Mobbing im Schulalltag

Seelische Blessuren bleiben

Für viele junge Menschen ist der Gang zur Schule mit Ängsten verbunden: Gegen Ausgrenzung, Mobbing und körperliche Gewalt soll jetzt gemeinsam mit der Uniklinik Heidelberg an 15 Schulen ein neues Programm implementiert werden.

Von Ingeborg Bördlein Veröffentlicht:
Lästern und Ausgrenzung unter Schülerinnen: Mobbing kann starke gesundheitliche Folgen haben.

Lästern und Ausgrenzung unter Schülerinnen: Mobbing kann starke gesundheitliche Folgen haben.

© Jürgen Fälchle / Fotolia.com

HEIDELBERG. Der Schulalltag ist in allen Bundesländern wieder eingekehrt - für 20 bis 25 Prozent der Schüler eine Qual. Sie werden von ihren Mitschülern ausgegrenzt, geschlagen, verspottet, tyrannisiert. Die Folgen sind dramatisch. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die körperlichen und seelischen Blessuren bei den Opfern bis ins Erwachsenenleben nachwirken können.

Obwohl Mobbing am Arbeitsplatz und in der Schule zum viel diskutierten Thema in den Medien wurde, werden die gesundheitlichen Auswirkungen noch vielfach unterschätzt.

Ein Fünftel aller Schüler wird gemobbt

Die Zahlen über die Prävalenzen von Mobbing-Fällen in der Schule schwanken europaweit enorm und liegen zwischen fünf und 50 Prozent, je nach Ländern, Schultypen und Stichproben. Für Deutschland müsse man davon ausgehen, dass mindestens ein Fünftel aller Schüler von Bullying - so die internationale wissenschaftliche Bezeichnung für Mobbing an Schulen - betroffen ist, schätzt der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Michael Kaess vom Uniklinikum Heidelberg.

Dies hat auch eine Befragung von circa 650 zehn- bis 17-jährigen Schülern sämtlicher Schultypen in Heidelberg bestätigt, die die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Psychosozialen Zentrum der Uniklinik im Jahre 2012 durchgeführt hat. Hier gaben etwa 14 Prozent der Befragten an, in den letzten Monaten ein Opfer von Mobbing geworden zu sein. Mädchen und Jungen waren gleich häufig betroffen.

Die seelischen und körperlichen Folgen für die Opfer von Bullying kristallisieren sich immer stärker heraus. So entwickelt ein Drittel der Mobbing-Opfer schwere psychische Störungen wie Depressionen und Ängste. Untersuchungen an der Heidelberger und Ulmer Kinder- und Jugendpsychiatrie haben darüber hinaus einen klaren Zusammenhang von Suizidgedanken und -versuchen sowie selbstverletzendem Verhalten in der Folge von Bullying gezeigt.

Je länger das Mobbing, desto stärker die Folgen

Auch somatische Folgen wie Essstörungen oder erst jüngst von US-amerikanischen Pädiatern um Laura Bogart am Boston Children's Hospital beschriebene Einschränkungen beim Sport, selbst beim Rennen und Gehen, stellen sich bei einem Teil der Opfer ein.

In einer Langzeitstudie mit über 4000 Schulkindern, die die amerikanischen Pädiater von der fünften bis zur zehnten Klasse begleitet und interviewt haben, stellten sie zudem fest, dass die Folgen umso schwerer waren, je länger das Mobbing andauerte (Pediatrics 2014; 133, 3: 440-447).

Die Ärzte fordern in ihrer in Pediatrics veröffentlichten Studie Früherkennungs- und Interventionsprogramme an Schulen, eine Nachbetreuung der Mobbing-Opfer über das Schulleben hinaus und eine klinisch-wissenschaftliche Evaluierung der Präventions- und Interventionsprogramme.

Dies ist auch in Deutschland geboten. Zwar gibt es hierzulande eine Reihe von Präventionsprogrammen wie die Aktion der Techniker Krankenkasse "Mobbingfreie Schule" - doch ob diese kurzfristige Interventionen nachhaltige Effekte haben, wird von Forschern angezweifelt.

In Heidelberg wird jetzt ein anderer Weg beschritten. Die Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie wird ab diesem Schuljahr erstmals in Deutschland das "Olweus Mobbing Präventionsprogramm" an 30 weiterführenden Schulen mit insgesamt 10.000 Schülerinnen und Schülern in der Region implementieren.

Es wurde in den 1980iger Jahren von dem norwegischen Psychologen Dr. Dan Olweus entwickelt und in dessen Heimatland, in Schweden, Island und den USA bereits erfolgreich eingesetzt. Ob es sich auf deutsche Schulverhältnisse übertragen lässt, wird in einer begleitenden randomisierten Studie untersucht.

Anti-Mobbing Strukturen als Teil der Schulkultur

Zunächst wird an den Schulen der Ist-Zustand zu Gewalt und Mobbing in anonymisierten Fragebögen erfragt. Danach wird das Programm in 15 Schulen gestartet. Lehrer und Schulpersonal werden von "Olweus-Coaches", die selbst speziell fortgebildete Lehrer sind, darin geschult, Mobbing zu erkennen.

Wie geht man mit einem Mobbing-Verdacht um? Wie greift man ein, ohne Täter und Opfer bloßzustellen und das Problem damit zu verschlimmern? In regelmäßigen Schulungen sollen Lehrkräfte lernen, wie sie in Mobbing-Situationen angemessen reagieren. Schüler werden in Diskussionsrunden mit den Themen wie Mobbing oder Ausgrenzung konfrontiert.

Eltern und Familien werden in zusätzlichen Veranstaltungen einbezogen. Ziel der 18-monatigen Implementierungsphase ist es, Anti-Mobbing-Strukturen an den teilnehmenden Schulen dauerhaft zu etablieren und zu einem Teil der Schulkultur werden zu lassen. Anschließend können die Schulen das Programm selbstständig weiterführen, neues Schulpersonal wird immer wieder entsprechend geschult.

Die 15 Kontrollschulen führen das Programm ein Jahr später ein. Das Programm ist anspruchsvoll und fordert einen hohen zeitlichen Einsatz. Ob es auf deutsche Schulverhältnisse überhaupt übertragbar ist, wird man in einigen Jahren wissen.

Doch nicht nur an den Schulen gilt es, auf Anzeichen von Mobbing wie verstärkte Ängste, soziale Isolation und schlechtere schulische Leistungen zu achten. Auch in der haus- und kinderärztlichen Praxis sollte mehr Aufmerksamkeit darauf verwendet werden: Hinter somatischen und psychischen Störungen oder erhöhten Fehlzeiten in der Schule kann immer auch Mobbing stecken.

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