Mehnert-Kolumne
Wie die Digitalisierung die Diabetes-Therapie verändert
Die Digitalisierung bringt Fortschritte und Chancen für die Behandlung von zuckerkranken Patienten, findet Professor Hellmut Mehnert. Welche das sind, erläutert der Diabetes-Experte in seiner Kolumne.
Veröffentlicht:Unentdeckten Diabetes mellitus früher als bisher erkennen, Schulungen optimieren oder auch Patienten helfen, die mit ihrer Krankheit nicht recht weiterkommen: Das sind nur einige Chancen, die die Digitalisierung der Diabetestherapie bieten kann.
Intelligente Geräte werden dabei aber den Arztbesuch nur sinnvoll ergänzen, und auf keinen Fall überflüssig machen, betont Professor Bernd Kulzer vom Diabetes Zentrum Bad Mergentheim.
Apps, Wearables sowie Systeme zur kontinuierlichen Glukosemessung generieren heute immer mehr Daten, die für die Diabetes-Therapie bedeutsam sein können.
Die große Flut von Angaben und Messwerten müssen Ärzte sichten, interpretieren und zusammen mit den Patienten für die Therapie nutzbar machen. Viele Betroffene profitieren bereits davon.
"Die Digitalisierung verändert die Diabetologie grundlegend, sowohl in der Forschung als auch in der Therapie. Die Patienten können die entsprechenden Apps zur Auswertung der Glukosemessung benutzen. Damit lassen sich die Selbstbestimmung von Diabetikern fördern und Ärzte zeitlich entlasten", betont DDG-Präsident Professor Dirk Müller-Wieland, vom Universitätsklinikum Aachen.
Die Menge an Daten lässt sich dabei aber nur durch grafische Aufbereitungen bewältigen, mit der Problemkonstellationen leicht erkennbar sind. Auch sind Algorithmen nötig, mit denen die bisher nur selten aufgedeckten Therapieprobleme angegangen werden können.
Glukosewerte fast in Echtzeit
Ein Beispiel: Die Messwerte der kontinuierlichen Glukosemessung in "real time" (rtCGM) werden auf eine Smartphone-App übertragen. Damit lässt sich der genauen Glukoseverlauf fast in Echtzeit verfolgen. Ebenfalls auf die App übertragen werden Angaben zu den Mahlzeiten und zur Bewegung.
Hierdurch lassen sich Abweichungen der Tages-Glukosekurve aus dem Zielbereich erfassen und erklären und damit kurzfristig die Therapie mit Insulin optimieren. Werden mehrere Tageskurven übereinander dargestellt, entsteht zunächst meist ein unübersichtliches "KurvenSpaghetti".
Erst durch die grafische Bearbeitung werden typische Problemkonstellationen sichtbar. Mit Mahlzeiten, sportlichen Aktivitäten und Medikamenten lässt sich die Therapie optimieren. Auf diese Weise soll ein proaktives Diabetes-Coaching erreicht werden. Hilfestellung bieten dabei die Therapie-Algorithmen.
Künstliches Pankreas in Sicht
Auch ein künstliches Pankreas könnte künftig in Deutschland eine weite Verbreitung finden. Kernstück eines solchen "closed-loop"-Systems ist eine Insulinpumpe, die anhand der Messwerte eines CGM-Systems automatisch die Insulinzufuhr steigert oder drosselt.
Solche Systeme sind bei einzelnen Patienten in den USA schon im Gebrauch, in Deutschland stehen sie kurz vor der Marktzulassung. Idealerweise lässt sich damit Mikro- und Makroangiopathien sowie Neuropathien optimal entgegenwirken und damit die Hauptursachen für Komplikationen und frühen Tod bei Diabetes vermeiden.
Werden Diabetes-Patienten also künftig noch Ärzte brauchen, wenn moderne Techniken die Therapie steuern, das Wissensmanagement organisieren, über Big Data-Analysen Empfehlungen für Diagnostik und Therapie liefern und künftige sogar Krankheitsverläufe in Grenzen voraussagen?
Professor Lutz Heinemann, der Vorsitzende der DDGArbeitsgemeinschaft Diabetes und Technologie, sieht dies nur als Entlastung für Ärzte und begrüßt die digitalen Entscheidungshilfen. Die eingesparte Zeit lasse sich für die ebenso wichtige sprechende Medizin nutzen.
Sein Fazit: "Der Diabetologe wird trotz oder auch wegen dieser Entwicklung unersetzbar bleiben". – Das ist natürlich unbedingt zu hoffen!