Stillen schützt Kinder nicht vor Neurodermitis
Stillen schützt Kinder einer aktuellen Studie zufolge nicht vor der Entwicklung einer atopischen Dermatitis. In der britisch-deutschen Studie ISAAC wurden über 51.000 Kinder zwischen 8 und 12 Jahren aus 21 Ländern untersucht.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG (St). Damit Babys unter anderem einen gewissen Schutz vor Allergien haben, sollten sie in den ersten vier Lebensmonaten möglichst ausschließlich gestillt werden - so die aktuellen Empfehlungen einschlägiger Fachgesellschaften.
Der bislang größten Studie zu diesem Thema zufolge gilt dies allerdings offenbar nicht für die atopische Dermatitis.
Über 51.000 Kinder aus 21 Ländern nahmen an Studie teil
In der britisch-deutschen Studie ISAAC wurde bei über 51.000 Kindern zwischen 8 und 12 Jahren aus 21 Ländern geprüft, ob gestillte Kinder weniger häufig eine atopische Dermatitis entwickeln als Kinder, die mit Hilfe eines Babyfläschchens ernährt werden, (Br Assoc Dermatol 2011, online 2. November).
Per Fragebogen machten die Eltern Angaben zur Ernährung der Kinder im Säuglingsalter und zum späteren Auftreten von Allergien. Zudem wurden die Kinder auf Beugeekzeme hin untersucht, und es wurde ein Pricktest mit häufigen Inhalationsallergenen (Dermatophagoides pteronyssinus, D. farinae, Katzenhaare, Alternaria tenuis, Mix aus verschiedenen Baum- und Gräserpollen) durchgeführt.
Zunächst eine schwach positive Assoziation
Über alle Studienzentren hinweg ergab sich im Vergleich zu den reinen Flaschenkindern zunächst eine schwach positive Assoziation zwischen den Kindern, die jemals Muttermilch bis zum sechsten Monat erhalten hatten, und dem Lebenszeitrisiko für eine Atopie (OR 1,1).
Zu diesem erstaunlichen Ergebnis trugen vor allem die Kinder aus den reicheren Ländern bei. Denn wurden nur Deutschland, Italien, die Niederlande und GB zusammengefasst, ergab sich eine OR von 1,16.
Unterschiede zwischen armen und reichen Ländern
Interessanterweise verlor dieser Zusammenhang sowohl für die Gesamtheit als auch für die reichen Länder allein seine Signifikanz, wenn die Daten jener Kinder herausgerechnet wurden, deren atopische Dermatitis bereits in den ersten zwei Lebensjahren begonnen hatte (45,3 Prozent).
Die Autoren erklären diesen Effekt damit, dass in den wohlhabenden Ländern Mütter die Stillempfehlungen meist kennen und bewusst länger stillen, wenn sich bei ihren Kindern früh Zeichen einer Atopie zeigen. Wurden dagegen die ärmeren Länder gesondert betrachtet, ergab sich für sie eine OR von 0,95.
Keine Vorteile hinsichtlich Allergierisikos
Selbst Kinder, die ausschließlich Muttermilch erhielten, hatten keine Vorteile hinsichtlich ihres Allergierisikos. Wurde bis zu vier Monate voll gestillt, lag die gepoolte, adjustierte OR für eine atopische Dermatitis bei 1,13.
Bei Kindern, die länger als vier Monate exklusiv gestillt wurden, ergab sich insgesamt eine OR von 1,05 hinsichtlich des Ekzemrisikos. Für keine der untersuchten Stillzeiten ergaben sich Assoziationen mit Beugeekzemen, auch dann nicht, wenn nur Kinder betrachtet wurden, deren Ekzeme erst nach dem zweiten Lebensjahr auftraten.
In wohlhabenden Ländern wohl schon ein gewisser Schutzeffekt
Wurde die Schwere der Ekzeme berücksichtigt, so zeigte sich in den wohlhabenden Ländern tatsächlich ein gewisser Schutzeffekt, wenn die Kinder zumindest zum Teil gestillt worden waren (gepoolte adj OR 0,69, für alle Länder: 0,71).
Allerdings verloren auch diese Ergebnisse in den Subanalysen ihre Signifikanz. Und auch wenn mögliche Störfaktoren wie eine familiäre Belastung, der kindliche Sensibilisierungsstatus oder die mütterliche Bildung berücksichtigt wurden, änderte sich die Risikoeinschätzung nicht.
Ergebnisse bestätigen Review prospektiver Studien
Insgesamt erbrachte die ISAAC Phase Two keine Hinweise darauf, dass Stillen Kinder vor der Entwicklung einer atopischen Dermatitis schütze, so die Autoren. Die Ergebnisse stimmen mit einem kürzlich veröffentlichten systematischen Review prospektiver Studien überein.
So gibt die neue Datenlage Anlass, die Stillempfehlungen im Hinblick auf den Allergieschutz zu überdenken. Nun seien Interventionsstudien gefragt, so die Autoren, um zu klären, wann Babys Beikost erhalten dürfen.
Zudem betonen die Autoren die Notwendigkeit von Studien, die die Rolle der mütterlichen Ernährung und den Antigentransfer durch die Muttermilch sowie den Einfluss der Nahrungseiweiße aus dem Darm auf die Entwicklung des Immunsystems untersuchen.