"Es ist völlig normal, wenn die kleinen Schamlippen über die großen hinausragen"

Auch in Deutschland scheuen immer mehr junge Frauen weder Kosten noch Risiken einer Schamlippenreduktion. Experten wie die Plastische Chirurgin Dr. Marita Eisenmann-Klein sind besorgt über diese Entwicklung und die möglichen Langzeitfolgen.

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Ärzte Zeitung: Woher kommt der steigende Trend zu Schamlippenstraffungen in Deutschland?

Dr. Marita Eisenmann-Klein: Das Thema kocht zunehmend hoch, vor allem durch die Beiträge in Lifestyle-Magazinen. Da werden neue Normen für die Größe von Schamlippen gesetzt, an denen sich besonders junge Mädchen in der Pubertät orientieren. Und das ist sehr besorgniserregend.

Ärzte Zeitung: Wann sind die Labien zu groß?

Eisenmann-Klein: Das äußere Genitale ist sehr variabel in seiner Ausbildung. Wenn es in Life-Style-Magazinen heißt, die kleinen Schamlippen dürfen nicht über die großen hinausragen, dann halte ich das für höchst problematisch. Denn es ist völlig normal, wenn die kleinen Schamlippen über die großen hinausragen.

Ärzte Zeitung: Gibt es denn überhaupt eine Indikation für eine Straffung der Schamlippen?

Eisenmann-Klein: Indiziert ist der Eingriff, wenn eine ausgeprägte Asymmetrie der Schamlippen vorliegt oder die Patientin aufgrund stark vergrößerter Labien über Reizungen etwa beim Tragen von Hosen oder beim Reiten klagt. Ansonsten plädiere ich immer dafür, den Frauen klar zu machen, dass bei ihnen alles im Bereich der Norm ist. Dieses Vorgehen empfehle ich auch Hausärzten sowie Frauenärzten, die häufig der erste Ansprechpartner sind, wenn es um Schönheitsoperationen im Genitalbereich geht. Es entlastet meiner Erfahrung nach viele Patientinnen, wenn sie aus professionellem Munde hören, dass sie normal sind. Oft gelingt es so, die Frauen umzustimmen. Außerdem sollten die Patientinnen ausführlich über die möglichen Risiken eines solchen Eingriffs aufgeklärt werden.

Ärzte Zeitung: Welche Risiken sind das?

Eisenmann-Klein: Zu rechnen ist etwa mit Infekten, da man ja primär in einem von Bakterien besiedelten Bereich operiert. Die Gefahr besteht auch, dass zu viel von den Schamlippen weggenommen wird, weil man die Narbenschrumpfung nicht mit einberechnet hat. Es kann nach einer Schamlippenoperation außerdem zu dauerhaften Beeinträchtigungen kommen, zum Beispiel zu anhaltenden Narbenproblemen wie Schmerzen und Spannungsgefühlen, besonders beim Beischlaf. Auch Sensibilitätsstörungen können auftreten, da man im Bereich von Schamlippen praktisch immer sensible Nerven durchtrennt.

Ärzte Zeitung: Manche Frauen lassen sich trotz fehlender Indikation und Aufklärung über die Risiken nicht abbringen von ihrem Wunsch nach einer Labienstraffung...

Eisenmann-Klein: In einem solchen Fall sollte zusammen mit Psychologen oder Psychosomatikern geklärt werden, ob bei der Patientin eine psychische Störung, etwa eine körperdysmorphe Störung vorliegt. Das sind Frauen, die sich trotz einer wenig von der Norm abweichenden äußeren Erscheinung für unansehnlich halten. Es gibt aber Frauen, die gegebenenfalls eine psychische Behandlung ablehnen und etwa per Internet doch noch einen Kollegen finden, der sie operiert.

Ärzte Zeitung: Was kostet eine Schamlippenreduktion und wie steht es mit der Kostenübernahme?

Eisenmann-Klein: Ein Eingriff in Lokalanästhesie kostet 600 bis 800 Euro. Bei einer Vollnarkose kommen noch 300 bis 400 Euro hinzu. Wenn eine starke Asymmetrie der Labien vorliegt oder eine starke mechanische Reizung, kann man einen Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse stellen. Aber die Kassen werden auch hier immer restriktiver.

Das Interview führte Ingrid Kreutz.

Zur Person:

Dr. Marita Eisenmann-Klein ist Direktorin der Klinik für  Plastische und Ästhetische,  Hand-und Wiederherstellungschirurgie des Caritas-Krankenhauses St. Josef in Regensburg. Die Plastische und Ästhetische Chirurgin ist außerdem Generalsekretärin des Weltverbandes für Plastische Chirurgie (IPRAS). Bis vor zwei Jahren war sie Präsidentin der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen. (ikr)

Lesen Sie dazu auch: Schamlippenreduktion - Danach muss mit taktilen Störungen gerechnet werden Die ideale Patientin ist volljährig und psychisch gesund

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