Hypertonie

Neue US-Leitlinien lockern Therapieziele

Neben den europäischen Leitlinien Mitte 2013 sind zur Jahreswende zwei US-amerikanische Hypertonie-Leitlinien erschienen. Die wesentlichen Neuerungen: Das in den USA bisher gültige Primat der Diuretika wurde gekippt. Betablocker wurden zurückgestuft - und auch bei den Zielwerten hat sich einiges getan.

Von Dirk Einecke Veröffentlicht:
Manometer!

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© Anthony Ricci / iStock / Thinkstock

NEU-ISENBURG. Ärzte können sich über einen Mangel an aktuellen Hypertonie-Leitlinien nicht beklagen, es fällt fast schwer, die Übersicht zu wahren. Im Juni 2013 erschienen zunächst neue europäische Leitlinien, gemeinsam verfasst von den europäischen Gesellschaften der Kardiologen und der Hypertensiologen (ESC, ESH). An dieser Vorlage orientiert sich auch die Deutsche Hochdruckliga.

Kurz vor Weihnachten dann der Paukenschlag aus den USA: Im US-amerikanischen Ärzteblatt JAMA wurden die neuen Hypertonie-Leitlinien des Joint National Committee 8 (JNC 8) publiziert, sage und schreibe zehn Jahre nach dem letzten Update (JNC 7) und überraschenderweise erstmals ohne Beteiligung von Fachgesellschaften.

Dennoch: Diese Leitlinie ist kurz, prägnant, praxisbezogen, die Autoren kamen mit nur 14 Seiten aus. Sie fokussierten dabei streng auf wissenschaftlicher Evidenz (JAMA 2013; online 18. Dezember).

Nur einen Tag später publizierten die "American Hypertension Society" (ASH), zusammen mit der "International Society of Hypertension" (ISH), noch eine weitere ASH/ISH-Hypertonie-Leitlinie (JCH 2014; 16(1): 14-26).

Dieses Dokument ist ausführlicher, enthält Kapitel über Epidemiologie, Ursachen, Definitionen, Klassifikationen, Diagnostik und geht ausführlicher auf das Vorgehen bei Therapie-resistenter Hypertonie ein. Grob kann man sagen: JNC 8 passt eher für den Allgemeinarzt, ASH/ISH für den Spezialisten.

Damit aber noch nicht genug: ASH und ISH kündigen für Ende 2014 gleich noch eine weitere Hochdruckleitlinie an, die zusammen mit den beiden Kardiologie-Gesellschaften in den USA (American Heart Association, American College of Cardiology) erarbeitet wird.

Wie nicht anders zu erwarten unterscheiden sich die drei in den letzten zwölf Monaten vorgelegten Hochdruckleitlinien in einigen Teilaspekten. Für die Praxis wichtiger sind jedoch die Gemeinsamkeiten.

Und so darf festgestellt werden, dass alle drei - ESC/ESH, JNC 8 und ASH/ISH - bei den Zielwerten zurückrudern und weniger tiefe Blutdruckziele definieren, und zwar konkret für ältere Patienten sowie für Patienten mit Diabetes und Nierenerkrankungen.

In der Konsequenz müssen wohl zahlreiche Patienten mit Bluthochdruck weniger Medikamente einnehmen. Viele ältere Patienten können wohl ganz auf Medikamente verzichten.

Die JNC 8-Autoren formulieren im Kern neun Empfehlungen, die so einfach und verständlich sind, dass sie sich gut für die Umsetzung in der Praxis eignen.

Zusammengefasst lauten sie wie folgt:

1.) Patienten über 60 Jahre: Bei allen Hypertonikern im Alter über 60 Jahren wird empfohlen, den Blutdruck auf Werte , 150/90 mmHg zu senken. Wenn aber ohne Nebenwirkungen der Blutdruck auf Werte , 140/90 mmHg eingestellt ist, muss nichts geändert werden. Neu ist gegenüber JNC 7, dass sehr vielen Patienten 10 mmHg systolisch mehr genehmigt werden.

2.) Patienten unter 60 Jahre: Bei allen Hypertonikern im Alter unter 60 Jahren wird ein Zielwert , 140/90 mmHg empfohlen.

3.) Diabetes und Niereninsuffizienz: Auch für alle Patienten (über 18 Jahre) mit chronischen Nierenerkrankungen und Diabetes mellitus sollten Blutdruckwerte über 140/90 mmHg behandelt werden mit dem Ziel, Werte , 140/90 mmHg zu erreichen. JNC 7 hatte bei diesen Patienten noch eine aggressivere Therapie mit einem systolischen Ziel unter 130 mmHg empfohlen. Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen sollten einen ACE-Hemmer/AT1-Blocker erhalten.

4.) Medikamente der ersten Wahl: Zur initialen medikamentösen Behandlung werden gleichberechtigt Thiaziddiuretika, Kalziumantagonisten und ACE-Hemmer/AT1-Blocker empfohlen. Bei farbigen Patienten werden initial nur Diuretika und Kalzium-Antagonisten angeraten.

Dies bedeutet eine wesentliche Änderung gegenüber den bisherigen JNC 7-Leitlinien. Dort wurden nur Diuretika auf Stufe 1 empfohlen. Betablocker waren hier noch gleichberechtigt auf Stufe 2 neben Kalziumantagonisten und ACE-Hemmern/AT1-Blockern. Heute sind sie Mittel der Reserve.

5.) Kombinationsbehandlung: Wenn das Blutdruckziel nach einem Monat nicht erreicht wird, kann die Dosis erhöht oder ein zweites Medikament addiert werden. Führt auch eine Zweifachkombination nicht zum Ziel, sollten drei Medikamente eingesetzt werden.

Bei höheren Ausgangswerten kann auch gleich mit einer Zweifachkombination begonnen werden. Kombiniert werden die Komponenten Thiaziddiuretika, Kaliumantagonisten und ACE-Hemmer/AT1-Blocker, nicht jedoch ACE-Hemmer und AT1-Blocker.

6.) Therapieresistenz: Wenn auch drei Medikamente nicht ausreichen oder Kontraindikationen gegen Komponenten der ersten Wahl bestehen, werden Antihypertensiva anderer Klassen addiert, etwa Betablocker, Aldosteronantagonisten, zentral wirksame Antihypertensiva. Bei solchen Patienten sollte eine Überweisung zu einem auf Bluthochdruck spezialisierten Kollegen erwogen werden.

Interessant sind die Evidenzstufen, welche die JNC 8-Autoren den Empfehlungen zumessen: Nur die Therapieziele bei Patienten über 60 Jahren sind eine starke Grad A-Empfehlung. Die Wahl der Medikamente wird als mäßig evidente Grad B-Empfehlung eingestuft. Alle anderen Punkte klassifizieren die Autoren als niedrig-gradige E-Empfehlungen (Expertenmeinung).

Grundsätzlich empfehlen die JNC 8-Leitlinien allen Hypertonikern regelmäßige Blutdruckkontrollen, eine konsequente Therapie zur Erreichung der Zielwerte, Interventionen zur Verbesserung der Therapieadhärenz, und einen gesunden Lebensstil.

"Der Nutzen von gesunder Ernährung, Gewichtskontrolle und regelmäßiger körperlicher Anstrengung kann nicht genug betont werden. All diese Maßnahmen haben das Potenzial, die Blutdruckkontrolle zu verbessern und die notwendige Medikation zu reduzieren", schreiben sie

Aber wo liegen die Unterschiede zu den anderen Leitlinien?

Ältere Patienten: JNC 8 empfiehlt bei allen Patienten über 60 Jahren ein Blutdruckziel unter 150/90 mmHg. Die neuen ASH/ISH-Leitlinien sehen dieses Ziel erst für über 80jährige vor, ebenso wie die britischen NICE-Leitlinien. Für Patienten zwischen 60 und 80 Jahren gilt in diesen beiden Leitlinien ein Ziel , 140/90 mmHg.

Die ESC-Leitlinien formulieren für "ältere Patienten" einen systolischen Zielkorridor zwischen 140 und 150 mmHg. Die medikamentöse Therapie sollte laut ESC erst bei systolischen Werten über 160 mmHg begonnen werden, bei "fitten Älteren unter 80 Jahren" aber auch schon bei systolischen Werten über 140 mmHg.

Diabetes und chronische Nierenerkrankung: Sowohl JNC 8 als auch die neuen ASH/ISH-Guidelines sehen bei beiden Erkrankungen kein strikteres Blutdruckziel als bei Hypertonikern ohne diese Begleiterkrankungen vor. Es gilt also , 140/90 mmHg. Die ESC-Leitlinienautoren sehen Diabetiker optimal bei Werten , 140/85 mmHg eingestellt und geben bei nierenkranken Patienten mit offener Proteinurie einen Zielwert von , 130/90 mmHg als Alternative.

Antihypertensiva: JNC 8 empfiehlt gleichberechtigt Thiazide, Kalziumantagonisten und ACE-Hemmer/AT1-Blocker beziehungsweise Kombinationen dieser Komponenten von der Mono- bis zur Triple-Therapie.

Die ASH/ISH-Leitlinien differenzieren deutlicher: Bei Patienten unter 60 Jahren empfehlen sie primär ACE-Hemmer/AT1-Blocker, bei Patienten über 60 Jahren primär Kalziumantagonisten oder Thiazide. Kombiniert wird dann mit den jeweils anderen Substanzgruppen.

Die britische NICE-Leitlinie ist hier ähnlich und rät bei Patienten unter 55 Jahren primär zu ACE-Hemmern/AT1-Blockern, bei Patienten über 55 Jahren primär zu Kalziumantagonisten bzw. bei Unverträglichkeit zu Thiaziden.

Nur eine Leitlinie - die der ESC/ESH - empfiehlt noch Betablocker als primäre Therapie, gleichberechtigt zu Diuretika, Kalziumantagonisten und ACE-Hemmern/AT1-Blockern.

Ein möglicher Grund dürfte darin bestehen, dass es sich um die einzige Leitlinie handelt, bei der Hypertensiologen und Kardiologen einen Kompromiss finden mussten. Betablocker sind segensreich bei vielen Herzerkrankungen. Insofern scheint es durchaus sinnvoll, sie an Bord zu belassen.

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