Erhöhter Blutdruck - nicht immer eine Gefahr
Ein erhöhter Blutdruck wirkt sich im Alter offenbar nicht bei allen Menschen gesundheitsschädigend aus. Zumindest gebrechliche ältere Menschen scheinen sogar länger zu leben, wenn die Blutdruckwerte über der Norm liegen.
Veröffentlicht:CORVALLIS. Die Prävalenz der Hypertonie nimmt zu - nicht zuletzt wegen des wachsenden Anteils älterer Menschen an der Bevölkerung.
Ergebnisse epidemiologischer Studie sprechen dafür, dass mit zunehmendem Alter die in jüngeren Jahren bestehende direkte Assoziation zwischen erhöhtem Blutdruck und Mortalität geringer wird oder sogar verschwindet.
Dies könnte bedeuten, dass auch der Nutzen der Blutdrucksenkung im fortgeschrittenen Alter geringer ausfällt.
Gleichwohl empfehlen die Leitlinien die Blutdrucksenkung auch bei alten Patienten mit arterieller Hypertonie. Die wissenschaftliche Evidenz dafür lieferte vor allem die HYVET-Studie.
Sie erbrachte erstmals den Nachweis, dass eine Reduktion erhöhter Blutdruckwerte (Zielwert = 150/80 mmHg) die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität auch bei Patienten im Alter über 80 Jahren signifikant verringert.
Allerdings handelte es sich bei den Studienteilnehmern um relativ gesunde und mobile Patienten mit wenig Begleiterkrankungen.
Unklar ist, inwieweit die Ergebnisse der Studie auch auf kränkere und gebrechliche Patienten in dieser Altersgruppe übertragbar sind.
Eher skeptisch stimmen in dieser Frage neue Studienergebnisse, die eine Gruppe von US-Forschern um Dr. Michelle Odden jetzt veröffentlicht hat (Arch Intern Med 2012; online am 16. Juli).
Denn nach diesen Ergebnissen sind erhöhte Blutdruckwerte bei in der Körperkraft und Beweglichkeit eingeschränkten älteren Menschen prognostisch eher von Vorteil.
Zeit beim Gehtest als Maß für Gebrechlichkeit
Die Forscher werteten in ihrer Analyse Daten von 2340 Personen im Alter über 65 Jahr aus, die alle Teilnehmer an einer repräsentativen Erhebung zum Gesundheitszustand der US-Bevölkerung (NHANES-Studie) waren.
Als einfaches Maß für die Gebrechlichkeit wurde die Zeit herangezogen, in der eine Gehstrecke von sechs Metern absolviert wurde.
Auf Basis der gemessenen Zeit wurden die Studienteilnehmer einer von drei Gruppen zugeordnet: zwei dieser Gruppen umfassten Patienten, die die Gehstrecke entweder schnell oder langsam (in weniger oder mehr als 0,8 Meter/Sekunde) bewältigt hatten, die dritte Gruppe Patienten, die sie gar nicht bewältigt hatten.
Die Assoziation zwischen Blutdruck und Mortalität variierte in Abhängigkeit von der im Gehverhalten sich manifestierenden Gebrechlichkeit.
Bei schnell gehenden und mithin rüstigen Personen bot sich das gewohnte Bild: Erhöhte systolische Blutdruckwerte über 140 mmHg waren in dieser Gruppe im Vergleich zu Normalwerten mit einer erhöhten Mortalität assoziiert.
Das Sterberisiko war relativ um 35 Prozent höher. Bei langsamen Gehern standen weder erhöhte systolische noch erhöhte diastolische Blutdruckwerte in Beziehung zur Mortalität.
Inverse Assoziation bei gebrechlichen Personen
In der Gruppe der gebrechlichen Personen, die den Gehtest nicht komplett schafften, kehrte sich die Beziehung dagegen um: Vor allem erhöhte diastolische, aber auch erhöhte systolische Blutdruckwerte waren bei ihnen eng mit einem deutlich niedrigeren Sterberisiko assoziiert.
Im Falle erhöhter systolischer Werte war dieses Risiko relativ um 62 Prozent, im Falle erhöhter diastolischer Werte sogar um 90 Prozent niedriger - jeweils im Vergleich zu normalen Blutdruckwerten.
Bei gebrechlichen Menschen könnte die Blutdruckerhöhung ein kompensatorischer Mechanismus sein, um bei altersbedingter Abnahme der Gefäßelastizität eine ausreichende Blutversorgung im Gehirn und Herz zu gewährleisten, spekulieren die Autoren.
Sie warnen davor, aus diesen ersten Daten zum Zusammenhang zwischen Gebrechlichkeit, Blutdruck und Mortalität schon jetzt weitgehende Schlussfolgerungen für die Therapie zu ziehen.
Nach ihrer Ansicht stützen die Ergebnisse in Übereinstimmung etwa mit denen der HYVET-Studie die blutdrucksenkende Therapie bei relativ gesunden und aktiven Senioren mit Hypertonie.
Zur Klärung der Frage, ob ein erhöhter Blutdruck bei gebrechlichen Hypertonikern höheren Alters wirklich von protektiver Bedeutung ist, bedürfe es aber weiterer Forschung.