BLIKK-Studie
Medienanamese künftig Bestandteil der U-Untersuchungen?
Schon bei Babys und Kleinkindern machen sich die Folgen übermäßigen Medienkonsums bemerkbar. Das geht aus der heute veröffentlichten BLIKK-Studie hervor. Pädiater reagieren besorgt.
Veröffentlicht:BERLIN. Die Zahlen internetabhängiger Jugendlicher und junger Erwachsener steigen rasant – mittlerweile gehen Experten von etwa 600.000 Internetabhängigen und 2,5 Millionen problematischen Nutzern in Deutschland aus, so das Bundesgesundheitsministerium. Mit der heute vorgestellten BLIKK-Medienstudie werden nun auch die gesundheitlichen Risiken übermäßigen Medienkonsums für Kinder immer deutlicher: Sie reichen von Fütter- und Einschlafstörungen bei Babys über Sprachentwicklungsstörungen bei Kleinkindern bis zu Konzentrationsstörungen im Grundschulalter.
Kinder- und Jugendärzte stellten inzwischen weit überdurchschnittlich entsprechende Auffälligkeiten fest, wenn der Medienkonsum bei Kind oder Eltern auffallend hoch sei, heißt es dazu in einer Pressemitteilung des BMG. Das Ministerium hatte die Studie in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse wurden heute gemeinsam mit den Studienleitern im Ministerium vorgestellt: dem Direktor des Instituts für Medizinökonomie und medizinische Versorgungsforschung der Rheinischen Fachhochschule Köln, Prof. Dr. Rainer Riedel (Arzt für Neurologie/Psychiatrie, Psychotherapie) sowie Dr. med. Uwe Büsching, Kinder- und Jugendarzt und Vorstandsmitglied des Berufsverbands der Kinder –und Jugendärzte (BVKJ). Beim Jugendmedizinkongress in Weimar war im März bereits auf die ersten Zwischenergebnisse warnend hingewiesen worden.
"Diese Studie ist ein absolutes Novum. Sie zeigt, welche gesundheitlichen Folgen Kinder erleiden können, wenn sie im digitalen Kosmos in der Entwicklung eigener Medienkompetenz allein gelassen werden, ohne die Hilfe von Eltern, Pädagogen sowie Kinder- und Jugendärzten", kommentierte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler die Untersuchungeergebnisse. "In den Händen von Kleinkindern haben Smartphones und Tablets nichts zu suchen. Wir müssen die gesundheitlichen Folgen der Digitalisierung ernster nehmen als bisher", betonte sie auf der Pressekonferenz in Berlin. Es sei daher dringend notwendig, Eltern beim Thema Mediennutzung Orientierung zu geben unter dem Stichwort "digitale Fürsorge". Hier seien auch Schulen, Bildungseinrichtungen und die Politik gefragt.
Institutsleiter Prof. Dr. Riedel wird zu der Studie zitiert: "Als Fazit ergibt sich, dass der richtige Umgang mit den digitalen Medien, die durchaus einen berechtigt hohen Stellenwert in Beruf und Gesellschaft eingenommen haben, frühzeitig kontrolliert geübt werden soll. Dabei müssen soziale und ethische Werte wie Verantwortung, reale Kommunikation, Teamgeist und Freundschaft auf allen Ebenen der Erziehung gefördert werden. Kinder und junge Menschen sollen lernen, die Vorteile einer inzwischen globalen digitalen Welt zu nutzen, ohne dabei auf die Erlebnisse mit Freunden im Alltag zu verzichten."
Kinderarzt und Vorstandsmitglied des BVKJ, Dr. Büsching ergänzte: "Die Sorge der Eltern, ein Kind möge die besten Bedingungen für sein zukünftiges Leben vorfinden, gilt ebenso für Kinder- Jugendärzte. Mit vorschneller Verordnung von Ergo- oder Sprachtherapie allein lassen sich Gefahren nicht abwenden. Gerade, wenn das Verhalten oder die Entwicklung auffällig ist, sollte immer auch ein unangebrachter Umgang der Eltern wie der Kinder mit Medien in Betracht gezogen werden." Eine Medienanamnese und eine qualifizierte Medienberatung müsse daher künftig die Früherkennungsuntersuchungen ergänzen. (run)
Die wesentlichen Ergebnisse im Überblick
» 70 % der Kinder im Kita-Alter benutzen das Smartphone ihrer Eltern mehr als eine halbe Stunde täglich.
» Es gibt einen Zusammenhang zwischen einer intensiven Mediennutzung und Entwicklungsstörungen der Kinder
» Bei Kindern bis zum 6. Lebensjahr finden sich vermehrt Sprachentwicklungsstörungen sowie motorisch Hyperaktivität bei denjenigen, die intensiv Medien nutzen
» Wird eine digitale Medienkompetenz nicht frühzeitig erlernt, besteht ein erhöhtes Risiko, den Umgang mit den digitalen Medien nicht kontrollieren zu können.
Unter der Schirmherrschaft der Drogenbeauftragten und mit Förderung des Bundesministeriums für Gesundheit hat das Projekt "BLIKK-Medien" 5573 Eltern und deren Kinder zum Umgang mit digitalen Medien befragt und gleichzeitig im Rahmen der üblichen Früherkennungsuntersuchungen die körperliche, entwicklungsneurologische und psychosoziale Verfassung umfangreich dokumentiert. Die Studie geht nach Angaben des BMG weit über die üblichen Befragungen zu Mediennutzung hinaus.