Künstliches Pankreas

Erstes „Closed-Loop“-System bewährt sich im Alltag

Den Diabetes vergessen und die Therapie an ein technisches System delegieren: Das verspricht ein „Closed-Loop“-System aus Zuckersensor und Insulinpumpe über weite Strecken des Tages. Besonders Problempatienten können profitieren.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Der Sensor misst sieben Tage lang den Zucker und überträgt die Werte an die Pumpe.

Der Sensor misst sieben Tage lang den Zucker und überträgt die Werte an die Pumpe.

© Medtronic

Mit dem künstlichen Pankreas wird ein jahrzehntelanger Traum in der Diabetologie langsam Realität. In einem geschlossenen Kreis von Zuckermessgerät und Insulinpumpe („closed loop“) drosselt oder steigert die Pumpe anhand der ermittelten Glukosewerte automatisch die Insulinabgabe. Die Patienten delegieren ihre Therapie damit weitgehend an ein technisches System. Unter optimierter Einstellung des Diabetes werden dabei Hyper- und Hypoglykämien vermieden.

Als das Unternehmen Medtronic vor zwei Jahren mit dem MiniMed® 670G ein erstes solches System auf den US-Markt gebracht hat, gab es großes Aufsehen. Und auch heute ist das Interesse riesengroß: Hunderte von Experten aus aller Welt haben sich gerade bei der Tagung „Advanced Technologies & Treatments for Diabetes“ (ATTD) in Berlin über die Erfahrungen mit dem System informiert.

Medtronic spricht hier von einem „HybridClosed-Loop“: Der Sensor in der Haut misst über sieben Tage den Gewebezucker, eine integrierte diagnostische Technologie überwacht die tadellose Funktion. Die Messwerte werden an die Insulinpumpe übertragen, die dann automatisch angepasste Dosen des Hormons abgibt und damit den Blutzucker möglichst im physiologischen Bereich von 70 bis 180 mg/dl hält.

Ganz automatisch funktioniert das System allerdings noch nicht: Patienten müssen nach den Mahlzeiten noch die abgeschätzte Menge an Kohlenhydraten eingeben und die von der Pumpe vorgeschlagene Bolus-Korrektur bestätigen. Außerdem sind täglich zwei konventionelle Blutzuckermessungen zur Kalibrierung des Sensors nötig.

In Deutschland für Diabetiker erst 2020 verfügbar

Die FDA hatte den „Hybrid-Closed-Loop“ zunächst für Erwachsene und Jugendliche ab 14 Jahren zugelassen, seit vergangenem Jahr können jetzt auch Kinder ab sieben Jahren damit behandelt werden. Medtronic strebt zudem die Zulassung in Europa an. Patienten in Deutschland müssen sich noch gedulden: Das System wird nach Angaben des Unternehmens bei uns erst im nächsten Jahr verfügbar sein.

Die Wirksamkeit wurde in mehreren Studien belegt, wie Professor Jennifer Sherr von der Yale School of Medicine in New Haven im US-Staat Connecticut in Berlin berichtet hat. Es gab Studien mit 104 Erwachsenen und Jugendlichen ab 14 Jahren an zehn Zentren sowie mit 105 sieben- bis 13-jährigen Kindern an neun Zentren (je eins davon in Israel).

Teilnahmekriterien waren: Typ-1-Diabetes von mehr als zwei Jahren Dauer (Kinder: über ein Jahr), HbA1c unter 10 Prozent, eine Pumpentherapie über mindestens sechs Monate (mit oder ohne CGM). Nach einer Vorbereitungsphase von zwei Wochen mit manueller Einstellung der Pumpe wurde das Insulin dann sechs Monate lang automatisch abgeben.

Ergebnis: Der HbA1c wurde in dem halben Jahr bei den Jugendlichen und Erwachsenen im Schnitt von initial 7,4 auf 6,9 Prozent gesenkt, bei den Kindern ging er von 7,9 auf 7,5 Prozent zurück. Während etwa 12.000 Nutzungstagen bei Erwachsenen und an 10.000 bei Kindern gab es weder schwere Hypoglykämien noch Diabetische Ketoazidosen (DKA).

Der Anteil der täglichen Zeit im Blutzuckerzielbereich stieg bei den Erwachsenen von knapp 67 auf 72 Prozent und bei den Kindern von 56 auf 65 Prozent. Inzwischen hat auch eine Studie mit Zwei- bis Sechsjährigen ähnliche Ergebnisse gebracht.

Lösung schwieriger Diabetestherapie-Probleme

Vor allem schwer einstellbare Patienten profitieren von dem System, betonte die pädiatrische Endokrinologin. Sie verdeutlichte das anhand der Krankengeschichte einer Achtjährigen mit vierjähriger Diabetesdauer. Solche Kinder sind schwer zu behandeln, weil sich weder ihr Bewegungsdrang noch ihr Essverhalten kontrollieren lässt.

Obwohl das Mädchen bereits manuell CGM-gesteuert mit einer Pumpe behandelt wurde, hatte sie große Probleme durch starke Blutzucker-Schwankungen und nächtliche Hypoglykämien, was wiederum die ganze Familie stark belastete.

 Der Diabetes hatte sich trotz großer Anstrengungen nicht gut einstellen lassen (das Kind war jede Woche beim Arzt!). Ihr HbA1c betrug seit Jahren 8,5 bis 9,5 Prozent, der Blutzucker lag 38 Prozent der täglichen Zeit über 250 mg/dl und nur 27 Prozent der Zeit im Zielbereich (70 bis 180 mg/dl).

Eine Umstellung auf die automatisierte Insulintherapie hatte die Probleme nach fünf Monaten weitgehend gelöst: Der HbA1c war auf 7,6 Prozent zurückgegangen, lediglich 9 Prozent der Zeit im Tagesverlauf lag der Blutzucker noch über 250 mg/dl, dafür aber 64 Prozent im Zielbereich. „Die Familie konnte nachts wieder schlafen“, so Sherr.

Unterdessen wird der „Hybrid-Closed-Loop“ weiterentwickelt. Ziele sind die Zulassung bei Zwei- bis Sechsjährigen, die automatisierte Bolus-Korrektur nach Mahlzeiten und ein personalisiertes System, das sich an Blutzuckerschwankungen durch Verhalten und Verfassung der Patienten angepasst. Es ist zu wünschen, dass bald auch in Deutschland viele Patienten von den Innovationen profitieren können.

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