Renale Denervation

Totgesagte leben länger

Von Lähmung keine Spur: Trotz enttäuschender Studien ist das Interesse an der renalen Denervation bei Hypertonie weiter groß. Und langsam kristallisiert sich auch heraus, welchen Patienten die Methode wirklich nützen könnte.

Peter OverbeckVon Peter Overbeck Veröffentlicht:
Eine Art der renalen Denervation: Viele Experten wollen die Methode weiter erforschen.

Eine Art der renalen Denervation: Viele Experten wollen die Methode weiter erforschen.

© Springer Verlag

PARIS. Bei der renalen Denervation soll durch kathetergestützte Verödung von sympathischen Nervenfasern in der Gefäßwand der Nierenarterien der Blutdruck gesenkt werden.

In dieses interventionelle Verfahren sind aufgrund beeindruckender Ergebnisse kleinerer Studien große Erwartungen gesetzt worden. Alles schien dafür zu sprechen, dass endlich eine Methode gefunden geworden ist, die bei medikamentös nicht mehr ausreichend behandelbarer Hypertonie noch eine dauerhafte substanzielle Blutdrucksenkung versprach.

Trotz sehr schmaler Datenbasis haben viele Kliniken die Methode in kurzer Zeit bereits als Routineverfahren in ihr Angebot aufgenommen

Dann die Ernüchterung durch SYMPLICITY-HTN-3: Die im März 2014 beim Kongress des American College of Cardiology im Detail präsentierte Studie blieb wider Erwarten den Nachweis schuldig, dass die Renale Denervation bei "therapieresistenter" Hypertonie von Nutzen ist. Zwar sank der Blutdruck nach der Intervention in nicht geringem Maße - doch das tat er auch nach Scheindenervation in der Kontrollgruppe.

Schnell zeichnete sich aber ab, dass SYMPLICITY-HTN-3 nicht das Ende für die renale Denervation markiert.

Allerdings waren Forderungen nach einem "Neustart" zu hören - soll heißen: Angesichts widersprüchlicher Studiendaten und vieler offener Fragen ist es mehr denn je erforderlich, die Methode jenseits kommerzieller Aspekte wieder primär zu einer Angelegenheit der wissenschaftlichen Forschung zu machen. Auf diese Weise soll sie noch eine Chance erhalten.

Erste Ergebnisse der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den neuesten Entwicklung bei der renalen Denervation sind beim Kongress EuroPCR in Paris präsentiert worden.

Neue Einsichten in SYMPLICITY-HTN-3

So sind etwa die Autoren der SYMPLICITY-HTN-3-Studie inzwischen noch tiefer in die Studiendaten eingetaucht, um mögliche Faktoren, die das Ergebnis in negativer Weise beeinflusst haben könnten, dingfest zu machen. Dr. David Kandzari aus Atlanta hat Resultate dieser "exploratorischen Analysen" in Paris vorgestellt.

Zunächst räumte er mit der Vorstellung auf, dass die Studienteilnehmer - wie es idealerweise hätte sein sollen - während der sechsmonatigen Studiendauer auf ein stabiles medikamentöses Therapieregime eingestellt waren. Tatsächlich wurden aber in dieser Zeit bei rund 40 Prozent der Studienteilnehmer - sie nahmen im Schnitt fünf Blutdrucksenker ein - Änderungen an der Therapie vorgenommen.

Auch technische Aspekte des Eingriffs wie die Zahl der an der Gefäßwand vorgenommenen Denervationen scheinen von Bedeutung zu sein.

Mit der Zahl der Denervationspunkte vergrößerte sich nämlich der Behandlungserfolg. Wurde an 15, 16 oder mehr Punkten denerviert, sank der systolische Blutdruck (Praxismessung) im Schnitt um 25 bis 30 mmHg. Waren es nur acht bis zwölf Denervationen, war die damit assoziierte Blutdrucksenkung nur etwa halb so groß.

Ein entsprechender Trend spiegelte sich auch in den Ergebnissen der ambulanten Langzeit-Blutdruckmessung wider.

Als prädiktiver Faktor erwies sich auch die Abstammung der Patienten. So reagierten Afro-Amerikaner, die etwa ein Viertel des Studienkollektivs ausmachten, besonders gut auf die Scheindenervation. Bei ihnen war die systolische Blutdrucksenkung in der Kontrollgruppe deshalb sogar stärker als nach "echter" Denervation (-17,8 versus -15,5 mmHg).

Ganz anders bei den Nicht-Afro-Amerikanern: In dieser Gruppe war die Blutdrucksenkung nach renaler Denervation signifikant stärker als nach einer Scheinprozedur (-15,2 versus -8,6 mmHg).

Hoher Ausgangsblutdruck prädiktiv für den Erfolg

Auch ein hoher systolischer Ausgangsblutdruck (über 180 mmHg) und die Einnahme von Aldosteron-Antagonisten waren positive Prädiktoren für eine Blutdrucksenkung durch renale Denervation. Einziger negativer Prädiktor: Bei Patienten, die zu Beginn Vasodilatatoren einnahmen, hatte die Denervation keinen stärkeren Effekt als die Scheindenervation.

Kandzari betonte jedoch, dass es unter den identifizierten Prädiktoren keinen gebe, dem der enttäuschende Ausgang der SYMPLICITY-HTN-3-Studie exklusiv anzulasten sei. Bei der Planung künftiger Studien sollten deshalb alle in Betracht gezogen werden.

Auch eine Arbeitsgruppe um Dr. Felix Mahfoud aus Homburg an der Saar hat Ausschau nach Prädiktoren für ein Nicht-Ansprechen auf die renale Denervation gehalten. Grundlage dieser Suche bildeten Daten aus dem globalen SYMPLICITY-Register, in das in 37 Ländern rund 5000 Patienten mit "unkontrollierter" Hypertonie aufgenommen worden sind.

Mahfoud präsentierte in Paris eine auf Daten von 1000 Patienten des Registers gestützte Analyse. Darunter waren 327 Patienten, die mit ihren systolischen Blutdruckwerten die Einschlusskriterien der SYMPLICITY-HTN-3-Studie erfüllten (Praxismessung: . 160 mmHg, ambulante Messung: . 135 mmHg).

Auch diese Analyse ergab, dass die Höhe des Ausgangsblutdrucks mit dem Erfolg der renalen Denervation assoziiert war, ebenso das Vorliegen von zwei oder mehr Begleiterkrankungen.

In der Subgruppe der "HTN-3-geeigneten" Patienten gab es zwei weitere Prädiktoren für ein Ansprechen: Die Zahl der vorgenommenen Denervationen (wie schon in SYMPLICITY-HTN-3) sowie männliches Geschlecht.

Umgekehrt verhielt es sich mit dem Durchmesser der Nierenarterien: Je größer, desto schlechter war das Ansprechen auf die Denervation. Dies könnte ein Hinweis sein, dass die zur Verödung führende Energieabgabe in Abhängigkeit vom Gefäßdurchmesser noch besser angepasst werden muss, gab Mahfoud zu bedenken.

Neue 6-Monate-Ergebnisse der EnligHTN-III-Studie

Inzwischen ist die technische Entwicklung vorangeschritten. So hat das Unternehmen St. Jude Medical sein Multi-Elektrodensystem (EnligHTN?-System) für die renale Denervierung weiterentwickelt.

Das neue System verfügt über einen Generator, der über einen Multielektroden-Katheter simultane (statt wie zuvor sequenzielle) Ablationen ermöglicht. Dadurch reduziert sich die Gesamtdauer der Ablationsbehandlung im Vergleich zum Vorgängersystem erheblich, und zwar von etwa 24 Minuten auf nur noch vier Minuten.

Wirksamkeit und Sicherheit des neuen Systems werden in der laufenden EnligHTN-III-Studie untersucht. Primärer Wirksamkeitsendpunkt ist die in Relation zum Ausgangswert erzielte Blutdrucksenkung nach sechs Monaten. Die entsprechenden Ergebnisse hat Dr. Steven Worthley aus Adelaid erstmals in Paris vorgestellt.

In der Studie ist bei 39 Patienten mit therapierefraktärem Bluthochdruck eine renale Denervation vorgenommen worden. Im Zusammenhang mit dem Eingriff waren keine schwerwiegenden Komplikationen zu verzeichnen. Pro Patienten wurden knapp 16 Ablationen vorgenommen, die Ablationsdauer betrug 4,3 Minuten.

Bekannt waren bereits die Ergebnisse nach einem Monat und nach drei Monaten. Zu diesen Zeitpunkten war eine Blutdrucksenkung um 19/7 mmHg respektive um 26/9 mmHg festgestellt worden.

Die Wirkung erwies sich auch nach sechs Monaten als dauerhaft: Zu diesem Zeitpunkt waren die Blutdruckwerte der Teilnehmer im Schnitt um 25/7 mmHg niedriger als vor der Behandlung, berichtete Worthley.

Wie steht es um die große Endpunktstudie?

Was aussteht ist der Nachweis, dass die durch interventionelle Behandlung erzielte Blutdrucksenkung auch in eine Reduktion von Morbidität und Mortalität mündet. Der Plan, dafür eine große Multicenter-Studie mit "harten" Endpunkten wie kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall auf den Weg zu bringen, ist trotz der durch SYMPLICITY-HTN-3 entstandenen Irritationen nicht aufgegeben worden.

Derzeit wird am Design der Studie, die bald starten soll, vor dem Hintergrund der neuesten Entwicklung noch gefeilt, berichtete Professor Michael Böhm aus Homburg/Saar beim EuroPCR-Kongress. Er skizzierte aber schon einmal die Umrisse dieser mit dem Akronym EnligHTNment belegten Studie.

Demnach geht man davon aus, dass dafür rund 5000 Patienten mit therapieresistenter Hypertonie rekrutiert werden müssen. Therapieresistent bedeutet in diesem Fall, dass ihr systolischer Blutdruck trotz Therapie mit mindestens drei Antihypertensiva (darunter ein Diuretikum) höher als 140 mmHg ist.

Es sollen Patienten mit einem hohen kardiovaskulären Risiko selektiert werden, weshalb die Studienpopulation voraussichtlich der in Studien wie ONTARGET oder HOPE ähnlich sein wird, so Böhm. Die Nachbeobachtung könnte Anfang 2020 beendet sein.

Eine Frage ist nach Angaben Böhms aber noch zu klären: Soll dieser großen Studie zunächst eine kleine vorausgehen, die wie SYMPLICITY-HTN-3 ebenfalls einen Kontrollarm mit Scheindenervation (Sham Control) hat?

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