Geistig auf Zack
So baut das Hirn langsamer ab
Wer im Alter geistig aktiv ist, bekommt seltener eine Demenz. Offenbar scheinen geforderte Hirnzellen tatsächlich den geistigen Abbau zu bremsen und nicht nur umgekehrt, die Demenz die geistige Aktivität.
Veröffentlicht:CHICAGO. Können ältere Menschen noch problemlos Kreuzworträtsel lösen, bei philosophischen Diskussionen mithalten oder sich an der Lektüre anspruchsvoller Literatur erfreuen - dann sind die Chancen gut, die nächsten Jahre ohne Demenz zu überstehen.
Die interessante Frage ist nun: bleibt die Demenz aufgrund der geistigen Aktivität fern, oder können solche Menschen nur deswegen noch so geistig rege sein, weil das Schicksal für sie keine Demenz vorgesehen hat und keine Neurodegeneration ihre intellektuellen Fähigkeiten trübt? Was Ursache und was Wirkung ist, lässt sich hier nur schwer erkennen.
Mit einem interessanten Ansatz haben nun Forscher um Dr. Robert S. Wilson vom Rush Alzheimer's Disease Center in Chicago versucht, die Richtung der Kausalität zu ermitteln.
Und nach ihren Erkenntnissen kann ein hohes Maß geistiger Aktivität tatsächlich den kognitiven Verfall bremsen.
Für eine Studie haben die US-Neurologen ältere Menschen ohne Demenz befragt, womit und wie häufig sie sich aktuell geistig beschäftigen und wie sie ihr Gehirn früher auf Trab hielten (Neurology 2013; 81: 1).
Gefragt wurde etwa, wie häufig sie Bücher lasen, eine Bibliothek besuchten, Briefe schrieben oder nach bestimmten Informationen recherchierten. Anschließend wurde ihre kognitive Leistung jährlich anhand von 19 Tests untersucht.
Hirn-Degeneration untersucht
Das Besondere an der Studie: Voraussetzung für die Teilnahme war die Einwilligung an einer Hirnautopsie nach dem Tode. Dadurch konnten Wilson und sein Team feststellen, ob und in welchem Ausmaß eine Neurodegeneration stattgefunden hatte.
Nach knapp sechs Jahren standen den Forschern die Gehirne von 294 verstorbenen Teilnehmern zur Verfügung. Die Gehirne der Teilnehmer, die im Schnitt 90 Jahre lang gelebt hatten, untersuchten sie nun akribisch auf Amyloid-Plaques, Tau-Fibrillen, Lewy-Körperchen oder Zeichen von mikro- und makroskopischen Infarkten.
Anschließend verglichen die Forscher die kognitive Leistung und die geistige Aktivität vor dem Tode mit den pathologischen Befunden.
Wären geistige Aktivität und kognitive Leistung strikt an die Läsionslast gekoppelt, dann hätte bereits ein unterschiedliches Ausmaß der Neurodegeneration erklärt, weshalb manche Menschen im Alter geistig fitter und reger sind als andere und langsamer abbauen - bei ihnen gäbe es schlicht weniger Neurodegeneration.
Eine solche strikte Kopplung fand sich aber nicht. Letztlich erklärten pathologische Befunde und Unterschiede bei Alter, Geschlecht und Bildung nur ein Drittel der Differenzen beim kognitiven Abbau.
Teilnehmer mit hoher geistiger Aktivität konnten ihre geistigen Fähigkeiten also auch unabhängig von der Läsionslast länger erhalten als die geistig trägen Altersgenossen - der kognitive Abbau vollzog sich bei ihnen deutlich langsamer.
So verlief der geistige Abbau im Laufe der Studie bei den 10 Prozent der zu Studienbeginn geistig aktivsten Teilnehmer um etwa ein Drittel langsamer als im Schnitt, bei den 10 Prozent der geistig trägsten dagegen um 50 Prozent schneller. Als Maß dienten hier Änderungen im Summenscore der 19 Kognitionstests.
Lebenslange Aktivität zahlt sich aus
Ein ähnliches Bild ergab sich, wenn die geistige Aktivität im frühen Lebensalter betrachtet wurde. Bei den 10 Prozent der Teilnehmer, die in jungen Jahren geistig am aktivsten waren, verlief der kognitive Abbau im Alter ebenfalls um ein Drittel langsamer, bei den 10 Prozent der Trägsten um etwa 40 Prozent schneller als im Durchschnitt.
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass Personen, die schon früh im Leben geistig aktiv waren, es oft auch bis ins hohe Alter blieben. Letztlich geht es wohl darum, lebenslang geistig auf Zack zu sein.
Natürlich lassen sich nicht alle Unterschiede beim geistigen Abbau, die nach Berücksichtigung der Neuropathologie übrig bleiben, auf die geistige Aktivität zurückführen. Es gibt viele andere Faktoren.
Die Forscher gehen nach ihren Berechnungen davon aus, dass ein Siebtel der Unterschiede durch Differenzen bei der geistigen Aktivität bedingt sind. Wer viel liest und schreibt, kann seine geistige Gesundheit im Alter damit immerhin substanziell länger erhalten.
Die Autoren vermuten, dass sich geistig Aktive im Laufe ihres Lebens eine hohe kognitive Reserve aufbauen - die geforderten Hirnbereiche werden dadurch strukturell gestärkt, die Neurodegeneration macht sich nicht so schnell bemerkbar.
Zusätzlich gibt es auch Hinweise, dass geistige Aktivität die Neurodegeneration direkt bremst. So scheint die Beta-Amyloid-Ablagerung etwas reduziert.