Experten klären auf

Die sieben häufigsten Irrtümer in der Hochdrucktherapie

Internationale Kardiologen haben sieben gängige Fehleinschätzungen bei der Therapie von Hypertonikern aufgelistet - und erklären, wie man Fehler vermeidet.

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:
Bei der Therapie von Hypertonie gibt es einige populäre Irrtümer.

Bei der Therapie von Hypertonie gibt es einige populäre Irrtümer.

© Klaus Rose

NEW YORK. Zwar hat es wissenschaftlich wie praktisch in der Hochdrucktherapie in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gegeben.

"Trotzdem halten sich unter den behandelnden Ärzten einige irrige Vorstellungen, vor allem in Bereichen, wo die Evidenz spärlich ist oder fehlgedeutet wird", so Edgar Argulian (New York), Ehud Grossman (Tel Hashomer) und Franz H. Messerli (New York) (Am J Med 2014; online 5. Dezember).

1. "Hydrochlorthiazid (HCT) ist das nützlichste und vielseitigste Diuretikum."

Das weltweit am häufigsten verordnete Antihypertensivum ist Argulian und Kollegen zufolge zugleich einer der schwächsten Blutdrucksenker.

Da die Wirkung weniger als 24 Stunden anhält, sind die Patienten zudem in den kritischen frühen Morgenstunden ungeschützt.

 Für die üblichen Dosierungen ist auch keine Reduktion von Herzinfarkten, Schlaganfällen und Todesfällen belegt.

Selbst als Kombinationspartner für einen ACE-Hemmer schneidet HCT schlechter ab als ein Kalziumantagonist - in der Studie ACCOMPLISH gab es trotz gleicher Blutdrucksenkung mehr kardiovaskuläre Komplikationen.

Alle Daten zum Nutzen von Thiaziden im Hinblick auf vaskuläre Ereignisse und Tod leiten sich nach Angaben des Teams um Argulian ausschließlich von Chlorthalidon und Indapamid her.

Ihre Empfehlung ist eindeutig: "HCT sollte als Erst-Linien-Therapie von Bluthochdruck vermieden werden." Falls ein Thiazid angezeigt sei, sollte die Wahl auf Chlorthalidon oder Indapamid fallen.

2. "Bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz sind Thiazide unwirksam."

In der Tat ist bei Hypertonie schwieriger zu behandeln, wenn sie bereits zu einem Nierenschaden geführt hat. Für die auch in Leitlinien zu lesende Behauptung, dass Thiazide in dieser Situation unwirksam seien, gibt es laut Argulian und Kollegen aber keine Evidenz.

Im Gegenteil wurde kürzlich in einer Studie bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz durch Auftitration von Chlorthalidon eine deutliche Blutdrucksenkung erreicht.

Unter der Therapie ist aber eine enge Überwachung nötig im Hinblick auf Hypokaliämien, Hyperurikämien, Hyponatriämien und Kreatininanstieg.

3. "Die Sympathikusaktivität ist das Hauptziel der Hochdrucktherapie."

Nach Angaben des Teams um Argulian besteht kein Zweifel daran, dass eine Reduktion der Sympathikusaktivität den Blutdruck senkt. "Die Frage ist aber, ob sich das in bedeutsamen klinischen Ergebnissen niederschlägt - und dafür gibt es wenig bis keine Evidenz."

So wurde etwa die Behandlung mit dem Alphablocker Doxazosin in der ALLHAT-Studie abgebrochen, weil es zu einem Anstieg des Herzinsuffizienzrisikos kam. Für zentral wirkende Sympathikusblocker wie Clonidin gibt es gar keine Outcome-Daten.

Sogar Betablocker verhindern nach Metaanalysen, die sich allerdings meist auf Atenolol beziehen, weniger Insulte und möglicherweise auch Todesfälle als andere Substanzklassen.

"Betablocker sollten daher, sofern nicht eine andere Indikation dafür besteht, nicht zur initialen Behandlung eines Bluthochdrucks erwogen werden", so die Kardiologen.

4. "Je vollständiger die Blockade des Renin-Angiotensin-Systems, desto größer der Nutzen."

Die Idee, durch die gemeinsame Gabe von ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptor-Blocker (ARB) eine vollständigere Blockade des Renin-Angiotensin-Systems und damit bessere Ergebnisse zu erreichen, ist einleuchtend - das erkennen Argulian und Kollegen an.

Nur: Der erwünschte Effekt wurde lediglich auf Surrogatparameter wie Blutdruck oder Proteinurie nachgewiesen; Studien mit klinisch relevanten Endpunkten waren dagegen enttäuschend.

 Die duale RAS-Blockade führte nicht zu einer Mortalitätsreduktion, steigerte aber das Risiko für Hyperkaliämie, Hypotonie und Nierenversagen, bei Hochdruck- wie bei Herzinsuffizienzpatienten.

"Es ist zu hoffen, dass diese Daten die Ärzte überzeugen, dass die duale RAS-Therapie nur eine Modeerscheinung war, deren Zeit vorbei ist", so die Kardiologen.

5. "Diuretika helfen am besten gegen periphere Ödeme unter Kalziumantagonisten."

Die unter Dihydropyridin-Kalziumantagonisten häufig auftretenden peripheren Ödeme sind primär kein Volumenretentionsphänomen, sondern Folge der vasodilatatorischen Wirkung am präkapillären Sphinkter, stellen die Kardiologen klar.

Daher dürften sie auf Diuretika kaum ansprechen, zumal Kalziumantagonisten selbst natriuretische Wirkung haben. Für RAS-Blocker, insbesondere für ACE-Hemmer ist dagegen nachgewiesen, dass sie die Ödemneigung unter Kalziumantagonisten reduzieren.

6. "Hochdruckmedikamente verursachen Erektionsstörungen."

Richtig ist, dass viele Männer unter einer Hochdrucktherapie eine erektile Dysfunktion aufweisen. Häufig ist sie allerdings eine Folge der hypertoniebedingten Gefäßveränderungen und nicht der medikamentösen Behandlung.

Eine abrupte oder sehr starke Drucksenkung kann aber durchaus vorübergehend zu Erektionsproblemen führen.

Etwas ungünstiger erscheinen nach Angaben der Kardiologen auch volumendepletierende Substanzen (Thiazide) sowie Betablocker (mit Ausnahme des NO-freisetzenden Nebivolols).

ACE-Hemmer und Kalziumantagonisten sind dagegen im Hinblick auf die Erektionsfunktion neutral, ARB bringen möglicherweise sogar einen leichten Vorteil.

7. "Je niedriger der Blutdruck, desto besser."

Die Beziehung zwischen Blutdruck und kardiovaskulären Ereignissen ist nicht linear, sondern J-förmig. Nicht nur zu hohe, auch zu niedrige Therapieziele gehen mit einer Zunahme von Komplikationen einher.

Die meisten Studien, so die Kardiologen, würden zwar nahelegen, dass systolische Werte von 130-139 mmHg und diastolische von 70-85 optimal seien.

Möglicherweise gebe es aber das eine optimale Ziel nicht, weil der Einfluss von Alter und Begleiterkrankungen berücksichtigt werden müsse. Weitere Erkenntnisse hierzu erhoffen sie sich von der SPRINT-Studie.

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