Darmkrebsvorsorge
"Immunologischer Stuhltest ist ein Muss!"
Professor Jürgen Riemann hat sich mit der Stiftung LebensBlicke dem Kampf gegen Darmkrebs verschrieben. Im Interview erläutert er, wie zuverlässig die einzelnen Stuhltests sind, wieso Männer schon ab 45 Jahren zur Vorsorge gehen sollten und warum die Koloskopie gerne bewusst überinterpretiert wird.
Das Interview führte Ingeborg Bördlein
Professor Jürgen F. Riemann
Ehemaliger Direktor der Medizinischen Klinik C am Klinikum Ludwigshafen.
Vorsitzender der Stiftung LebensBlicke, die sich den Kampf gegen Darmkrebs auf ihre Fahnen geschrieben hat. Seit kurzem Befürworter der Stiftung ist auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe.
Ärzte Zeitung: Nur jede(r) Fünfte der über 55-Jährigen nutzt zur Darmkrebsvorsorge die Koloskopie. Stuhltests werden besser angenommen. Sollte man also im Screening nicht besser stufenweise vorgehen und in der Vorsorgekaskade zunächst mit der Darmkrebsvorsorge mittels immunologischem Stuhlbluttest (i-FOBT) beginnen?
Professor Jürgen F. Riemann: Rechnet man die aus anderen Gründen untersuchten Personen (Indikationen!) und die privat Versicherten dazu, dann kommt man inzwischen doch auf eine Gesamtkoloskopierate von 50 Prozent und mehr. Und das ist eigentlich gut! Richtig ist aber auch, dass gerade der i-FOBT auf Grund seiner besonderen Eigenschaften als niedrigschwelliges Angebot besser beurteilt wird als der g-FOBT (Guajak-basierter Stuhltest, d.Red.).
Seine Einführung in die GKV hängt noch von der Festlegung von Qualitätsindikatoren und deren kontinuierlicher Überprüfbarkeit ab (Evaluation, Nachhaltigkeit!). Wir sollten in Deutschland derzeit an unserem zweifachen Angebot für die Anspruchsberechtigten (mit 50 Jahren Stuhltest, mit 55 Jahren auch Koloskopie) noch festhalten. Es hat sich grundsätzlich bewährt! Mögliche Änderungen werden erst mit dem neuen Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz (KFRG) erfolgen.
Wie zuverlässig sind die immunologischen Stuhltests und wie häufig muss man sie anwenden?
Riemann: Derzeit gibt es auf dem Markt ein breit gefächertes Angebot immunologischer Tests mit ganz unterschiedliche Qualitäten. Daher sind Qualitätsvorgaben unabdingbar. Die Stiftung LebensBlicke arbeitet zusammen mit der Deutschen Krebsgesellschaft und wichtigen gesundheitspolitischen Entscheidern daran sehr intensiv.
Grundvoraussetzung für die bessere Zuverlässigkeit im Vergleich zum g-FOBT ist unter anderem eine mindestens 90-prozentige Spezifität bei circa. 2-3-fach besserer Sensitivität gegenüber dem bisher eingesetzten g-FOBT. Diese Verbesserung belegen viele sehr gute Studien. Beim i-FOBT ist eine Testung nur alle zwei Jahre erforderlich und mit einer einmaligen Stuhlprobe auch noch einfacher für den Anwender. Noch ist der i-FOBT allerdings nur ein IGeL-Angebot!
Warum dauert ihre Einführung hierzulande so lange?
Riemann: Das hängt von den unterschiedlichen Interessen der Anbieter einerseits und von der Abstimmung über die angesprochenen Qualitätskriterien durch die gesundheitspolitischen Entscheider andererseits ab. Hier gibt es aber inzwischen die klare Übereinstimmung der wichtigsten Partner, dass die Einführung des i-FOBT ein MUSS ist. Man kann und darf den berechtigten Personen den klar besseren Test nicht länger vorenthalten.
Kann man nicht auf die recht unzuverlässigen Haemoccult®-Tests ganz verzichten?
Riemann: Aus meiner Sicht sollte man spätestens nach Einführung des deutlich besseren i-FOBT als Regelleistung in die gesetzliche Krankenversicherung auf den g-FOBT ganz verzichten, obwohl er die beste Evidenz hat. Denn: das Bessere ist immer der Feind des Guten!
Wo sehen Sie den Stellenwert der Sigmoidoskopie als weniger aufwändige und billigere Screening -Methode. Ihr Nutzen wurde ja inzwischen in drei großen Studien belegt?
Riemann: Die Sigmoidoskopie weist in der Tat beeindruckende evidenzbasierte Ergebnisse auf und wäre in der Angebotspalette eine wirklich gute Möglichkeit. Leider hat sie in Deutschland im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern keine Tradition. Die S3-Leitlinie unserer Fachgesellschaften sieht sie auch als ein weiteres Angebot für das Darmkrebsscreening vor. Ich sehe allerdings in nächster Zeit bei uns wenig Chancen dafür, dass sie in der Regelversorgung breit zum Einsatz kommt.
Männer haben ein doppelt so hohes Darmkrebsrisiko wie Frauen und der gängige Stuhltest ist bei ihnen obendrein weniger aussagekräftig. Das hat eine jüngst veröffentliche Studie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) gezeigt. Sollte man also nicht stärker risikoadaptiert beim Screening vorgehen - auch das familiäre Risiko betreffend?
Riemann: Das ist eine ganz wichtige Forderung, die auch die Stiftung LebensBlicke schon seit einiger Zeit erhebt. Ich erinner an unser Motto "Männer im Fokus" vom Darmkrebsmonat März 2012! Wir plädieren sehr dafür, Männern schon mit 45 Jahren das Angebot zu Darmkrebsvorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen zu machen. Bei der betrieblichen Darmkrebsfrüherkennung zum Beispiel in der BASF SE in Ludwigshafen (ca. 80 Prozent männliche Beschäftigte) wird das schon seit Jahren so praktiziert.
Aber dazu gehören ein langer Atem sowie viele Verbündete. Dabei hoffen wir auch auf die Unterstützung durch Medien! Gleiches gilt für das Screening beim familiären Darmkrebs-Risiko, dessen Nutzen das IQWiG kürzlich wegen fehlender Studien mit hoher Evidenz in Zweifel gezogen hat. Der Gesetzgeber hat jedoch mit dem KFRG die Flexibilisierung der Altersgrenzen möglich gemacht. Das sollte der G-BA bei der Umsetzung dieses neuen Gesetzes voll nutzen.
Wo sehen Sie heute den Platz der Koloskopie im Darmkrebs-Screening?
Riemann: Die Screening-Koloskopie ist auch als Primärangebot für die Menschen, die sie in Anspruch nehmen wollen, aus meiner Sicht weiterhin unverzichtbar. Die aktuellen 10-Jahresdaten des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung belegen exemplarisch, welchen Nutzen sie den Untersuchten bisher gebracht hat und wie extrem gering im Verhältnis dazu die Komplikationsrate ist. Sie wird aber immer wieder von Gegnern und Kritikern der Vorsorge in den Vordergrund gestellt und (bewusst?) überinterpretiert.
Allerdings lehnen zahlreiche Menschen die invasive Spiegelung auch ab; die Gründe dafür sind vielfältiger Natur. Sie reichen von grundsätzlicher Ablehnung über Unkenntnis bis zu Angst vor Untersuchung und Ergebnis. Da ist noch viel Informationsarbeit zu leisten!
Wie sähe für Sie nach den Erkenntnissen der letzten Jahre das ideale Darmkrebs-Screening aus?
Riemann: Der Gesetzgeber hat mit dem KFRG eine wichtige Weichenstellung vollzogen. Wir werden ein bundesweites organisiertes Einladungsverfahren bekommen, das jedem Anspruchsberechtigten ab einem noch durch den G-BA fest zulegenden Alter die Möglichkeit gibt, sich über die Darmkrebsvorsorge und -Früherkennung zu informieren und die bisherigen Angebote Stuhltest beziehungsweise Darmspiegelung wahrzunehmen.
Es muss für den Menschen eine Angebotspalette zur Wahl geben, die von niedrigschwelligen, aber effizienten Angeboten bis hin idealerweise zum Goldstandard Koloskopie reichen. Denn: nur bei maximal 30 Prozent untersuchter asymptomatischer Personen ohne Risiko findet man einen relevanten Befund. Daher wird in Zukunft der wenig invasive, aber treffsichere nicht invasive Filter eine zunehmend wichtige Rolle spielen.
Mit dem i-FOBT ist ein erster Schritt hin zu dieser Entwicklung erfolgt. Er könnte sich fortsetzen in molekularen Stuhl- beziehungsweise Bluttesten bis hin zu neuen bildgebenden Verfahren wie Kolonkapsel oder MR-Kolonographie, die derzeit in Studien erprobt werden.
Mein Credo ist: je besser und vielfältiger das Angebot, desto mehr Menschen werden sich entscheiden, mitzumachen. Das kennen wir nur allzu gut aus anderen Bereichen.
Zusammen mit dem DKFZ und dem Mannheimer Uniklinikum trifft Ihre Stiftung mit wichtigen Entscheidern im Gesundheitswesen zusammen, um über die Möglichkeiten einer zielgruppenspezifische Bevölkerungsinformation zu beraten. Wie könnte die aus Ihrer Sicht aussehen?
Riemann: Der informierte Patient ist für seine Entscheidung, ob er am Darmkrebsscreening teilnehmen möchte oder nicht, eine Grundvoraussetzung. Man muss akzeptieren, dass es Menschen gibt, die das für sich nicht wünschen. Ziel dieses Workshops ist, aus der Fülle der Angebote allüberall auf die wichtigsten Aussagen zu fokussieren und für den Laien in verständlicher, kurzer und übersichtlicher Form zu konzentrieren.
Zu umfangreiche Information kann verwirren, zu wenig lässt zu Vieles offen. Impulsreferate aus verschiedenen Perspektiven, so zum Beispiel auch aus der Sicht der Patienten, werden dazu die Grundlage schaffen. Die Kernaussagen, die zielgruppenspezifisch sein sollen, werden der Presse vorgestellt und nach dem Workshop in einer "Mannheimer Erklärung der Stiftung LebensBlicke zur informierten Entscheidung" zusammengefasst. Sie sollen auch mögliche Grundlage für die Diskussion über die Ausgestaltung des KFRG sein.
In der Metropolregion Rhein-Neckar wird eine neue gebündelte Vorsorgeinitiative "Fit für die Zukunft" gestartet. Was steckt dahinter?
Riemann: Diese Initiative, an der die Stiftung LebensBlicke und der aus einer Idee der Stiftung hervorgegangene Verein "1000 Leben retten" als Gründungsmitglieder beteiligt sind, will in der Tat Kräfte bündeln, Synergien schaffen und Aktivitäten, von denen es in der Region schon viele gibt, zu zunächst drei Themenkomplexen zusammenführen: Verbesserung der HPV-Impfungsrate (unter Mitwirkung unseres Nobelpreisträgers Professor Harald zur Hausen), vorschulische Ernährung als einen Ansatz zur Primärprävention vieler Erkrankungen, auch von Krebserkrankungen) und Krebsfrüherkennung ("1000 Leben retten" als ein Beispiel).
Die Krebsfrüherkennung ist schon sehr gut etabliert und zeigt Erfolge; bei den anderen Themen besteht Nachholbedarf. Wir haben inzwischen schon zahlreiche Unterstützer und "Mitmacher" gewinnen können. Wer sich näher informieren möchte, kann sich das im RNF live geführte Gespräch dazu unter www.lebensblicke.de Thema Prävention live im Rhein-Neckar-Fernsehen, veröffentlicht am 11. Januar 2014, ansehen.