Leitartikel zu Obst und Gemüse

Kein starker Krieger im Kampf gegen Krebs?

Mit Langzeitstudien wollten Forscher den Zusammenhang zwischen obst- und gemüsereicher Ernährung und abnehmender Krebsinzidenz belegen. Nach zehn Jahren kehrt bei Forschern die Ernüchterung ein. Denn überzeugende Ergebnisse fehlen.

Von Ingeborg Bördlein Veröffentlicht:
Gemüse sollte den Speiseplan dominieren - das war jahrelang auch das Credo in der Krebsprävention.

Gemüse sollte den Speiseplan dominieren - das war jahrelang auch das Credo in der Krebsprävention.

© alex / fotolia.com

"Five a day" oder "Six a day even better?" Mit groß angelegten Kampagnen in den 1990er Jahren sollten übersättigte Wohlstandsbürger in den Industrieländern für den Verzehr von reichlich Obst und Gemüse gewonnen werden.

Die Botschaft: Das Krebsrisiko ließe sich mit dieser gesunden Kost um bis zu 50 Prozent senken. Das suggerierten Daten aus zahlreichen Fall-Kontroll-Studien mit stark inverser Beziehung zwischen Gemüsekonsum und Krebsrisiko.

Doch nun stellt sich zehn Jahre später Ernüchterung ein: In prospektiven Kohorten-Studien wie der "European Prospective Investigation in Nutrition and Cancer" (EPIC) konnte dieser Effekt für die meisten Krebsarten wie Brust-, Pankreas-, Nierenzell-, Blut- und Prostatakrebs sowie Lymphome nicht bestätigt werden.

Lediglich bei Speiseröhrenkrebs, Lungenkrebs (allerdings nur bei Rauchern) und Darmkrebs - und hier nur unter Ex-Rauchern- ergab sich eine geringe Senkung des relativen Risikos um acht bis neun Prozent.

EPIC-Studienleiter Professor Rudolf Kaaks, der ebenso die Abteilung Epidemiologie von Krebserkrankungen im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) führt, resümiert die Ergebnisse: "Man muss heute feststellen, dass der in den Fall-Kontroll-Studien gefundene starke Zusammenhang zwischen hohem Gemüse- und Obstkonsum und einer Senkung des Krebsrisikos infrage gestellt werden muss."

Fragebögen könnten das falsche Mittel sein

Stimmte also die Botschaft nicht oder lag es an der Datenerhebung? Der Heidelberger Epidemiologe sieht gewisse Probleme mit Fragebögen in den Fall-Kontroll-Studien, die zu Verzerrungen führen können: "Zum einen beantworten Menschen mit Krebs, die Fragen anders als die Menschen, die (noch) keinen Krebs haben, möglicherweise ausführlicher und differenzierter."

"Zum anderen kann eine unbewusst selektive Auswahl von Kontrollpersonen zu weiteren Verzerrungen führen", gab Kaaks jüngst bei einer Veranstaltung am DKFZ über den Zusammenhang von Ernährung und Krebs zu bedenken.

Weniger verzerrte Resultate versprechen Studien, in denen das Ernährungsverhalten einer Bevölkerungsgruppe über Jahre verglichen wird. Einige von ihnen erkranken im Laufe ihres Lebens an Krebs, andere bleiben gesund. Auch hier wird mit Fragebögen zum Lebensstil gearbeitet.

Doch die Verzerrungsprobleme der klassischen Fall-Kontrollstudien tauchen seltener auf. Denn die Befragten wissen zu Beginn der Studie nicht, ob sie an Krebs leiden oder eine Erkrankung entwickeln werden. Gleichzeitig stammen sie alle aus einer klar definierten Studienpopulation. Diesen Ansatz verfolgt auch die europäische EPIC-Studie mit allein 53.000 Teilnehmern in Deutschland und 500.000 in ganz Westeuropa.

Ähnlich große Studien mit insgesamt 800.000 Teilnehmern hat man vor allem in den Vereinigten Staaten vorgenommen. Die Ergebnisse wurden in einem großen Pooling-Projekt an der Harvard Universität zusammengeführt. Für hohen Gemüse- und Obstverzehr fanden sich auch hier nur wenig beweiskräftige Zusammenhänge mit verringertem Krebsrisiko.

Zwar wurden höhere relative Krebsrisiken für einzelne Ernährungsbestandteile wie gesättigte Fettsäuren, schnell verfügbare Kohlehydrate, Alkohol und rotes Fleisch und Fleischprodukte in all diesen Studien gefunden. So gibt es zum Beispiel ein maximal um 50 Prozent erhöhtes relatives Risiko für Darmkrebs durch Verzehr von rotem Fleisch. Doch waren auch hier die Effekte relativ gering.

Dazu kommt, dass nicht abschließend geklärt ist, inwieweit diese Risikobewertung spezifisch auf die Nahrungsmittel zurückzuführen ist oder auch auf andere Lebensstilfaktoren wie Bewegung und Sport, die mit Ernährungsgewohnheiten assoziiert sein können.

Fazit: Prospektive Studien können die gefundenen Zusammenhänge zwischen Ernährungsbestandteilen und Krebs im internationalen Vergleich zwischen den Industriestaaten und Ländern in Süd-Ost-Asien nur in einem geringen Anteil erklären. Was macht also den Unterschied aus?

Jetzt geht es - endlich - dem Speck an den Kragen

Zunehmend nimmt man in der Präventionsforschung nun neben den einzelnen Ernährungsbestandteilen, dem Tabak- und Alkoholkonsum auch das Übergewicht per se als Krebsrisikofaktor in den Blick.

Und hier stellten internationale Forschergruppen tatsächlich weltweit fest: Übergewicht ist ein eindeutiger Risikofaktor nicht nur für Herz-Kreislaufkrankheiten, sondern auch für Krebs.

So haben fettleibige Menschen mit einem BMI über 30 gegenüber normalgewichtigen Menschen für bestimmte Krebsarten besonders für Speiseröhren- und Gallenblasenkrebs ein deutlich erhöhtes Risiko. Auch weiß man, dass Dickdarmtumoren, Nierenzellkrebs, Brustkrebs nach der Menopause und Pankreaskrebs durch Übergewicht begünstigt werden können.

So hält der Leiter des Deutschen Krebsforschungszentrums Professor Otmar Wiestler den Komplex der Fehl- und Überernährung als Krebsrisikofaktor denn auch für lange unterschätzt. Für die Zukunft soll diesem Forschungsgebiet ein bedeutender Stellenwert eingeräumt werden.

Zusätzlich wird sich die Stabsstelle Krebsprävention am DKFZ, die sich bislang vor allem dem Thema Gefahren der Tabakprodukte gewidmet hat, nun verstärkt auch um die Rolle der Fettleibigkeit für die Krebsentwicklung annehmen. Regelmäßig sollen neueste wissenschaftliche Erkenntnisse auf diesem Gebiet in Politik und Öffentlichkeit gebracht werden.

Nachdem es bei der Reduzierung des Tabakkonsums erste Erfolge zu verbuchen gibt, geht es jetzt also ran an den Speck: Und da sollte man sich doch wieder an die frühere Gemüse- und Obstkampagne erinnern: Tendenziell sind diejenigen Zeitgenossen, die viel Obst und Gemüse essen, weniger anfällig für Übergewicht und damit vielleicht auch für Krebs.

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