Leitartikel zum Mammografie-Screening

Frauen im Wirrwarr von Nutzen und Risiken

Mammografie-Screening und andere Früherkennungsmaßnahmen können Leben retten - aber sie bergen auch Risiken, die häufig unerwähnt bleiben. Langsam ändert sich etwas an dieser Praxis, sodass informierte Entscheidungen möglich werden.

Von Dr. Christine Starostzik Veröffentlicht:
Wie erfolgreich ist das Mammografie-Screening? Dazu gibt es verschiedene Ansichten.

Wie erfolgreich ist das Mammografie-Screening? Dazu gibt es verschiedene Ansichten.

© Monkey Business / iStock / Thinkstock.com

Früherkennungsmaßnahmen wie das Mammografie-Screening erfahren regen Zulauf. Eigentlich eine erfreuliche Entwicklung, denn einigen rettet die frühe Tumordiagnose das Leben. Doch die wenigsten Frauen wissen, auf was sie sich damit einlassen.

Leben Frauen, die regelmäßig am Brustkrebs-Screening teilnehmen, länger als solche, die darauf verzichten? Oder sind sie im Fall einer frühen Diagnose nur länger krank? Das ist die eigentliche Gretchenfrage.

Doch darüber tobt unter Experten ein Glaubenskrieg, je nachdem, welche Studien sie zu Rate ziehen. Gerne wird mit Patienten geworben, die durch die frühe Entdeckung eines Tumors gerade noch mal die Kurve bekommen haben.

Über die Risiken von Screenings informieren Mediziner ihre Patienten aber nur selten, und wenn, dann häufig falsch, wie Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin beklagt.

Gefahr der Überdiagnostik

Bei einer Befragung von 412 amerikanischen Hausärzten stellte sich heraus, dass nicht einmal jeder Zweite die Gefahr der Überdiagnostik bei Mammografie-Screening und PSA-Test richtig einschätzte (JAMA Intern Med 2013, online 21. Oktober).

Häufig zitierte Befunde zur Senkung der Brustkrebsmortalität um 20 bis 30 Prozent durch regelmäßiges Screening klingen beeindruckend. Auch die in aktuelleren Analysen berechneten 15 Prozent werden als Erfolg verbucht.

Was allerdings hinter den Zahlen steckt, rechneten Odette Wegwarth und Gerd Gigerenzer vor: 2000 Frauen müssen zehn Jahre am Mammografie-Screening teilnehmen, damit einer Frau der Krebstod erspart bleibt - eine Abnahme der Brustkrebssterblichkeit um absolute 0,05 Prozent (JAMA Intern Med 2013, online 21. Oktober).

Zum gleichen Ergebnis kommen P. C. G¢tzsche und K. J¢rgensen in einem aktuellen Cochrane-Review (The Cochrane Library 2013, Issue 6).

Sie stellen außerdem fest: Zehn der 2000 Frauen werden unnötig zu Krebspatientinnen und unterziehen sich Operation, Bestrahlung oder Chemotherapie. Ganz abgesehen davon, dass die Screening-Teilnahme die Gesamtmortalität offenbar nicht beeinflusst.

Dies bedeutet: Sinkt die Zahl der Brustkrebstoten, dann sterben mehr Frauen aus anderen Gründen.

US-Ärzte waren wenig auskunftsfreudig

Gigerenzer und Wegwarth befragten 317 US-Amerikaner nach ihren Erfahrungen im Vorfeld von Mammografie, Koloskopie oder PSA-Test. Nur 9,5 Prozent berichteten, ihr Arzt habe sie über die Gefahren von Überdiagnostik und Übertherapie aufgeklärt.

Neun erhielten eine Auskunft über die Höhe des Risikos, doch selbst diese Angaben waren bis auf eine falsch.

Und dies, obwohl 80 Prozent der Befragten angaben, dass sie sich Informationen wünschten. 69 Prozent hätten mit einem Mammografie- oder PSA-Screening nicht begonnen, wenn sie über die wahren Risiken informiert gewesen wären.

In Deutschland reagierte der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) 2010 mit einem aktualisierten Merkblatt zum Mammografie-Screening auf die lauter werdende Kritik.

Dort heißt es: "Die Mehrzahl der Fachleute geht davon aus, dass dieses Programm für Frauen, die daran teilnehmen, mehr Vorteile als Nachteile bietet. … Für Frauen mit besonders vielen Risikofaktoren sind die Vorteile tendenziell deutlicher, für Frauen mit besonders wenigen Risikofaktoren tendenziell weniger deutlich."

Es wird auf die Möglichkeiten hingewiesen, dass sich ein auffälliger Befund nach einer Gewebeprobe als gutartig herausstellen kann, dass ein unheilbarer bösartiger Tumor entdeckt wird oder dass ein Tumor gefunden und behandelt wird, der niemals Probleme bereitet hätte.

Allerdings unterscheiden sich die Zahlenspiele im Merkblatt zum Mammografie-Screening deutlich von denen des aktuellen Cochrane-Reviews.

Der GBA gibt mit Hinweis auf einen Beitrag im Ärzteblatt von 2008 an, die regelmäßige Screening-Teilnahme über 20 Jahre bewahre eine von 200 Frauen vor dem Brustkrebstod (Dtsch Arztebl 2008; 105: 131).

Bemühung um den mündigen Patienten

Selbst wenn der Arzt bemüht ist, seine Patientinnen über Screening-Risiken zu informieren, bleibt abgesehen von Hinweisen zu Strahlenbelastung, möglichen Schmerzen und Ängsten immer noch die Frage: Nach welcher Datenlage soll er dies tun?

Während weiter über Risiken und Nutzen gestritten wird, scheint zumindest der Informationsfluss für die Patienten langsam in Gang zu kommen. Nicht nur die Autoren des Cochrane-Reviews haben ihre Ergebnisse laienverständlich auf einem eigenen Merkblatt in 13 Sprachen ins Netz gestellt.

Auch Krankenkassen, das IQWiG und die Betreiber des Mammografie-Screenings selbst weisen inzwischen auf Probleme hin. Natürlich erwächst daraus das Risiko, einige Früherkennungswillige zu verschrecken.

Viele andere aber fühlen sich zusehends besser informiert und werden in die Lage versetzt, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen.

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