Leitartikel

Brustkrebs: So manche Maßnahme könnte man den Patientinnen ersparen

Weltweit entwickeln Brustkrebsexperten neue Konzepte für eine schonendere Therapie des Mammakarzinoms. Aktuelle Studienergebnisse geben ihnen recht: Viele Maßnahmen können offenbar zurückgeschraubt werden, ohne die Sicherheit der Patientinnen zu gefährden.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:
Kranke Brust.

Kranke Brust.

© Springer Verlag

Nach der Diagnose Brustkrebs geht es für die meisten Patientinnen um nichts weniger als ums Überleben. Verständlich, dass viele daher am liebsten sämtliche Optionen ausschöpfen würden, die die Onkologie beim Mammakarzinom zu bieten hat.

Dennoch ist gerade in der Brustkrebstherapie auch Pragmatismus gefordert. So manche Maßnahme ist bei bestimmten Tumorarten nicht sinnvoll. Viele Verfahren sind mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden, die den Patientinnen über Jahre hinweg Probleme machen, so das Armödem nach Axilladissektion oder ein erhöhtes Frakturrisiko als Folge einer Therapie mit Aromatasehemmern.

Bestrahlungen bergen ihrerseits ein Krebsrisiko

Und einige Therapien können sogar neue Erkrankungen verursachen, z. B. exzessive Bestrahlungen, die ihrerseits ein Krebsrisiko bergen, oder Anthrazykline mit ihrer nachgewiesenen Kardiotoxizität.

Die Maxime "Weniger ist mehr" wird daher zunehmend wichtig. Wie der Gynäkologe und Brustkrebsspezialist Professor. Michael Untch, Berlin-Buch, berichtet, gelingt es immer besser, Mammakarzinome mithilfe von Multi-Gen-Signaturen einzustufen und die Therapie entsprechend anzupassen. "Bei 30% der Patientinnen können wir heute Chemotherapien zurückschrauben, weil wir so eine gute Prognose haben", sagte der Leiter des Brustzentrums an der Helios-Klinik gegenüber der "Ärzte Zeitung".

"Chemo light" hat sich bewährt

Ein neues Konzept einer "Chemo light" wurde erst im Dezember 2013 auf dem SABCS* in San Antonio vorgestellt: 406 Frauen mit kleinen, HER2-positiven Tumoren hatten sich in der US-Studie anstelle des aggressiven Standards aus Anthrazyklin und Cyclophosphamid (zusätzlich zu Trastuzumab) einem deutlich verträglicheren Regime unterzogen.

Bestandteile waren lediglich Trastuzumab sowie das aus der Eibe gewonnene Zytostatikum Paclitaxel. Wie die Forscher um Dr. Eric Winer, Boston, berichteten, waren 99 Prozent der Patientinnen nach fünf Jahren noch am Leben, ohne ein Rezidiv entwickelt zu haben (APT-Study, Abstract S1-04; unpublished data).

"Weniger ist mehr" gilt auch für Operationen

Das "Weniger ist mehr" gilt auch für bestimmte chirurgische Eingriffe. Für Untch sind hier vor allem die Sentina- und die ACOSOG-Studie wegweisend. Auf dieser Grundlage lässt sich relativ gut vorhersagen, welchen Patientinnen man die Ausräumung des Lymph- und Fettgewebes in der Achselhöhle (Axilladissektion) ersparen kann (JAMA Network 2013; 14: 1455-61 und Lancet Oncol 2013; 7: 609-18).

Entscheidend ist zum einen eine negative Wächter-Lymphknoten-Biopsie vor einer neoadjuvanten Chemotherapie, zum anderen ein sehr gutes Ansprechen auf eine neoadjuvante Therapie sowie im Anschluss negative Biopsiebefunde für mehr als drei Achsellymphknoten. Im Brustzentrum der Helios-Klink wird dieses Verfahren nach Absprache mit den Patientinnen bereits regelmäßig eingesetzt.

Die Radiatio kann ebenfalls Übertherapie mit sich bringen

Ein erhebliches Potenzial für Übertherapie birgt die Radiatio. Aktuell wird heftig um die Einführung eines neuen Konzepts gerungen, mit dem sich die Gesamtstrahlendosis erheblich reduzieren lässt: die hypofraktionierte Bestrahlung. Mit dieser verkürzt sich die Behandlungszeit von sieben bis acht auf drei bis fünf Wochen. Die onkologischen Ergebnisse sind sogar besser, und für die Patientin bedeutet das Verfahren eine deutlich geringere Belastung (Lancet Oncol 2013; 14: 1086-94).

Für die flächendeckende Einführung der hypofraktionierten Bestrahlung hat man sich daher schon auf dem letztjährigen Experten-Meeting in St. Gallen stark gemacht; dennoch wird die neue Technik in Deutschland erst von wenigen Zentren angeboten. Ob dabei finanzielle Interessen eine Rolle spielen sei dahingestellt. Hierzulande wird die Bestrahlung nicht als Gesamtleistung, sondern nach Anzahl der Sitzungen abgerechnet.

Wann ist die Prävention mit Skalpell und Aromatasehemmern sinnvoll?

Im Frühjahr 2013 ließ sich Angelina Jolie aufgrund eines hohen familiären Brustkrebsrisikos beide Brüste abnehmen. Seitdem sind präventive Maßnahmen vermehrt in der Diskussion. Dabei geht es keineswegs nur ums Skalpell. Auch Aromatasehemmer sollen Frauen mit erhöhtem Risiko vor einem Mammakarzinom schützen.

Intensiv beworben wird derzeit der Aromatasehemmer Anastrozol. Dessen Nutzen sieht Brustkrebsexperte Untch jedoch skeptisch. Erstens kann die Substanz nur hormonrezeptorpositive Karzinome verhindern, zweitens ist hier mit einer enorm hohen Rate übertherapierter Frauen zu rechnen: Trotz einer Halbierung der Karzinomrate (im Placebo-Arm waren 5,6 Prozent Karzinome aufgetreten, unter Anastrozol 2,8 Prozent) hatten in einer Studie 95% der Teilnehmerinnen das Medikament umsonst eingenommen; sie hätten nie Brustkrebs entwickelt (Lancet 2013; online 12. Dezember).

Bezahlt wird mit Nebenwirkungen wie Knochenbrüche oder Hitzewallungen

Der Preis für den vermeintlichen Schutz sind die Nebenwirkungen: Wie bei allen Aromatasehemmern erhöht sich auch unter Anastrozol das Risiko für osteoporosebedingte Knochenbrüche, Hitzewallungen, Schweißausbrüche und Gelenkbeschwerden.

Am 1. März 2014 wird die deutsche Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie (AGO) ihre neu erarbeiteten Leitlinien zur Diagnostik und Therapie des Mammakarzinoms präsentieren. Man darf gespannt sein, inwieweit das "Weniger ist mehr" darin Berücksichtigung findet.

*San Antonio Breast Cancer Symposium, 10.-14. Dezember 2013

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Kommentare
Björn Bendig M.A. 25.02.201417:40 Uhr

Weniger ist Mehr

Danke für den sehr informativen Beitrag,

"Weniger ist mehr" gilt nicht nur für die Onkologie. Sondern für die Medizin insgesamt. Immer wieder werden Interventionen und Medikamente empfohlen - insbesondere auch in Fachpublikationen, die einer genauen Betrachtung nicht stand halten.
Zwei investigative Journalisten haben es sich nun zur Aufgabe gemacht, den Einfluss der Pharma-Lobby auf die ärztliche Fachliteratur systematisch zu untersuchen: http://pressefreiheit-in-deutschland.de/?p=3485
Ein Schritt in die richtige Richtung... für mehr Transparenz.

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