Typ-2-Diabetes

Lebensstiländerung wirksam wie potente Antidiabetika

Selbst bei fortgeschrittenem Typ-2-Diabetes lässt sich durch Lebensstiländerungen so viel erreichen wie mit einem potenten Antidiabetikum. Das zeigt eine deutsche Studie.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Walking in der Natur: Von Bewegung profitieren auch Zuckerkranke.

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© runzelkorn / fotolia.com

MANNHEIM. Seit den Erfolgen der Adipositas-Chirurgie spricht man bei Typ-2-Diabetes erstmals von einer Remission: Schon vor dem Gewichtsverlust kann man bei vielen der operierten Diabetiker Antidiabetika absetzen, und der Stoffwechsel normalisiert sich.

"Wenig beachtet wird aber, dass sich durch Lebensstiländerungen ähnliche Erfolge erzielen lassen", wie Professor Stephan Martin vom Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrum in Düsseldorf beim DGIM-Kongress berichtet hat.

So ließ sich in einer US-Studie bei elf Typ-2-Diabetikern durch eine "very low calorie diet" (VLCD) mit täglich 600 kcal binnen acht Wochen ebenfalls eine Remission herbeiführen (Diabetologia 2011; 54: 2506).

Mehr vom DGIM-Kongress

Weitere Berichte vom Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Mannheim finden Sie hier: aerztezeitung.de/dgim2016

Martin und seine Kollegen haben jetzt den Effekt einer solchen Maßnahme in der bundesweiten TeLiPro-Studie mit 200 Typ-2-Diabetikern untersucht.

Schrittzähler und Körperwaage

Die Teilnehmer der bisher noch nicht publizierten Studie hatten im Schnitt seit elf Jahren Diabetes, waren in der Mehrzahl adipös (mittlerer BMI 36) und hatten trotz Therapie mit zwei Antidiabetika (dazu gehörte zum Teil Insulin) keine befriedigende Stoffwechseleinstellung (HbA1c 8,3 Prozent).

Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip in eine Interventions- und eine Kontrollgruppe aufgeteilt. Alle erhielten einen Schrittzähler und eine Körperwaage, deren Werte automatisch an ein geschütztes Internetportal übertragen wurden.

Interventions-Patienten erhielten zudem über drei Monate jede Woche ein telemedizinisches Coaching von Diabetesberaterinnen, sie nahmen strukturierte Blutzuckerselbstmessungen vor, bekamen ein Motivationstraining und eine Diät (eine Woche Formuladiät mit 1200 kcal/ Tag, dann langsame Umstellung auf kohlenhydratarme Kost).

Ergebnis: Binnen drei Monaten sank der HbA1c in der Kontrollgruppe um 0,2 und in der Interventionsgruppe um 1,0 Prozentpunkte (primärer Endpunkt). Nach einem Jahr lag der HbA1c in der Interventionsgruppe immer noch um 0,7 Prozentpunkte unter dem Ausgangswert.

Die Reduktion gelang, obwohl in dieser Gruppe parallel orale Antidiabetika und Insulin wegen Hypoglykämiegefahr deutlich reduziert wurden.

Auch verloren die Interventions-Patienten im Schnitt 6 kg Gewicht, und ihr systolischer Blutdruck sank um 5,7 mmHg.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 19.04.201612:01 Uhr

Kein Paradigmenwechsel bei T2DM - Reversibilität nicht belegt!

Die hier zusätzlich zitierte, ältere Studie aus dem Jahr 2011 von E. L. Lim et al. mit dem Titel: "Reversal of type 2 diabetes: normalisation of beta cell function in association with decreased pancreas and liver triacylglycerol" (Diabetologia 2011; 54: 2506) unter
http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00125-011-2204-7
bezieht sich auf ganze 11 Versuchspersonen (9 Männer, 2 Frauen) im Durchschnittsalter von knapp 50 Jahren mit einem durchschnittlichen BMI von 33,6 ["49.5? +/- 2.5 years, BMI 33.6? +/- ?1.2 kg/m², nine male and two female"] mit einer täglichen 600 Kcal-Reduktionsdiät ["(600 kcal)/day diet"].
Sie suggeriert irreführend einen grundsätzlichen Typ-2-Diabetes (T2DM) Paradigmenwechsel und unterstellt eine nosologische Reversibilität dieser Stoffwechselerkrankung nicht nur durch die bariatrische Chirurgie.

Neben der hier in der ÄZ referierten, bisher noch nicht publizierten Studie von Professor Stephan Martin vom Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrum in Düsseldorf und einer Reihe von "follow-up"-Beobachtungen nach bariatrischer Chirurgie als offene Verlaufsbeobachtungen, bei denen sich aus grundsätzlich Erwägungen "Placebo"-Vergleiche verbieten, gibt es eine weitere, in ihren Schlussfolgerungen höchst spekulative Studie zur angeblichen T2DM-Reversibilität, die sich eher als "OPTIFAST"-Werbeveranstaltung liest:

Es ist "Very-Low-Calorie Diet and 6 Months of Weight Stability in Type 2 Diabetes: Pathophysiologic Changes in Responders and Nonresponders" von Sarah Steven et al. doi: 10.2337/dc15-1942 aus Diabetes Care March 21, 2016
http://care.diabetesjournals.org/content/early/2016/02/24/dc15-1942.abstract
Dazu titelt MedscapeDeutschland "Wer sich kasteit, hat gute Chancen: Britische Studie belegt, dass Typ-2-Diabetes umkehrbar ist – auch längerfristig"
http://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4904760?nlid=103807_3122#vp_4

Doch fünf inhaltlich kritische Punkte bleiben zu dieser Publikation von S. Steven:
1. Die prinzipielle Reversibilität jeder lebenslangen systemischen Stoffwechselerkrankung ist nicht durch eine gerade mal 6-monatige Erhaltungsphase beweisbar.
2. Die Wirksamkeit einer 700-Kalorien-Diät über 6 Monate ist für KHK, COPD, Z. n. ACS (akutes Koronarsyndrom) und PCI (perkutane Koronarintervention), VHF (Vorhofflimmern), PCP (primär chronische Polyarthritis) und andere rheumatische Krankheiten, ja sogar für die Adipositas permagna auch o h n e bariatrische Chirurgie wissenschaftlich zweifelsfrei belegt, o h n e dass je wissenschaftstheoretisch von einer Reversibilität konfabuliert wurde.
3. Wer eine Typ-2 Diabetes mellitus (T2DM) Kurzeit-Studie auflegt, deren Ergebnisse nur bei Kurzeit-Krankheit, bei Jüngeren und nur bei "Respondern" funktionieren, hat einen dreifachen Studien-"Bias" zu erklären.

Und wer als Kommentator dieser Studie naiv-empiristisch-heuristisch erklärt: „Typ-2-Diabetes gibt es nicht in Kriegs- und Hungerzeiten“, müsste schlicht über die in diesen Zeiten erhöhte allgemeine und spezielle Mortalität nachdenken, welche eine T2DM-Erstmanifestation konterkariert.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Maren Reed 19.04.201609:45 Uhr

LOGI hilft ...

Seit vielen Jahren ist bekannt, dass eine KH reduzierte Kost gerade in dem Bereich sehr wirksam ist. Leider wird immer nur die DGE-Empfehlung - viele KH - weitergegeben und auch nur diese Beratungen von den Kassen bezahlt. Eigentlich sollte doch die Gesundheit des Patienten das Wichtigste sein, nicht die Förderung einer Ernährungsform oder -organisation.

Schon 2010 hat Dr. Heilmeyer aus der Reha-Klinik Isny mit Diabetiker eine Studie durchgegührt. Interessiert aber nur die, die sich selber fortbilden wollen.

https://www.systemed.de/media/pdf/sd_heilmeyer_4-2010.pdf

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