnachten. Wir reden über schwer kranke Menschen mit einem BMI von 45 oder höher – und da hilft nur noch eine Operation", sagt Krause.
Er fordert deshalb eine Gesetzesänderung, mit der die Einzelfallentscheidung für bariatrische Operationen ab einem bestimmten BMI aufgehoben wird. So lange das nicht passiert, verfahren immer mehr Adipositaszentren in Deutschland wie Krause im Fall der Patientin mit einem BMI von 60: Sie operieren auch ohne Kostenübernahme-Erklärung der Krankenkassen.