HINTERGRUND
Qualitätsdefizite in der Altenpflege zeigen sich gerade am Beispiel der Demenzkranken besonders kraß
STICHWORT
Demenzkranke
Rund eine Million Demenzkranke gibt es in Deutschland, sie werden in der Regel von Angehörigen zu Hause versorgt. 80 Prozent der Kranken bleiben in der Familie, sehr oft ist eine einzige Person für die Pflege zuständig. Die Folge: Angehörige sind extrem belastet - psychisch, physisch, oft aber auch finanziell. Die Zahl der Menschen, die Pflege zu Hause leisten können, wird in Zukunft drastisch abnehmen. In Deutschland werden immer weniger Kinder geboren, die als Erwachsene häusliche Pflege übernehmen könnten. Erforderlich ist deshalb der konsequente Ausbau der Altenpflege in Deutschland. Auf Dauer wird Heimpflege drastisch an Bedeutung gewinnen.
Die Defizite in der Altenpflege zeigen sich ganz besonders kraß bei Demenzkranken. Immer weniger Menschen können sich die hohen Kosten der Betreuung leisten. Und die Qualität in der Pflege läßt immer noch zu wünschen übrig. Am guten Willen fehlt es sicher nicht. Doch wo sind die Rezepte zur Umsetzung der bei Verbänden und Organisationen recht konkreten Vorstellungen von einer optimalen Pflege?
Eine Million Demenzkranke soll es in Deutschland geben. Bis zum Jahr 2040 verdoppelt sich diese Zahl, glaubt man Dr. Johannes Hallauer, Gesundheitssystemforscher an der Charité Berlin. Demenz sei die Hauptursache für die Inanspruchnahme stationärer Pflege, mindestens 60 Prozent der Pflegeheimbewohner seien demenzkrank, meist schon in fortgeschrittenem Stadium, sagte Hallauer bei einer Veranstaltung des Zukunftsforums Demenz, einer Initiative des Unternehmens Merz.
Heimkosten liegen zwischen 2000 und 3000 Euro im Monat
Die Zahl der betroffenen Menschen nimmt zu, die Bezahlbarkeit der Versorgung nimmt ab. So liegen die monatlichen Heimentgelte je nach Pflegestufe derzeit zwischen 2000 und 3000 Euro. Der Durchschnittsrentner bekommt heute aber nur 900 Euro pro Monat oder weniger.
Das Hauptproblem seien daher die Finanzen, konstatierte Ulrich Laschet, Bundesgeschäftsführer des Sozialverbandes VdK. Denn die realen Renten sinken, und zwar nicht nur wegen der aktuellen Gesetzgebung und der Regelungen zur Pflegeversicherung, die die Rentner zusätzlich belasten.
So gibt es im Erwerbsleben vieler Menschen immer mehr Lücken. Die Erwerbstätigkeit verliere ihre Rolle als wichtigste Unterhaltsquelle, sagt Laschet. Nur noch für 40 Prozent der Deutschen sei das Erwerbseinkommen die wichtigste Unterhaltsquelle - vor zehn Jahren war es das noch für 45 Prozent der Deutschen. Der Anteil der Arbeitslosen und Vorruheständler steigt. Knapp vier Prozent der Bevölkerung leben in diesem Jahr überwiegend von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe (in den neuen Bundesländern und Berlin sind es neun Prozent), 23 Prozent der Bevölkerung leben von Renten und Pensionszahlungen. Vor allem Frauen sind abhängig von Leistungen, die Angehörige erbringen.
Angesichts fehlender Qualitätsstandards in der Pflege fragt man sich, wie hoch die Kosten erst einmal sein werden, wenn solche Standards irgendwann einmal aufgestellt werden. Im vierten Altenbericht der Bundesregierung war bereits vor zwei Jahren die Empfehlung ausgesprochen worden, eine unabhängige nationale Instanz zu errichten, die solche Qualitätsstandards entwickeln könnte. "Bisher sehen wir diese zentrale Instanz nicht", stellte Hallauer nüchtern fest. Und Diplom-Pflegewirtin Susanne Teupen von der Charité ergänzt: "In Deutschland gibt es eigentlich nur einen Dekubitus-Pflegestandard."
Die Qualitätsdefizite in deutschen Pflegeheimen zählte Dr. Peter Pick, Leiter des medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der GKV auf: In jedem zweiten Heim gebe es keine individuellen Pflegeziele, existiere ein Pflegekonzept, werde es in 42 Prozent der Fälle nicht umgesetzt. In jedem dritten Haus gebe es keine fachgerechte Planung der Pflegeprozesse, die Bedarfsmedikation werde nicht inhaltlich festgelegt, die Inkontinenzversorgung sei oft mangelhaft.
Ganz zu schweigen von der personellen Ausstattung: Nur jede fünfte Mitarbeiterin ist nach Angaben von Hallauer eine ausgebildete Altenpflegerin, zehn Prozent der Beschäftigten haben eine Krankenpflegeausbildung - der Rest sind berufsfremde oder ungelernte Kräfte. Dabei muß das Rad noch nicht einmal neu erfunden werden, wenn es um die Erstellung moderner Pflegekonzepte, insbesondere für Demenz-Patienten, geht: Da genüge bereits ein Blick über den großen Teich in die USA, sagt Teupen.
Von Gefühls- und Beziehungsarbeit spricht sie, von Realitätsorientierungstraining, von "Autonomie erhalten" und "aktivierender Pflege" ist die Rede bis hin zu einer menschenwürdigen Architektur der Heime. Konzepte sind vorhanden. Andererseits verhindert ein Dickicht an Rechtsvorschriften die Umsetzung, etwa wenn ein Polstersessel nicht im Flur aufgestellt werden darf wegen der Brandschutzverordnung.
Strukturqualität geht immer noch vor Pflegequalität
Qualität müsse auch meßbar sein, sagt Teupen und sieht wie Hallauer den derzeitigen Zertifizierungsboom von Pflegeheimen eher skeptisch. Bei den Anlaß- und Stichproben-bezogenen Qualitätsprüfungen des MDK werde mehr Wert auf die Strukturqualität gelegt, etwa die bauliche Situation, als auf Pflegequalität.
Und auch ein Vertreter der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft meint: "Ein neues Qualitätssiegel bringt’s wohl nicht!" Das macht es für die Angehörigen nicht leichter, eine passende Einrichtung zu finden. Vorschriften zur Qualitätssicherung im Sozialgesetzbuch nutzen zudem gar nichts, wenn sie nicht bekannt sind oder Angehörige sogar Angst davor haben, etwas zu kritisieren, weil sie fürchten, dies könnte sich negativ auf die Pflegebedürftigen auswirken.
FAZIT
In der Altenpflege gibt es in Deutschland immer noch krasse Qualitätsdefizite. Das zeigt sich gerade bei der Betreuung Demenzkranker. Moderne Pflegekonzepte gibt es kaum, ganz zu schweigen von einheitlichen Qualitätsstandards. Würden die aber erst einmal eingeführt. würden die Kosten in die Höhe schnellen. Ein Teufelskreis, der wieder einmal die Frage der Finanzierung von Pflege und Pflegeversicherung aufwirft.
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