ADHS-Therapie je nach Begleiterkrankungen
Bei der medikamentösen Therapie von ADHS- Patienten sollten sich Ärzte an den Komorbiditäten orientieren. So benötigen Patienten mit emotionalen Störungen, Tics, Störungen des Sozialverhaltens oder Entwicklungsproblemen jeweils andere Therapien.
Veröffentlicht:ESSEN. Bei hyperkinetischen Störungen liegen oft weitere Auffälligkeiten vor, die für die Therapie entscheidend sind, berichtet Dr. Ulrich Kohns, Facharzt für Kinder und Jugendmedizin in Essen (pädiatrie hautnah 2011; 23: 462-464).
Eine grobe Einteilung der hyperkinetischen Störungen gibt das DSM IV vor. Es unterscheidet ADHS mit vorherrschender Unaufmerksamkeit, mit dominierender Hyperaktivität und einen kombinierten Typ. Da ADHS-Patienten meist zum kombinierten Typ gehören, ist diese Einteilung für die Therapie oft wenig hilfreich.
Für Kohns stehen stattdessen die Komorbiditäten im Vordergrund. Er geht davon aus, dass 70 bis 80 Prozent der ADHS-Patienten weitere F-Diagnosen nach der ICD-10-Klassifikation aufweisen: Störungen des Sozialverhaltens, der Emotionen oder der Entwicklung. Typisch sind aufmüpfiges Verhalten, sensomotorische Probleme, Schwierigkeiten bei Lesen und Rechtschreibung.
Bei Jugendlichen und Erwachsenen dominieren Angststörungen und Depressionen, bei Kindern oppositionelles Verhalten und Kommunikationsstörungen. Entsprechend richten sich nationale und internationale Leitlinien nach den Komorbiditäten:
Bei ADHS und gleichzeitig Störungen des Sozialverhaltens (F91) werden als Mittel erster Wahl Atomoxetin und Methylphenidat empfohlen. Zweite Wahl ist eine Kombination beider Medikamente. Die Kombination von Methylphenidat und Risperidon ist eine Option bei "Zuständen plötzlicher, nicht kontrollierter, affektiver Überflutung mit nicht beherrschbarer Impulsivität und Aggressivität".
Bei ADHS mit Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92) nennt Kohns Atomoxetin als erste Wahl: "Angst und Unsicherheit sind nicht selten Hintergründe für Sozialverhaltensstörungen und Ausdruck von Störungen der Emotionen und sozialer Ängstlichkeit. Ängstliches, besonders sozial unsicheres Verhalten wird durch Atomoxetin gebessert, es erhöht Selbstsicherheit, Selbstvertrauen und soziale Interaktionsfähigkeit". Reicht die Wirkung auf die Aufmerksamkeit nicht, sei die Kombination mit Methylphenidat zu erwägen. Bei depressiven Störungen sieht der Pädiater Vorteile für Methylphenidat plus Antidepressivum.
ADHS plus emotionale Störungen des Kindesalters (F93). Dazu gehören Probleme durch Trennungsangst, Geschwisterrivalität oder Identitätsstörungen mit Überängstlichkeit. Kohns sieht hierbei in den Leitlinien eine Präferenz für Atomoxetin, die Kombitherapie mit Methylphenidat ist zweite Wahl.
ADHS plus Störungen der sozialen Funktionen mit Beginn in Kindheit und Jugend (F94), vor allem Bindungsstörungen. Für die ADHS Behandlung gebe es hierbei Einzelerfahrungen und erfolgreiche Versuche mit Atomoxetin, Methylphenidat oder der Kombination aus beiden, schreibt der Pädiater.
ADHS plus Ticstörungen (F95). In den Leitlinien wird hier Atomoxetin bevorzugt, Methylphenidat gilt als zweite Wahl. Als Option sieht Kohns auch Methylphenidat plus Tiaprid oder Risperidon, wobei Tiaprid bei Tic-Störungen einen Off-Label-Use darstelle. "Risperidon ist nach Leitlinie der Kinder- und Jugendpsychiatrie alternativ möglich."
ADHS und tief greifende Entwicklungsstörungen (F84), vor allem Autismus. Erste Wahl sei wieder Atomoxetin, gefolgt von Methylphenidat und der Kombitherapie. Behandlungsversuche gegen ADHS waren damit oft erfolgreich. "Bei eigenen Patienten war die Kombination Methylphenidat und Atomoxetin sehr effektiv", so der Pädiater.
Nach der europäischen Leitlinie zu ADHS ist Atomoxetin die erste Wahl bei Gefahr von Substanzmissbrauch, Ablehnung von Methylphenidat, Notwendigkeit einer 24-Stunden-Wirkung, Angst- und Tic-Störung, bei Nebenwirkungen oder unzureichender Wirkung von Methylphenidat und bei Anwendung über das 18. Lebensjahr hinaus empfohlen, wenn die Behandlung bereits vorher begonnen wurde.
Begleitkrankheiten ändern sich mit dem Alter
Welche Begleiterkrankungen Patienten mit ADHS haben, hängt stark vom Alter ab, so Dr. Ulrich Kohns aus Essen. Bei Kindern unter sechs Jahren dominieren oppositionelles Verhalten und Kommunikationsstörungen.
Verhaltens- und Angststörungen sind seltener. Bei Kindern über sechs Jahren steht noch oppositionelles Verhalten im Vordergrund, depressive Symptome, Verhaltens- und Angststörungen nehmen zu.
Bei Jugendlichen sind Verhaltens- und Angststörungen, gefolgt von Aufmüpfigkeit, Depressionen und Dysthymie häufige Komorbiditäten.
Bei Erwachsenen werden antisoziales Verhalten, Angststörungen, Depressionen und Stimmungsschwankungen oft begleitend beobachtet, aber auch Suchterkrankungen. Kommunikationsstörungen und oppositionelles Verhalten treten dagegen in den Hintergrund.