Adhärenz
Vertrauen zum Arzt toppt Beipackzettel
Patienten vertrauen ihren Hausärzten: Ihre Verordnung einer Arznei ist meist Grund genug, den Beipackzettel nicht mehr allzu wichtig zu nehmen.
Veröffentlicht:ULM (mal). Das Lesen des Beipackzettels hat möglicherweise geringere negative Folgen auf die medikamentöse Adhärenz, als oft angenommen. Dieses Resümee ziehen Forscher um Dr. biol. hum. Dagmar Gröber-Grätz vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Ulm.
Sie haben 71 Interviews ausgewertet, in denen von Hausärzten ausgewählte Patienten standardisiert über Nutzung, Einschätzung und mögliche Konsequenzen des Beipackzettels befragt worden waren.
Spezielles Ziel der Studie sei es gewesen zu prüfen, ob das Lesen des Beipackzettels für die medikamentöse Adhärenz förderlich ist - oder den gegenteiligen Effekt hat.
Denn der Beipackzettel werde mit dafür verantwortlich gemacht, dass Patienten die ärztliche Verordnung eigenmächtig ändern oder sogar das Medikament absetzen, erinnern die Forscher.
Interviewte hatten eine medikamentöse Dauertherapie
22 Hausärzte aus 19 Praxen hatten sich an der Studie beteiligt. Einbezogen wurden Patienten, denen vom Hausarzt eine neue medikamentöse Dauertherapie verordnet worden war.
Um eine ausgewogene Stichprobe zu erhalten, sei die Auswahl der Hausärzte anhand des Praxisumfeldes - Stadt, Stadtumkreis, Kleinstadt, Land - erfolgt.
Insgesamt seien in Ulm, Oberschwaben und dem Bodenseekreis 36 Hausärzte oder hausärztlich tätige Internisten angeschrieben oder durch telefonische Kontaktaufnahme zur Teilnahme an der Studie gebeten worden, so Gröber-Grätz und ihre Kollegen.
"Das Lesen des Beipackzettels hat möglicherweise geringere Folgen, als oft angenommen wird. Es scheint keinen großen Einfluss auf die medikamentöse Adhärenz zu haben", berichten die Forscher (DMW 2012; 137: 1395-1400).
Oft sei die Verordnung des Arzneimittels durch den Hausarzt Grund genug, den Beipackzetteln nicht mehr allzu wichtig zu nehmen.
"Ich gehe davon aus, der Hausarzt kennt die für mich geeigneten Medikamente, da brauche ich nicht zu lesen (...)", ist eine hierzu von den Studienautoren dokumentierte typische Aussage eines befragten Patienten.
Eine andere Antwort eines Interviewten, die die Bedeutung des Hausarztes als Verordner unterstreicht: "(...) ich hab gedacht, wenn der Arzt mir das verschreibt, und zum Herrn Dr. ... habe ich eigentlich Vertrauen, dann ist das ok (...)."
Großes Vertrauen auch in die Pharmaindustrie
Von mehreren Befragten sei auch explizit geäußert worden, dass ebenfalls das Vertrauen in die Medikamente selbst oder in die pharmazeutische Industrie sehr hoch sei, so dass der Beipackzettel eher in den Hintergrund gerate, so Gröber-Grätz und ihre Kollegen.
Die eigenen Studienergebnisse deckten sich mit einer von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung durchgeführten repräsentativen Versichertenbefragung im Jahr 2006.
Diese habe ja ergeben, dass Versicherte großes Vertrauen in die Kompetenz ihrer Ärzte haben und mit der medizinischen Versorgung sehr zufrieden sind (Gesundheitswesen 2009; 71(2): 94-101).
Ähnliches sei bei einer Untersuchung der Bertelsmann Stiftung deutlich geworden, erinnert das Forscher-Team aus Ulm. Hier hätten 97 Prozent der Befragten angegeben, dass sie dem Arzt als Informationsquelle hinsichtlich der Arzneimittelinformation vertrauen (Gesundheitsmonitor 2009;2).
Häufige Kritikpunkte: Länge und Verständlichkeit
Gröber-Grätz und ihre Kollegen weisen darauf hin, dass viele Interviewte vorwiegend unangenehme oder negative Assoziationen mit der Packungsbeilage verknüpften.
Bei konkreter Nachfrage habe aber vom Patienten keine ihn selbst betreffende Situation genannt werden können, die zu tatsächlichen Konsequenzen bezüglich des Einnahmeverhaltens geführten habe.
Als Hauptkritikpunkte, die oft zu einer eher ablehnenden Haltung der Patienten gegenüber dem Beipackzettel führen, nennen Gröber-Grätz und ihre Kollegen Länge und Verständlichkeit der Packungsbeilagen.
Dennoch, so betonen die Ulmer Forscher: "Trotz aller negativen Attribute möchten viele Befragte dem Beipackzettel seine Daseinsberechtigung nicht absprechen".
Bei der AG machen mehrere Selbsthilfeorganisationen und Seniorenverbände mit, hinzu kommen die pharmazeutischen Unternehmen MSD und Pfizer.