Zyto-Skandal um Apotheker
"Kultur des Misstrauens würde schaden"
Onkologen sollten genau hinschauen, mit welchem Apotheker sie bei Zytostatika zusammenarbeiten, aber nicht in blindes Misstrauen verfallen, erklärt Professor Stephan Schmitz vom Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen.
Veröffentlicht:Professor Stephan Schmitz
Vorsitzender des Berufsverbands der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen
Niedergelassen in einer Schwerpunktpraxis für Onkologie und Hämatologie
Mitglied u.a. in der European Society for Medical Oncology
Ärzte Zeitung: Wie haben Sie reagiert, als Sie von den Vorwürfen gegen den Bottroper Apotheker gehört haben?
Professor Stephan Schmitz: Ich war entsetzt. Ich habe mir so etwas nicht vorstellen können. Wenn sich die Vorwürfe bewahrheiten, dann ist das hochkriminell und verstößt gegen jeden moralischen und berufsethischen Anstand.
Haben Sie und Ihre Kollegen seit Bekanntwerden des Falls viele Nachfragen von Patienten bekommen?
Schmitz: Die Verunsicherung der Patienten ist in manchen Regionen relativ groß. In meiner eigenen Praxis gab es nicht sehr viele Nachfragen, obwohl ich damit gerechnet hatte. Die Ärzte sind gesprächsbereit.
Wie gehen die niedergelassenen Hämatologen und Onkologen, die mit dem Apotheker zusammengearbeitet haben, mit dem Thema um?
Schmitz: Die Ärzte, mit denen ich bisher gesprochen habe, sind extrem betroffen von den Vorfällen. Sie haben wochenlang nachts ihre Therapieakten gescreent und geprüft, ob es Auffälligkeiten gibt.
Sind sie fündig geworden?
Schmitz: Nein, bislang sind die Kollegen kaum auf Besonderheiten gestoßen.
In der Öffentlichkeit, aber auch von manchen Medizinern gibt es Vorwürfe gegen die behandelnden Ärzte: Sie hätten merken müssen, dass mit den Chemotherapien etwas nicht stimmt. Was sagen Sie dazu?
Schmitz: Solche pauschalen Behauptungen sind wenig hilfreich, meistens sogar falsch. Denn die Zusammenhänge sind kompliziert. Klar ist: Bei ganz vielen Erkrankungen und Therapien haben Sie als Arzt gar keine Chance, den Missbrauch zu bemerken.
Können Sie Beispiele nennen?
Schmitz: Nehmen wir die adjuvante Therapie bei Brustkrebs mit einem Antikörper. Man kann nicht messen, ob sie wirkt oder nicht, weil die Patienten keinen Tumor mehr haben. Wenn bei einer Polychemotherapie nur eines von vier Zytostatika weggelassen wird, kann man das auch nicht merken.
Wie sieht es aus mit sehr toxischen Therapien?
Schmitz: Das hängt davon ab, wie sehr der Wirkstoff reduziert wurde. Wenn es zehn, 20 oder 30 Prozent weniger sind, wird der Arzt das in der Regel nicht feststellen können. Der Dosis-Toxizitäts-Effekt ist nicht linear. Der eine Patient verträgt die Therapie bei 100 Prozent ohne Probleme, der andere bei 100 Prozent überhaupt nicht.
Wenn eine Therapie nicht wirkt, kann man also nicht folgern, dass mit ihr etwas nicht stimmt?
Schmitz: Genau das ist das Problem. Es liegt in der Natur der Sache. Wir wissen, dass in der Onkologie die Therapien relativ häufig nicht wirken. Wenn wir aus Studien wissen, dass eine Therapie bei einer bestimmten Erkrankung zu 70 Prozent gut wirkt, wissen wir eben auch, dass 30 Prozent nicht wirken. Im Einzelfall kann man also aus einer Nicht-Wirkung nicht auf eine Unterdosierung schließen.
Aber aus der Politik und von den Medien ist immer wieder die Forderung zu hören, Ärzte müssten die Patienten besser informieren ...
Schmitz: Die Onkologen haben sich sehr verantwortungsvoll mit diesem Thema beschäftigt. Der Informationsstand war und ist für die betroffenen Onkologen sehr dünn. Die Ärzte wissen ja gar nicht, welche Patienten betroffen sind. Die Kollegen haben mit allen Patienten, die verunsichert sind und sich an die Praxen gewendet haben, ausführlich Gespräche über ihren Krankheitsverlauf und die Therapien und Medikamente geführt.
Welche Konsequenzen sollte man Ihrer Meinung nach aus den Vorgängen ziehen?
Schmitz: Es macht auf jeden Fall Sinn, die Prozesse und Strukturen zu überprüfen.Jeder Onkologe sollte prüfen, mit welchem Apotheker er bei Zytostatika zusammenarbeitet. Ich hätte auch kein Problem damit, wenn Amtsapotheken unangemeldete Stichproben durchführen würden.
Wir sollten aber angemessen reagieren. Aus dem kriminellen Verhalten eines Einzelnen darf man nicht einen Generalverdacht folgern. Eine daraus folgende Kultur des Misstrauens würde mehr schaden.
Ein absoluter Schutz ist das aber doch auch nicht.
Schmitz: Nein, aber man muss schon richtig kriminell sein, um gegen die Regeln zu verstoßen und das Wohl und die Gesundheit der Patienten in Gefahr zu bringen. Gegen solche Einzelfälle gibt es keinen 100-prozentigen Schutz. Wir wissen auch aus anderen Lebenslagen, dass es extrem schwer ist, kriminelle Einzeltäter zu stoppen.
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