Epilepsie
Warum viele ihre Medikamente nicht einnehmen
Jeder dritte Erwachsene mit Epilepsie in Deutschland ist nachlässig mit seinen Antikonvulsiva. Welche Epilepsie-Patienten nehmen ihre Medikamente besonders oft nicht ein?
FRANKFURT / MAIN. Epilepsiekranken fällt es aus verständlichen Gründen schwer, lebenslang Medikamente mit teilweise erheblichen Nebenwirkungen einzunehmen. Auf der anderen Seite führt die Noncompliance vermehrt zu schweren Anfällen, Klinikeinweisungen und damit zu hohen Kosten im Gesundheitswesen.
Auch ist die Sterblichkeit bei schlechter Therapieadhärenz rund dreifach höher als bei guter, berichten Neurologen um Stephanie Gollwitzer von der Uniklinik in Erlangen.
Um die Adhärenz zu verbessern, wäre es natürlich gut zu wissen, welche Patienten warum auf den medikamentösen Schutz verzichten.
Einsichten dazu versprechen sich die Experten von einer Auswertung der IMS Disease Analyzer Datenbank, basierend auf Angaben von über 1000 Allgemeinärzten und 180 Neurologen in Deutschland. Die Datenbank erfasst nicht nur Medikamentenverordnungen, sondern auch demografische Angaben.
Über einen Zeitraum von vier Jahren (2010-2013) konnten die Erlanger Ärzte Einträge zu 31.300 erwachsenen Epilepsiekranken auswerten (Neurology 2016, online 1. Juli).
Adhärenz bei alten Mitteln schlecht
Im Schnitt waren die Patienten 57 Jahre alt, zwei Drittel wurden von Neurologen behandelt. Rund 10 Prozent hatten Lernschwierigkeiten, 28 Prozent litten unter Depressionen. Ältere Antikonvulsiva - also solche, die vor 1980 auf den Markt kamen - nahmen immerhin noch 43 Prozent, neuere wurden zusätzlich oder ausschließlich von 72 Prozent eingenommen. Drei Viertel hatten mindestens zwei Einnahmezeitpunkte täglich, 39 Prozent sogar drei.
Am häufigsten erhielten die Patienten Valproat (29 Prozent), gefolgt von Levetiracetam (25 Prozent), Carbamazepin (23 Prozent) und Lamotrigin (19 Prozent). Andere Antiepileptika wurden nur selten verordnet. 95 Prozent der Patienten erhielten Generika, 14 Prozent Originalpräparate.
Das Team um Gollwitzer interessierte sich nun besonders für die "Medication Possession Ratio" (MPR). Sie gibt an, wie viele der verordneten Medikamente den Verschreibungsdaten nach auch tatsächlich eingenommen werden.
Wird etwa eine Monatspackung nur alle zwei Monaten verordnet, so liegt die MPR bei 50 Prozent. Die MPR ist also ein indirektes Maß für die Adhärenz. Nonadhärenz wird bei Epilepsiekranken allgemein als MPR unter 80 Prozent definiert.
Nach diesem Kriterium konnten die Erlanger Forscher 65 Prozent der Epilepsiekranken als adhärent einstufen, im Mittel lag die MPR bei 81 Prozent. Wie sich zeigte, war die Adhärenz in Westdeutschland etwas höher als im Osten (67 versus 62 Prozent).
Lernbehinderte besonders oft therapietreu
Bezogen auf Komorbiditäten blieben Lernbehinderte am ehesten der Therapie treu (74 Prozent), die geringste MPR erzielten hier Kopfschmerzpatienten (63 Prozent), Depressive hatten dagegen nicht häufiger Adhärenzprobleme als der Durchschnitt.
Die größten Unterschiede gab es jedoch bei der Medikation: Nur 56 Prozent der Patienten mit alten Antikonvulsiva gelten nach diesen Daten als adhärent, immerhin 70 Prozent sind es mit neueren. Dies lässt sich größtenteils auf die Valproat-Behandlung zurückführen - die MPR liegt damit bei 55 Prozent, mit Levetiracetam sind es 79 Prozent. Die Odds Ratio für eine Adhärenz ist somit unter Levetiracetam 2,9-fach höher als unter Valproat.
Insgesamt blieben die Patienten Originalpräparaten eher treu als Generika (70 versus 64 Prozent). Besonders schlecht war die MPR auch bei Patienten mit drei Einnahmezeitpunkten täglich (57 Prozent), am besten war sie bei Patienten mit zwei (68 Prozent).
Die meisten der genannten Unterschiede sind hochsignifikant (p < 0,0001). Faktoren wie Alter, Geschlecht, Privatversicherung oder Behandlung beim Neurologen hatten jedoch keinen signifikanten Einfluss auf die Adhärenz.
Oft alte Antikonvulsiva im Osten
Ein Teil der Unterschiede lässt sich gut erklären: So werden in Ostdeutschland noch immer häufiger ältere Antikonvulsiva verordnet als im Westen. Patienten mit kognitiven Einschränkungen schneiden besser ab, weil sich hier oft jemand um die Medikamenteneinnahme kümmert, vermuten die Neurologen um Gollwitzer.
Spekulieren können sie nur, weshalb Originalpräparate die Adhärenz stärken. Möglicherweise führt ein häufiger Wechsel zwischen generischen Präparaten mit unterschiedlicher Größe und Farbe zu Verunsicherungen, auch könnten unterschiedliche Wirkstoffspiegel bei den einzelnen Generika Anfälle oder Nebenwirkungen begünstigen.
Unklar bleibt jedoch, weshalb Ärzte das sicher sehr wirksame, aber eben auch nebenwirkungsträchtige Valproat so häufig verordnen, wenn es die Patienten nur unregelmäßig einnehmen. Aus ihren Daten schließen die Erlanger Ärzte immerhin, dass die Verträglichkeit für die Adhärenz weitaus entscheidender ist als die Wirksamkeit.
Vielleicht würde es sich lohnen, bei schlechter Adhärenz doch mal die Therapie zu wechseln.