Antikörper bremst Multiple Sklerose

Neue Hoffnung für MS-Kranke: Ein Antikörper schützt sechs Monate lang fast komplett vor neuen Läsionen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Magnetresonaztomografische Aufnahme des Gehirns mit Läsionen durch Multiple Sklerose.

Magnetresonaztomografische Aufnahme des Gehirns mit Läsionen durch Multiple Sklerose.

© NAS / Scott Camazine / Okapia

BASEL. Die MS-Therapie befindet sich im Umbruch: Derzeit werden mehrere Substanzen in Studien geprüft, die um ein Vielfaches wirksamer sind als die bisherigen Standardtherapeutika - nicht selten jedoch zum Preis eines problematischen Sicherheitsprofils.

Mit Ocrelizumab hat sich nun ein monoklonaler Antikörper in einer Phase-II-Studie als äußerst wirksam erwiesen. Mit Ausnahme eines noch ungeklärten Todesfalls kam es dabei nicht vermehrt zu schweren unerwünschten Wirkungen - zumindest nicht in der relativ kurzen Prüfdauer von 24 Wochen.

In der Studie hatten Forscher um Professor Ludwig Kappos von der Uniklinik Basel 220 MS-Patienten behandelt, die schon seit einiger Zeit erkrankt waren: Alle hatten mindestens zwei MS-Schübe in den drei Jahren vor der Studie und mindestens drei per MRT nachweisbare Hirnläsionen.

Anzahl der Läsionen war der Gradmesser

Diese Patienten wurden nun in vier Gruppen aufgeteilt: Ein Teil erhielt 600 mg des Antikörpers, verteilt auf zwei Infusionen im Abstand von zwei Wochen, ein weiterer Teil 2000 mg nach demselben Schema, der dritte Teil bekam eine Standardtherapie mit Interferon beta-1a und der vierte Teil Placebo.

Primärer Endpunkt war die Zahl der neuen Gadolinium anreichernden Läsionen, die per MRT bestimmt wurde. Sie gilt als Maß für die Krankheitsaktivität (Lancet 2011; online 1. November)

Nach 24 Wochen waren in der Placebogruppe im Schnitt 5,5 solcher Läsionen hinzugekommen. Auch die Standardtherapie vermochte in dieser kurzen Zeit nicht, die Krankheitsaktivität zu bremsen: Mit ihr wurden im Schnitt sogar 6,9 neue Läsionen pro Patient beobachtet.

Noch weniger Läsionen durch die höhere Dosis

Dagegen kam es mit dem Antikörper in der niedrigen Dosierung im Schnitt nur zu 0,6 und in der hohen zu 0,2 Läsionen. Bei 77 Prozent der Patienten unter der niedrigen und bei 83 Prozent unter der hohen Dosierung traten überhaupt keine neuen Läsionen auf.

Im Vergleich zu Placebo war damit die Zahl der Gadolinium anreichernden Läsionen mit der niedrigen Antikörper-Dosierung um 89 Prozent, mit der höheren um 96 Prozent reduziert.

Dies machte sich auch bei der Zahl der MS-Schübe bemerkbar: Mit Placebo hatten 30 Prozent der Patienten neue Schübe, mit der Interferontherapie 17 Prozent, mit der niedrigen Ocrelizumab-Dosis 5 Prozent und mit der hohen 7 Prozent. Die Schubrate war im Vergleich zu Placebo um etwa 80 Prozent reduziert.

Keine erhöhte Infektionsrate

Interessant ist auch die Zahl der schweren unerwünschten Wirkungen. Betroffen waren davon in allen vier Gruppen nur jeweils einer bis drei von 55 Patienten.

Allerdings starb ein Patient während der Antikörper-Therapie. Ob der Tod in Zusammenhang mit der Therapie steht, ist noch unklar.

Dagegen gab es keine erhöhten Raten von schweren oder opportunistischen Infektionen, wie sie häufig bei anderen Therapien beobachtet werden, die gegen das Immunsystem gerichtet sind.

Auch wurde bislang in Studien kein Fall einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) beobachtet - eine seltene, aber gefährliche Nebenwirkung unter einigen Antikörpern.

Kontraindikation Rheuma?

Jedoch sei in Studien mit Ocrelizumab bei Rheuma-Patienten eine hohe Rate schwerer und zum Teil auch tödlich verlaufender Infektionen festgestellt worden, so die Autoren.

Diese Patienten seien aber fast alle gleichzeitig mit Immunsuppressiva behandelt worden. Die jetzige Studie lasse hoffen, dass dies bei MS-Patienten, die keine zusätzlichen Immunsuppressiva erhalten, nicht der Fall ist. Nun soll das Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil in Phase-III-Studien geprüft werden.

Ocrelizumab ist ein humanisierter Antikörper, der sich gegen CD20-Moleküle auf B-Zellen richtet und damit diese Zellen fast vollständig eliminiert. Dadurch werden auch T-Zellen von einem Angriff auf das Myelin der Nervenfasern abgehalten.

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