Kommentar des Experten

Diabetes vererbt sich in Familien

Geschwister und Kinder von Typ-1- oder Typ-2-Diabetikern haben ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Über die Konsequenzen sollten sie aufgeklärt sein.

Von Prof. Hellmut Mehnert Veröffentlicht:

Prof. Hellmut Mehnert

© sbra

Arbeits­schwerpunkte: Diabetologie, Ernährungs- und Stoffwechselleiden. Diesen Themen widmet sich Prof. Hellmut Mehnert seit über 50 Jahren.

Erfahrungen: 1967 hat er die weltweit größte Diabetes-Früherfassungsaktion gemacht sowie das erste und größte Schulungszentrum für Diabetiker in Deutschland gegründet.

Ehrung: Er ist Träger der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Deutschen Ärzteschaft.

Diabetes ist vererbbar, und zwar besonders Typ-2-Diabetes. Die Konkordanz bei eineiigen Zwillingen beträgt bei dieser Diabetesform fast 100 Prozent, im Vergleich zu etwa 60 Prozent bei Typ-1-Diabetes. Über das erhöhte Erkrankungsrisiko und die Konsequenzen sind Blutverwandte von Patienten mit Diabetes aufzuklären.

Bei der Abklärung des Risikos für Typ-1-Diabetes ist die aufwändige Bestimmung assoziierter HLA-Typenmuster (insbesondere HLA DR3 und DR4) der Wissenschaft vorbehalten. Antikörperbestimmungen (etwa GAD) sind ebenfalls aufwändig, haben aber bereits einen gewissen praktischen Nutzen.

So ist etwa für Eltern eines Kindes mit Diabetes wichtig zu wissen, ob eine Typ-2-Erkrankung (etwa induziert durch ein massives Übergewicht) oder ein Typ-1-Diabetes vorliegt, was sich an der Bestimmung der bekannten Autoimmunmarker erkennen lässt.

Geschwister von Typ-1-Diabetikern haben ein Risiko von etwa drei Prozent, ebenfalls an Typ-1-Diabetes zu erkranken. Bei Kindern von Typ-1-Diabetikern hängt das Erkrankungsrisiko vom Alter und vom Elternteil ab: Ist die Mutter erkrankt, beträgt die Erkrankungsrate der Kinder bis zum 18. Lebensjahr ein bis zwei Prozent und im Laufe des weiteren Lebens zwei bis vier Prozent.

Interessanterweise haben Kinder eines Vaters mit Typ-1-Diabetes ein doppelt so hohes Erkrankungsrisiko: zwei bis vier Prozent bis zum 18. Lebensjahr und im weiteren Leben vier bis acht Prozent. Haben beide Eltern Typ-1-Diabetes, dann haben die Kinder ein Erkrankungsrisiko von 25 Prozent.

Trotzdem sollte man bedenken - und das wird von beratenen Müttern nicht selten angemerkt - dass selbst in dieser Konstellation die Wahrscheinlichkeit, kein Kind mit Diabetes zu bekommen, 75 Prozent beträgt. Die von manchen Genetikern ausgesprochene Warnung, dass ein Paar mit Typ-1-Diabetes keine Kinder bekommen sollte, lässt sich deswegen auch nicht generell gutheißen.

 Ein gemeinsames DiabetesManagement innerhalb einer Familie kann zudem viele Erkrankungsprobleme abmildern.

Typ-2-Diabetes hat im Vergleich eine viel stärkere genetische Komponente. Fast 60 Prozent der Geschwister von Typ-2-Diabetikern und etwa 40 Prozent der Nachkommen von Eltern mit dieser Diabetesform werden im Laufe ihres Lebens ebenfalls daran erkranken.

Haben beide Eltern Typ-2-Diabetes, dann beträgt das Erkrankungsrisiko der Nachkommen sogar 70 bis 80 Prozent. Bei bestimmten ethnischen Gruppen wie den Pima-Indianern, aber auch bei Indern, ist die hereditäre Penetranz für Typ-2-Diabetes noch weiter verstärkt.

Fast alle Typ-2-Diabetiker sind insulinresistent. Das muss aber nicht unbedingt zur Erkrankung führen. Viel wichtiger ist wohl die nachlassende Insulinproduktion der Beta-Zellen. Die polygenetische Vererbung mit 50 bis 150 Risikogenen erschwert die genetische Analyse. Welche Rolle Umweltfaktoren bei der Pathogenese spielen (Epigenetik) ist unklar.

Im Gegensatz zum Typ-1-Diabetes haben wir beim Typ-2-Diabetes eine gute Chance zur Prävention. Wegen des hohen Erkrankungsrisikos sollte Menschen, die Eltern oder Geschwister mit dieser Diabetesform haben, eine Screening-Untersuchung empfohlen werden. Durch Ernährungs- und Bewegungstherapie sowie Normalisierung des Körpergewichts können Menschen mit erhöhtem Risiko der Erkrankung vorbeugen.

In den Notzeiten von 1945 bis 1948 hatten in Deutschland nur wenige Promille der Bevölkerung Typ-1- oder Typ-2-Diabetes. Inzwischen ist bei uns die Rate der Diabetiker auf immerhin zehn Prozent der Bevölkerung angewachsen, wobei Typ-2- Diabetes klar dominiert. Prävention durch gesunde Ernährung und Bewegung ist deswegen das Gebot der Stunde, ohne dass die Menschen sich deswegen in ihrer Ernährung kasteien müssen.

Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Lesen sie auch
Mehr zum Thema

Unter 120 mmHg

Striktere Blutdruckkontrolle bei Diabetes wohl doch sinnvoll

Diagnose-Prävalenzen

Wo Autoimmunerkrankungen besonders häufig auftreten

„ÄrzteTag“-Podcast

Sind Diabetologen erleichtert über das Aus der Ampelkoalition, Herr Schwarz?

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Erhöhtes Thromboserisiko

Fallbericht: Lungenembolie bei einem Hobby-Bergsteiger

Lesetipps
Ein Mettbrötchen

© juefraphoto / stock.adobe.com

Tödlicher Einzeller im Hirn

Fallbericht: Amöbenenzephalitis nach Verzehr von rohem Fleisch?

Ärztin misst bei einer Patientin den Blutdruck

© goodluz / stock.adobe.com

Unter 120 mmHg

Striktere Blutdruckkontrolle bei Diabetes wohl doch sinnvoll