Infekte
Nur anfällig oder angeborener Immundefekt?
Kommt ein Patient immer wieder wegen Infektionen in die Praxis, gilt es herauszufinden: Ist er anfällig für Infekte oder liegt ein Immundefekt vor? Bei der Abgrenzung hilft ein Netzwerk.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. Wenn Patienten oft Infektionen haben, kommt eine pathologische Anfälligkeit infrage. Doch auch Umstände des Alltags sind bei der Häufigkeit entscheidend.
So steigt sie etwa mit der Geschwisterzahl oder dem Eintritt in Krippe oder Kindergarten infolge erhöhter Exposition - ohne Immunschwäche. Auch die hygienischen Verhältnisse oder Virulenz/Variabilität kursierender Keime beeinflussen die Infektwahrscheinlichkeit.
Echte Immundefekte sind selten. Da sie jedoch HNO-Erkrankungen mit sich bringen, liefern die Symptome oft erste Hinweise.
Mit einer frühen Diagnose lassen sich Organschäden verhindern. Daher wurde das Netzwerk FIND-ID initiiert, mit dem die Fachdisziplinen für primäre Immundefekte sensibilisiert werden sollen (http://find-id.net).
160 angeborene Immundefekte bekannt
Während sekundäre Immundefekte durch Krankheiten, Medikamente, Fehl- und Mangelernährung entstehen, gehen primäre Defekte auf Gene zurück. Derzeit sind mehr als 160 angeborene Immundefekte bekannt.
Für den HNO-Arzt sind vor allem solche Defekte relevant, die mit einem Immunglobulinmangel einhergehen: Agammaglobulinämien, IgG-Subklassendefekte, selektiver IgA-Mangel, Hyper-IgM-Syndrome sowie das variable Immundefektsyndrom (Common Variable Immunodeficiency, CVID), das einen Mangel in mindestens zwei Antikörperklassen (IgG, IgM oder IgA) sowie eine gestörte Impfantwort auslöst.
Auch beim Wiskott-Aldrich-Syndrom sind die Immunglobulinspiegel niedrig. Weiter sind im HNO-Bereich Neutropenien, septische Granulomatosen sowie das Hyper-IgE-Syndrom bedeutsam, da sie rezidivierende Infektionen mit Abszessen oder Otitiden, Sinusitiden und Mastoiditiden mit sich bringen.
Häufige Atemwegsinfektionen, besonders chronische Sinusitiden, treten oft bei Agammaglobulinämien oder CVID auf, wo sie durch ihren Verlauf auffallen.
ELVIS hilft
Dr. Ulrich Baumann und Professor Tim Niehues haben die Kriterien für die Unterscheidung Immundefekt - allgemeine Infekthäufung unter dem Akronym ELVIS (Erreger, Lokalisation, Verlauf, Intensität, Summe) zusammengefasst (HNO Nachrichten 2012; 42 (2): 11-13).
Erreger: Typisch für einen Immundefekt sind Infektionen mit opportunistischen Keimen: Pneumonien durch Zytomegalievirus, Pneumocystis jirovecii oder Aspergillus oder eine chronisch-mukokutane Candidiasis.
Auch bei Lebendimpfungen treten Immundefekte zutage. So fielen Kinder mit Interferon-?- oder Interleukin-12-Rezeptor-Defekten durch schwere Reaktionen auf die BCG-Impfung auf, Kinder mit SCID (Severe Combine Immune Deficiency) durch chronische Rotavirusenteritis auf die Rotavirus-Impfung.
Die häufigsten angeborenen Immundefekte wie CVID oder Agammaglobulinämie fallen eher durch Atemwegsinfektionen mit bekapselten Erregern wie Streptococcus pneumoniae oder Haemophilus influenzae auf.
Viren und Protozoen rufen Meningitiden oder Cholezystitiden hervor. Daneben liefern Infektionen mit Staphylococcus aureus, Neisseria meningitidis und Pseudomonas aeruginosa Hinweise auf primäre Immundefekte.
Lokalisation: Immundefekte wirken sich im gesamten Körper aus. Bei Agammaglobulinämien erkranken zwar am häufigsten die Atemwege, doch auch Haut, Gastrointestinaltrakts, Gelenke sowie Sepsis. Zudem siedeln die Erreger in ungewöhnlichen Regionen: bei Störungen der Interferon-?-Interleukin-12-Achse Salmonellenabszesse in Lymphknoten.
Verlauf: Den besten Hinweis liefert der chronische Verlauf. Seltener sind Auffälligkeiten im Blutbild wie Lymphopenie, Neutropenie oder Thrombozytopenie. So sollte bei der Anamnese auch die Länge der Infekte erfragt werden.
Da chronische Infekte Folgen wie Bronchiektasen oder Nasenpolypen haben, sollte bei diesen Patienten ein Augenmerk auf Immundefekten liegen. Auch wenn Antibiotika innerhalb von zwei Monaten keine Besserung bringen, ist das ein Warnzeichen.
Intensität: Angeborene Immundefekte sind gehäuft von schweren Infekten wie Pneumonie, Meningitis, Sepsis oder Osteomyelitis begleitet.
Summe: Eine deutsche Studie hat die durchschnittliche Zahl von Atemwegserkrankungen pro Jahr ermittelt: im Säuglingsalter elf, bei Kleinkindern acht und bei Schulkindern vier. Bei Kindern unter acht Jahren summierte sich die Krankheitsdauer auf auf sechs bis acht Wochen im Jahr.
Quelle: www.springermedizin.de