High-Tech-Bakterie
Nano-Roboter stürzen sich in Krebszellen
Ein kleines Magnetfeld reicht – dann dringt Magnetococcus marinus tief in den Tumor ein, vor allem in hypoxische Bereiche, die sonst therapeutisch kaum zugänglich sind. Dort kann der Keim präzise seine tödliche Last abladen.
Veröffentlicht:Neu-Isenburg. Die Bilder sind beeindruckend: In einem Video zeigen kanadische Forscher, wie ein Schwarm von etwa 5000 Magnetococcus-Bakterien längliche Polymerpartikel zu einer kleinen Stufenpyramide zusammenschiebt. Die Bakterien orientieren sich an Magnetfeldern, und das können die Forscher nutzen, um ihre Bewegung zu manipulieren.
Statt Pyramiden zu bauen, sollen die Keime aber eines Tages in das Innere von massiven Tumoren vordringen und mit Arzneien beladene Liposomen oder andere Vehikel im schwer zugänglichen Tumorzentrum abladen.
Und das ist tatsächlich nicht nur Wunschdenken: Magnetococcus marinus ist für diese Aufgabe offenbar perfekt geeignet, haben die Forscher um Professor Sylvain Martel vom Nanorobotik-Labor der Polytechnischen Hochschule in Montréal herausgefunden. In ersten Tierversuchen schienen die bakteriellen Nano-Roboter ihre Aufgabe gut zu erfüllen.
Magnetococcus lässt sich mit Magnetfeld steuern
Die Idee, mit Nanopartikeln einen Tumor zu zerstören, ist nicht neu. Zugelassen ist bereits eine in Deutschland entwickelte Methode, bei der Eisenoxidpartikel mit einer Hülle aus Aminosilanen umgeben sind. Die Teilchen mit einem Durchmesser von 15 Nanometern werden direkt in Tumoren gespritzt und in einem Wechselmagnetfeld erhitzt.
Bei dieser Magnetflüssigkeits-Hyperthermie geht ein Großteil der Tumormasse zugrunde. Allerdings ist es bei massiven Tumoren nicht immer einfach, Nanopartikel passiv ins Tumorzentrum zu dirigieren.
Die Diffusionsfähigkeit solcher Partikel ist durch den interstitiellen Druck im Tumor begrenzt, berichten Wissenschaftler um Dr. Ouajdi Felfoul aus der Arbeitsgruppe von Martel in ihrer aktuellen Veröffentlichung (Nature Nanotechnology 2016; online 15. August).
Sie setzen daher auf Nanokomponenten, die zielgerichtet und aktiv ins Zentrum vordringen, vor allem in die sehr teilungsaktiven hypoxischen Bereiche, die nur schwer von Arzneien erreicht werden. Lassen sich solche Zonen präzise ansteuern, könnte dies dem Tumor auf elegante Weise den Garaus machen.
Auf Magnetococcus marinus sind die Forscher gestoßen, weil sich die kugelförmigen Keime mit ihren kleinen Eisenoxidpartikeln, den Magnetosomen, am Erdmagnetfeld orientieren und entlang von Magnetfeldlinien bewegen. Dank ihrer Flagellen schwimmen sie jedoch aktiv voran und können dabei auch Hindernisse überwinden.
Müheloses Bewegen zwischen Krebszellen
So gleiten sie mühelos zwischen Tumorzellen hindurch und lassen sich nicht vom irregulären angiogenen Netzwerk oder Endothelzellen aufhalten. Solche Barrieren erschweren systemisch verabreichten oder injizierten passiven Carriern den Zugang.
Zudem hat der Keim einen Riecher für hypoxische Bereiche und sucht diese bevorzugt auf. Sobald er einen Sauerstoffgradienten feststellt, vergisst er die Magnetfelder und orientiert sich primär an diesem. Einmal im Tumor, sollte sich Magnetococcus vor allem in den teilungsaktiven Zonen aufhalten.
Sehr hohe Carrier-Konzentrationen im Tumor
Genau das konnten die kanadischen Forscher in Tierexperimenten zeigen: Sie injizierten Magnetococcus peritumoral in immundefiziente Mäuse mit transplantierten Tumoren. Dreidimensionale Magnetfelder leicht über der Erdmagnetfeldstärke lockten die Bakterien zuverlässig in den Tumor.
Dort versammelten sich die Keime tatsächlich in den hypoxischen Zonen, wie spezielle Färbetechniken und elektronenmikroskopische Aufnahmen zeigten. Die Konzentration der Erreger im Zentrum war zudem ein Vielfaches höher als in Versuchen ohne Magnetfeldsteuerung oder in Experimenten mit toten Magnetokokken oder Polymer-Mikrosphären.
Während bei passiven Carriern oder ohne Magnetfeld nur ein winziger Bruchteil das Tumorinnere erreichte, konnten die Forscher mehr als die Hälfte der injizierten lebenden Magnetokokken nach der Magnetfeldsteuerung im Tumorinneren aufspüren.
Dabei nahm die Konzentration deutlich vom Tumorinneren nach außen ab – die meisten Keime befanden sich folglich am erwünschten Ort. Durch den aktiven Transport lassen sich also bisher nicht erreichte CarrierKonzentrationen im Tumorinneren erreichen.
Arzneimittelkonzentration deutlich höher als mit üblichen Verfahren
Als nächstes beluden die Wissenschaftler ihre biologischen Nano-Roboter mit Liposomen, wie sie auch in der Tumortherapie zum Einsatz kommen. Damit gelangten sie ebenso gut wie ohne Last in den Tumor.
Nach Auffassung der Wissenschaftler um Felfoul werden auf diese Weise deutlich höhere Arzneikonzentrationen im Tumorinneren erreicht als mit bisherigen Verfahren – ohne dass der übrige Körper darunter mehr zu leiden hätte.
Im Prinzip ließen sich mit dem Verfahren Arzneien an jeder gewünschten Körperstelle in jede beliebige Gewebetiefe verfrachten, schreiben die Studienautoren.
Allerdings müssen sie zu diesem Zweck ihre Nano-Roboter noch etwas umbauen, das menschliche Immunsystem würde ihnen sonst wohl ein vorzeitiges Ende bereiten. Durch gezielte Eingriffe in das Genom lässt sich Magnetococcus aber vielleicht eines Tages in eine gut steuerbare Nanomaschine für die Tumortherapie umwandeln.