Notfall
Warum kommen ältere Frauen mit Herzinfarkt erst spät in die Klinik?
Bei Frauen über 65 Jahren dauert es fast doppelt so lang wie bei jüngeren Frauen, bis sie nach Auftreten der ersten Herzinfarkt-Symptome in die Notaufnahme kommen. Forscher haben einen interessanten Verdacht.
Veröffentlicht:BERLIN. Bei Frauen, die älter als 65 Jahre sind, dauert es am längsten bis sie nach Auftreten der ersten Symptome eines Herzinfarkts in die Notaufnahme kommen.Dadurch geht wertvolle Zeit verloren, um die verschlossenen Blutgefäße wieder zu eröffnen und die Schädigung des Herzmuskels einzuschränken. Das hat eine Studie des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) in Kooperation mit dem Helmholtz Zentrum München und der TU München ergeben (Am J Cardiol 2017; 120(12): 2128-2134). Die Gründe dafür vermuten die Wissenschaftler um Dr. Karl-Heinz Ladwig vom DZHK im psychologischen Bereich, unter anderem in einer falschen Bescheidenheit, die in diesem Fall völlig unangebracht ist.
"Das wird schon wieder besser, da muss ich doch jetzt nicht den Notarzt rufen. Was sollen die Nachbarn denken, wenn der Krankenwagen vorfährt und dann doch nichts war?" Solche Gedanken sind wohl gerade bei älteren Frauen häufig und führen zu den gefährlichen Verzögerungen, berichtet das DZHK in einer Mitteilung. Die Forscher fordern daher dringend gezielte Aufklärungsmaßnahmen für diese Risikogruppe.
Eklatanter Unterschied
"Der Unterschied zwischen älteren Frauen und allen anderen von uns untersuchten Gruppen, nämlich jüngeren Frauen unter 65 Jahren, sowie Männern über und unter 65 Jahren, ist eklatant", wird Ladwig vom DZHK in der Mitteilung zitiert. Bei älteren Frauen vergehen durchschnittlich über viereinhalb Stunden bis sie in der Notaufnahme sind, bei jungen Frauen sind es hingegen knapp zweieinhalb Stunden.
Auch junge und alte Männer stehen besser da: Bei über 65-jährigen Männern dauert es über dreieinhalb Stunden, bei jungen Männern etwa drei Stunden, bis sie im Krankenhaus untersucht werden. Anders als bisher angenommen, ist es also weder das Alter allein noch das Geschlecht, sondern vielmehr die Kombination aus Alter und weiblichem Geschlecht, die zu langen Entscheidungszeiten zwischen Auftreten der ersten Herzinfarkt-Symptome und der Versorgung in einer Notaufnahme führt. Dabei zählt bei einem Herzinfarkt jede Minute, um das Herz mit einem Katheter zu untersuchen und das verschlossene Blutgefäß wieder zu eröffnen. Denn je schneller der Blutfluss wieder hergestellt werden kann, desto weniger Herzmuskelzellen sterben ab.
Daten aus der MEDEA-Studie
Die Studiendaten stammten aus der MEDEA-Studie (Munich Examination of Delay in Patients Experiencing Acute Myocardial Infarction), in der über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren 619 Patienten mit einem Herzinfarkt, bei dem sich eine ST-Strecken-Hebung im Elektrokardiogramm zeigte, befragt wurden.
Zertifizierte Interviewerinnen führten mit den Patienten innerhalb von 24 Stunden nach dem Verlassen der Intensivstation Gespräche. Zudem füllten die Studienteilnehmer einen Fragebogen aus, und aus den Krankenakten und den Angaben des medizinischen Personals wurden ihre körperlichen Risikofaktoren ermittelt. Die klinischen Eigenschaften zwischen Männern und Frauen unterschieden sich nur geringfügig, männliche Studienteilnehmer waren lediglich etwas häufiger Raucher als weibliche. Bei der Betrachtung der soziodemographischen Faktoren zeigte sich, dass die weiblichen Studienteilnehmer häufiger alleine lebten sowie älter und öfters arbeitslos waren.
Die allgemeine Annahme, dass bei einem Herzinfarkt das typische Symptom Brustschmerz nur bei Frauen häufig fehlt, und der Herzinfarkt deshalb zu spät erkannt wird, konnten Ladwig und seine Kollegen nicht bestätigen. Denn die Abwesenheit von Brustschmerz hatte nur einen geringen Effekt auf die Entscheidungszeit der älteren Patientinnen und konnte nicht die beobachteten exzessiven zeitlichen Unterschiede erklären.
Vielmehr ergab die Analyse, dass das Fehlen von Brustschmerz ein Alterseffekt und nicht typisch weiblich ist. Die Angabe, dass typische Symptome fehlten, beobachteten die Forscher bei älteren Männern annähernd so oft wie bei älteren Frauen. Das Auftreten von Brustschmerz lässt sich laut Ladwig auf die einfache Formel bringen: "Je älter desto weniger Brustschmerz."
Ältere Frauen in den Fokus nehmen!
"Auch bei Übelkeit und Erbrechen konnten wir keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellen", erklärt Ladwig. "Das hatten wir ganz anders erwartet. Denn diese atypischen Beschwerden wurden bislang immer eher Frauen zugeordnet." Fehlende oder untypische Beschwerden können daher nicht die Ursache dafür sein, dass ältere Frauen so spät in die Notaufnahme kommen.
Ladwig und seine Kollegen sehen die Gründe für die langen Entscheidungszeiten vielmehr im psychologischen Bereich, unter anderem in einer Bescheidenheit, die in diesem Fall völlig unangebracht ist. Sie fordern daher, dass diese Risikogruppe bei der Aufklärung über das Thema Herzinfarkt noch mehr in den Fokus geraten muss.
"Eines unserer zentralen Ziele ist, zukünftig gezielt auf ältere Frauen einzuwirken, etwa über bundesweite Kampagnen oder die Ärzte", so Ladwig. Hausärzte sollten mit ihre alten Patientinnen sprechen, die Risikofaktoren für einen Herzinfarkt haben. Dabei sollten sie ihnen verdeutlichen, wie wichtig es ist, rechtzeitig den Notruf zu wählen und erklären, wie sie im Ernstfall richtig reagieren können. Dazu gehören auch so einfache Tipps, wie den Zettel mit der Notruf-Nummer direkt ans Telefon zu hängen und zwar so groß geschrieben, dass man sie auch ohne Brille lesen kann. (eb)