Glutamat unter Verdacht
Der Chop-Suey-Schwindel
Wenn es einem nach dem Verzehr von chinesischem Essen schwindelig wird, muss das nicht am Pflaumenwein liegen: Geschmacksverstärker rücken in den Fokus.
Veröffentlicht:DÜSSELDORF. Der 53-jährige Mann wurde mit ausgeprägtem Schwindel in die Notaufnahme eingeliefert, berichten Ärzte um Professor Bernd Kieseier von der Universität in Düsseldorf.
Er war aufgrund seiner Ganginstabilität nicht mehr in der Lage, selbstständig zu gehen. Die Symptome traten 30 Minuten nach dem Verzehr scharfer chinesischer Würstchen auf.
Kein Tumor, kein Infarkt, kein Morbus Menière
Um einen Tumor sowie einen Hirninfarkt auszuschließen, veranlasste das Team um Kieseier eine ausführliche Diagnostik inklusive kranieller MRT und diffusionsgewichteter Bildgebung. Gegen einen Morbus Menière sprachen die klinischen Zeichen.
Laborwerte einschließlich der Elektrolyte waren unauffällig, das Hörvermögen zeigte keine Defizite.
Aus diesen Gründen gingen die Ärzte zunächst von einer Neuronitis vestibularis aus und waren völlig überrascht, als der Schwindel nach einer Stunde komplett verschwand. Eine mögliche Erklärung: das China-Restaurant-Syndrom.
Hohe Dichte von Glutamatrezeptoren im Corti-Organ
Ein chinesischstämmiger US-Arzt hat das Syndrom erstmals 1968 beschrieben - nach Besuchen in Chinarestaurants klagte er regelmäßig über diverse Beschwerden.
Vermutet wird seither ein Zusammenhang mit den häufig bei chinesischen Speisen verwendeten Glutamat-Geschmacksverstärkern.
Allerdings konnte Glutamat als Ursache der Beschwerden nie eindeutig überführt werden, viele Experten gehen von einem Noceboeffekt aus: In Studien bekamen Probanden mit vermeintlicher Glutamat-Unverträglichkeit bereits entsprechende Symptome, wenn sie nur glaubten, glutamathaltige Speisen verzehrt zu haben.
Nichtsdestotrotz kann es natürlich sein, dass manche Menschen besonders empfindlich auf den Geschmacksverstärker reagieren.
Natriumglutamat wirkt auf vestibuläres System
Kieseier und Mitarbeiter verweisen auf die hohe Dichte von Delta-1-Glutamatrezeptoren im Corti-Organ, vor allem im Bereich der inneren Haarzellen.
"Es wäre daher durchaus plausibel, wenn Natriumglutamat direkt auf das vestibuläre System einwirkt und Schwindel verursacht", erläutern die Neurologen.
Als Geschmacksverstärker ist Glutamat in den meisten EU-Ländern praktisch uneingeschränkt zugelassen, Tageshöchstdosen existieren in der Regel nicht.
Deutschland hat Natriumglutamat lediglich in Babynahrung verboten. Der Geschmacksverstärker ist an den E-Nummern E 620 bis E 625 erkennbar.