Studie mit Zwillingen
Beidseitiger Tinnitus ist oft erblich
Ohrgeräusche können erblich sein, wie eine Studie mit eineiigen und zweieiigen Zwillingspaaren ergeben hat. Allerdings gilt das nur für Tinnitus, der auf beiden Ohren auftritt.
Veröffentlicht:BERLIN. Über den Einfluss der Gene auf die Entstehung von Tinnitus haben sich Forscher schon früher den Kopf zerbrochen. Dabei wurde unter anderem gezeigt, dass Schwestern und Brüder von Tinnituspatienten ein um 70 Prozent höheres Risiko haben, ebenfalls einen Tinnitus zu entwickeln, als Personen ohne solche Geschwister. Ob dies etwas mit den Genen zu tun hat, blieb aber unklar. Beispielsweise gab es Vermutungen, wonach die Erkrankung eines Angehörigen die Aufmerksamkeit für Tinnitus und damit die Prävalenz innerhalb betroffener Familien erhöhen könnte.
Eine Arbeitsgruppe spanischer, dänischer, schwedischer, norwegischer und deutscher Forscher, angeführt von Iris Maas von der Charité-Universitätsmedizin Berlin, hat sich auf die Suche nach den genetischen Einflüssen auf Tinnitus gemacht (Genet Med 2017, online 23. März). Die Wissenschaftler bedienten sich dabei der Mittel der Zwillingsforschung, wobei sie zunächst die Tinnituskonkordanz – die Wahrscheinlichkeit für Tinnitus eines Zwillings, falls der andere erkrankt ist – bei mehr als 10.000 ein- und zweieiigen Zwillingspaaren verglichen. Die Tinnitusprävalenz im Gesamtkollektiv lag bei 14,9 Prozent, ein Anteil, der jenem in der Allgemeinpopulation entspricht.
Insgesamt lag die Tinnituskonkordanz bei monozygoten Zwillingen höher als bei dizygoten, nämlich bei 32 Prozent versus 20 Prozent. Signifikant war der Unterschied aber nur für bilateralen Tinnitus (49 vs. 30 Prozent), nicht aber für unilaterale Ohrgeräusche (25 vs. 19 Prozent).
Anschließend gingen Maas und Kollegen daran, aus den Merkmalsvarianzen zwischen ein- und zweieiigen Zwillingen den Grad der Erblichkeit von Tinnitus abzuschätzen. Dazu gaben sie das Maß an, in dem sich die Varianz des phänotypischen Merkmals aus den Genen im Vergleich zum Einfluss der Umwelt erklären lässt. Grob gesprochen errechnet sich dieses Maß als Quotient aus genetischer zu phänotypischer Varianz. Haben die Gene keinen Einfluss, liegt dieser Wert bei 0. Sind die Gene allein verantwortlich, resultiert ein Wert von 1. Über die konkret beteiligten Gene ist damit nichts ausgesagt.
Im Mittel ergab sich für die Erblichkeit von Tinnitus ein Wert von 0,43. Das liegt in der Größenordnung anderer komplexer Erkrankungen, die mit dem zentralen Nervensystem in Verbindung stehen, wie Depressionen, Parkinson- oder Alzheimerkrankheit. Auch hier war der Zusammenhang mit bilateralem Tinnitus stärker ausgeprägt als für unilaterale Ohrgeräusche.
Die Heritabilitätsquote betrug 0,56 für bilateralen und 0,27 für unilateralen Tinnitus. Am deutlichsten zeigte sich diese Assoziation bei Männern (0,68) und bei Frauen unter 40 Jahren (0,62).
Die Gene sind nach den Ergebnissen dieser Studie zwar nicht allein, aber doch in gewichtiger Form an der Entwicklung eines Tinnitus beteiligt, besonders mit Blick auf ein bilaterales Auftreten. "Die genetische Prädisposition scheint demnach für die Entwicklung bestimmter Tinnitusformen wichtig zu sein, während nichtgenetische Faktoren bestimmen, ob sich die Disposition zum Tinnitus auswächst", schreiben Maas und ihre Mitarbeiter. Dabei handle es sich bei bilateralem Tinnitus womöglich um einen eigenen genetischen Subtyp.
49% betrug die Tinnituskonkordanz bei monozygoten Zwillingen im Vergleich zu 30 Prozent bei dizygoten Zwillingen, wenn der Tinnitus beidseitig war.