Gentherapie hilft Jungen mit Immunkrankheit

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Professor Christoph Klein, Direktor der MHH-Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie (links) bei der Behandlung von Felix. Bei dem gentherapeutisch behandelten Jungen wurde ein Wiskott-Aldrich-Syndrom im Alter von dreieinhalb Jahren diagnostiziert.

Professor Christoph Klein, Direktor der MHH-Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie (links) bei der Behandlung von Felix. Bei dem gentherapeutisch behandelten Jungen wurde ein Wiskott-Aldrich-Syndrom im Alter von dreieinhalb Jahren diagnostiziert.

© MHH

HANNOVER (eb). Weltweit zum ersten Mal konnten Kinder mit der angeborenen Immunkrankheit Wiskott-Aldrich-Syndrom mit einer Stammzell-Gentherapie erfolgreich behandelt werden. Dem Team um Professor Christoph Klein an der Medizinischen Hochschule Hannover ist es gelungen, mit dieser Gentherapie Symptome dieser Erbkrankheit zu beseitigen:

Die Kinder hatten bis zu vier Jahre nach dem Eingriff keine Krankheitszeichen mehr und führen inzwischen ein normales Leben. Daten zu zwei Kindern, die die Gentherapie erhielten, wurden jetzt publiziert (NEJM 2010; 363: 1918).

Wie die Ärzte um Klein berichten, ist die Korrektur bei 8 von 10 Kindern in allen Blutzellen stabil. Ein Patient konnte nicht genug korrigierte Zellen erhalten, ein weiterer entwickelte als Nebenwirkung eine Leukämie. Im "New England Journal of Medicine" sind die ersten Ergebnisse der beiden am längsten erfolgreich behandelten Patienten veröffentlicht worden.

Nebenwirkungen ließen sich nicht vermeiden

"Wir freuen uns alle über diese Erfolge einer neuen und offensichtlich wirksamen Therapie. Dennoch steht die Entwicklung der Gentherapie noch ganz am Anfang. Wir fühlen uns einer vorsichtigen und kritischen Vorgehensweise verpflichtet, denn neue Therapiemethoden bergen immer auch das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen, die sich auch in dieser Studie leider nicht vermeiden ließen", erläutert Klein , Direktor der MHH-Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie. Klein wurde für seine Leistungen auf den Gebieten der Kinderheilkunde und Immunologie dieses Jahr von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit dem hochdotierten Leibniz-Preis ausgezeichnet.

Die ersten Symptome des Wiskott-Aldrich-Syndroms (WAS) treten bereits im frühen Kindesalter auf. Dazu gehören schwere wiederkehrende Infektionen wie Lungenentzündungen. Auch Blutungen und Hautausschläge können Zeichen der seltenen Krankheit sein. Patienten mit Wiskott-Aldrich-Syndrom haben ein hohes Risiko, Autoimmunerkrankungen, Leukämien oder Lymphome zu entwickeln. Unbehandelt führt der Immundefekt im Kindesalter zum Tod.

Die Gentherapie ist oft weniger belastend

Bislang konnten betroffene Kinder nur mit Hilfe einer Transplantation von Blutstammzellen eines Spenders gerettet werden. Dieses Verfahren ist jedoch häufig mit schweren Nebenwirkungen verbunden.

"Die Gentherapie ist oft weniger belastend als die allogene Blutstammzelltransplantation, nach der schwere Komplikationen durch Unverträglichkeiten des Immunsystems auftreten können", erklärt Dr. Kaan Boztug, wissenschaftlicher Mitarbeiter in dieser Gentherapiestudie. Die Erberkrankung beruht auf einer Genmutation, die die Bildung des WAS-Proteins beeinträchtigt.

Das Protein ist wesentlich für die Funktion des Zytoskeletts der Zelle und damit notwendig für die Reifung und Aktivierung der an der Immunabwehr beteiligten Leukozyten und der Thrombozyten. Nach der erfolgreichen Gentherapie konnte das Forscherteam durch mehrere molekulare Untersuchungen nachweisen, dass die entsprechenden Funktionen wiederhergestellt sind, wie die Medizinische Hochschule Hannover mitteilt.

Der Gendefekt wird auf dem X-Chromosom vererbt und betrifft ausschließlich Jungen wie den heute fünfjährigen Felix Ott. Direkt nach seiner Geburt kam Felix auf die Intensivstation. Die Zahl seiner Blutplättchen war extrem niedrig. Ein Wiskott-Aldrich-Syndrom, wurde allerdings erst im Alter von dreieinhalb Jahren bei ihm diagnostiziert. Eine verzögerte Diagnose ist für Patienten mit seltenen Erkrankungen noch immer ein großes Problem.

Ärzte prophezeiten dem Kind eine geringe Lebenserwartung. 2009 erhielt der aus Rheinland-Pfalz stammende Junge an der MHH die lebensrettende Gentherapie. Zuvor lebte Familie Ott in ständiger Angst. Jeder Sturz oder eine innere Blutung hätten für Felix den Tod bedeuten können. "Die Angst, ihn abends ins Bett zu legen und nicht zu wissen, ob er wegen einer inneren Blutung morgens vielleicht nicht mehr aufwacht, war der blanke Horror für uns", erinnert sich die Mutter von Felix, Marion Ott.

Die Symptome klangen vollständig ab

Bei dem gentherapeutischen Verfahren wurden Felix zunächst seine eigenen hämatopoetischen Stammzellen aus dem Knochenmark entnommen und gereinigt. Im Labor schleusten die Forscher mit Hilfe eines retroviralen Gentaxis eine gesunde Kopie des WAS-Gens in die Erbinformation der Stammzellen ein und gaben diese anschließend dem Kind zurück.

Nach der Transplantation der korrigierten Blutstammzellen normalisierten sich innerhalb eines Jahres die Zahl und die Funktion der verschiedenen Blutzellen. Die Krankheitssymptome klangen vollständig ab. Felix kann nun ein normales Leben führen. Sein Vater Oliver Ott ist glücklich: "Heute kann unser Sohn mit anderen Kindern toben und spielen. Wir müssen ihn nicht mehr wie ein rohes Ei behandeln."

Bei der Gentherapie werden Körperzellen durch Transfer von genetischer Information in die Lage versetzt, einen fehlenden lebensnotwendigen Stoff, zum Beispiel ein Eiweiß, selbst herzustellen. Die Natur selbst liefert äußerst wirkungsvolle Transportvehikel in die Zelle: Viren sind sehr effiziente Genfähren.

Um ein Virus als Genfähre benutzen zu können, wurden alle Virusgene entfernt, und stattdessen das gesunde WAS-Gen eingesetzt. Im Idealfall wird eine solche Gentherapie einmalig angewendet und erspart dem Patienten unter Umständen sogar die lebenslange Einnahme von Medikamenten.

Trotz der einfachen Grundidee ist die Gentherapie eine komplexe medizinische Behandlung, die Entwicklungspotenzial, aber auch Risiken aufweist. Die Sicherheit des Patienten hat außer der Aussicht auf Heilung höchste Priorität.

Mögliche Nebenwirkungen der Gentherapie sind unerwünschte Genaktivierungen in einzelnen Zellen, die als Insertionsmutagenesen bezeichnet werden und im ungünstigsten Fall Krebs auslösen können. Eine engmaschige Kontrolle der Patienten nach der Transplantation ist darum überaus wichtig.

Rückschläge sind nicht auszuschließen

Professor Christof von Kalle vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg ist ein international renommierter Spezialist auf dem Gebiet der Sicherheit von Gentherapiestudien. Sein Team untersucht in regelmäßigen Abständen die korrigierten Blutstammzellen der Patienten auf krebsauslösende Faktoren.

"Wenn auch bei den ersten WAS-Patienten zunächst keine Anzeichen einer Gefährdung durch Wachstum einzelner Klone beobachtet werden konnten, so sind mögliche Rückschläge nicht auszuschließen", stellt der Heidelberger Experte für Gentherapie fest. So deuten erste Untersuchungen darauf hin, dass die Leukämie bei einem der Patienten durch die Insertion der retroviralen Vektoren mit ausgelöst wurde, ähnlich wie bei vorausgegangenen Gentherapiestudien in Paris und London.

"Neuere Genfähren könnten möglicherweise solche Nebenwirkungen verhindern, stehen uns aber derzeit noch nicht im klinischen Maßstab zur Verfügung", sagt Klein. "Wir hoffen aber, dass wir diese Technologie bereits in einem Jahr in einer Nachfolgegeneration dieser Studie einsetzen können."

Vor der klinischen Anwendung der Gentherapie hat das interdisziplinäre Team um Professor Klein auch mit einer Gruppe von Philosophen und Bioethikern zusammengearbeitet. "Für unsere Kinder mit Wiskott-Aldrich-Syndrom, für die sich keine passenden Blutstammzellspender finden, bietet die Gentherapie eine Chance auf eine Rückkehr in ein normales Leben. Ein Beispiel dafür ist Felix", erklärt Professor Klein.

Klein hat im vergangenen Jahr die Care-for-Rare Foundation gegründet, damit Kinder mit seltenen Erkrankungen schneller Zugang zu einer modernen genetischen Diagnostik und zu innovativen Therapieverfahren erhalten können. Diese Stiftung kooperiert mit einem internationalen Netzwerk von Ärzten und Wissenschaftlern. Die Förderung der klinischen Forschung erfolgt derzeit mit einem besonderen Schwerpunkt auf Krankheiten des Blutes und des Immunsystems.

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