Hintergrund
Elektronische Supernase erschnüffelt Krankheiten
Elektronische Nasen könnten die Diagnostik von Krankheiten verbessern helfen. Sie erschnuppern Bestandteile von Atemluft, Hautgasen oder Ausdünstungen von Urinproben.
Veröffentlicht:Der Mensch soll in der Lage sein, über 10 000 verschiedene Gerüche zu identifizieren. Das ist jedoch gar nichts im Vergleich zu Hunden. Ihnen wird eine bis zu eine Million Mal stärkere Riechleistung als Menschen zugeschrieben.
Nun nützt es wenig zu wissen, dass Hunde unter bestimmten Voraussetzungen Krebserkrankungen oder bei Diabetikern Über- oder Unterzuckerungen erkennen können. Wichtig ist aber die Erkenntnis, dass messbare Parameter existieren, die wir im Unterschied zu unserem Lieblingshaustier kaum wahrnehmen, nicht ausreichend kennen und daher nicht systematisch erfassen.
Tatsache ist: Bei schwerwiegenden und anhaltenden Krankheiten ändern sich Stoffwechselaktivitäten und damit auch Ausscheidungsprodukte in der Atemluft oder in Hautgasen.
In Studien konnte mit Atemgasanalysen Lungenkrebs oder Asthma mit hoher Sicherheit nachgewiesen werden. Ließ man elektronische Nasen an Urinproben riechen, waren Harnwegsinfekte feststellbar, in Sputumproben Mycobacterium tuberculosis.
Patienten mit Schizophrenie sondern Körpergerüche ab, die in gaschromatographischen und massenspektrometrischen Analysen charakteristische Profile aufweisen. Sinnvoll erscheint die Geruchsdiagnostik besonders dann, wenn man mit heutigen diagnostischen Mitteln häufig zu spät kommt, wie das bei vielen Krebserkrankungen der Fall ist. Oder wenn die Diagnostik vergleichsweise einfacher wird, schneller, eventuell mobiler oder wenn der Krankheitsverlauf damit gut verfolgt werden könnte.
Eines der Zentren in Deutschland, die sich mit der Entwicklung elektronischer Nasen beschäftigen, ist die Fachhochschule in Jena.
Mit Hilfe eines Gas-Sensorchips, elektronischer Datenverarbeitungssoftware und mathematischer Verfahren war es in ersten Funktionstests gelungen, verschiedene Stoffgemische wie zum Beispiel Gewürze genau zu unterscheiden, berichten Professor Andreas Voß vom Fachbereich Medizintechnik und Biotechnologie und seine Kollegen (DZKF 2011, 1/2: 25).
Es folgten klinische Tests, in denen bei Dialyse-Patienten sowie bei Patienten mit leichter Niereninsuffizienz und bei Gesunden ein Sensorkopf auf der Haut platziert wurde. Gesunde waren zu 100 Prozent von Kranken zu unterscheiden.
Leicht niereninsuffiziente Patienten waren mit 95-prozentiger Sicherheit von schwer niereninsuffizienten Patienten zu differenzieren. In einer weiteren Pilotstudie ließen sich mit der elektronischen Nase JEENA (JEnaer Elektronische NAse) Patienten mit Leberzirrhose eindeutig von Gesunden unterscheiden. Derzeit wird versucht, kardiale Erkrankungen wie die Herzinsuffizienz zu erkennen und zu überwachen.
Und so funktioniert die elektronische Nase: Geruchskomponenten wechselwirken auf physikalische oder chemische Art und Weise mit der Sensoroberfläche. Metalloxidsensoren zum Beispiel bestehen aus einem Keramikträger sowie einer Zinndioxid-Schicht und einem Platinheizer.
Die Empfindlichkeit des Sensors kann mit der Temperatur verändert werden. Chemische oder physikalische Veränderungen der Sensorcharakteristik bewirken ein elektrisches Signal. Dieses wird erfasst, verarbeitet und einer Datenanalyse im Computer zugeführt. Mit mathematischen Verfahren lassen sich Hauptkomponenten des Signals analysieren und statistische Gruppentrennungen vornehmen.
Nachteil ist, dass man zwar sieht: Da ist was! Allerdings lassen sich die gasförmigen Stoffe nicht direkt charakterisieren. Dazu bedürfe es chemischer Referenzanalysen zum Beispiel mit der Gaschromatographie und der Massenspektrometrie, so Voß.
Auf diese Weise könnten chemische Komponenten voneinander getrennt, quantifiziert und identifiziert werden, selbst bei sehr geringen Konzentrationen. Kann man die real bestimmten Stoffe nun unterscheiden, ergibt sich daraus die Möglichkeit, den Sensor zu optimieren.
Für die klinische Routineanwendung sind die heutigen Geräte noch ungeeignet. In einem Verbundvorhaben mit mehreren Projektpartnern und der Uniklinik Jena versuchen die Wissenschaftler jetzt, einen miniaturisierten Prototypen der elektronischen Nase herzustellen, der in der Klinik oder sogar beim Hausarzt verwendet werden könnte. "Noch kleiner, preiswerter und Sofortauswertung vor Ort", so beschreibt Voß die Zukunft der Geruchsdiagnostik.
Er und seine Kollegen warnen jedoch vor allzu großer Euphorie: Noch seien viele Fragen ungeklärt, etwa welchen Einfluss Komorbiditäten oder die Ernährung des Einzelnen auf die Messungen haben oder inwiefern Messergebnisse abhängig sind von Luftdruck, Luftfeuchte und anwesenden Fremdstoffen.