Stammzelltransplantation

Weniger MS-Schübe, aber hohes Risiko

Mit der Transplantation von autologen Stammzellen nach einer Myeloablation lässt sich eine MS tatsächlich über viele Jahre in Schach halten. Allerdings sind die Risiken dieser Behandlung groß.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Blutentnahme für die Gewinnung peripherer Blutstammzellen.

Blutentnahme für die Gewinnung peripherer Blutstammzellen.

© Melanie Vollmert / fotolia.com

DENVER. Einige Patienten mit schubförmiger MS erleiden trotz einer immunmodulatorischen Therapie häufig neue Schübe, bei anderen schreitet die Progression der Behinderungen rasch voran.

Die Möglichkeiten der Ärzte sind dann begrenzt, als letzter Ausweg bietet sich oft nur ein kompletter Neustart des Immunsystems mit einer hochdosierten Chemotherapie und einer anschließenden Reperfusion zuvor entnommener autologer hämatopoetischer Stammzellen.

Die Patienten gehen dabei jedoch ein hohes Risiko ein: In früheren Untersuchungen zeigten sich Sterberaten von 5 bis 6 Prozent.

Mit modernen, weniger toxischen Myeloablativa sind es noch immer etwa 1,5 Prozent, berichten US-Neurologen um Brian Weinshenker in einem Kommentar zu den aktuell publizierten Zwischenergebnissen der Studie HALT-MS (JAMA Neurol. 2015;72(2):147-149).

In dieser Phase-II-Studie hatten Richard Nash und Mitarbeiter vom Colorado Blood Cancer Institute in Denver 24 MS-Patienten einer Stammzelltherapie unterzogen (JAMA Neurol. 2015; 72(2): 159-169).

Zwar wurden schon einige hundert MS-Patienten mit körpereigenen Stammzellen nach einer kontrollierten Zerstörung des Immunsystems behandelt, die Datenlage gerade zu den neuen Hochdosis-Chemotherapie-Regimen ist jedoch noch recht dünn.

Interessant sind zudem Langzeitdaten: Wer schon sein Leben riskiert, sollte wenigstens wissen, wie lange er die MS mit der Myeloablation ausbremsen kann. Doch solche Daten liegen kaum vor.

Meist drei Jahre Schubfreiheit

In HALT-MS wurden Patienten eingeschlossen, die einen EDSS-Wert zwischen 3,0 und 5,5 aufwiesen, weniger als 15 Jahre erkrankt waren und auf bisherige Therapien nicht ausreichend angesprochen hatten - definiert als mindestens zwei Schübe in den vergangenen 18 Monaten bei gleichzeitigem Anstieg des EDSS-Wertes um mindestens einen Punkt. 60 Prozent der Teilnehmer hatten zuvor drei oder mehr Immunmodulatoren ausprobiert.

Allen Patienten wurden periphere Blutstammzellen entnommen und kryokonserviert, anschließend erhielten sie an zwei aufeinander folgenden Tagen eine myeloablative Behandlung mit hochdosiertem Carmustin, Etoposid, Cytarabin, Melphalan und Antithymozytenglobulin.

Am Folgetag wurden die Stammzellen reperfundiert. Primärer Endpunkt der noch laufenden Studie ist die Zeit bis zum Therapieversagen innerhalb von fünf Jahren.

Dieses wird als MS-verursachter Tod, neue Behinderungen, Schübe oder eine MRT-Aktivität definiert. Veröffentlicht wurde jetzt eine zuvor geplante Zwischenanalyse nach drei Jahren.

Wie sich herausstellte, kam es bei fünf Patienten (21 Prozent) innerhalb von drei Jahren zu einem Wiederaufflammen der MS. Eine EDSS-Progression oder neue Schübe wurden bislang jedoch nur bei zwei dieser Patienten (9 Prozent) beobachtet, die allermeisten entwickelten also keine neuen klinischen Krankheitszeichen.

Die übrigen drei Patienten mit primärem Endpunkt zeigten aber im MRT eine neue MS-Aktivität. Inzwischen sind zwei weitere Patienten mit MRT-Aktivität hinzugekommen, sodass nun sieben Patienten (29 Prozent) den primären Endpunkt erfüllen.

Da für einige Patienten schon Fünfjahresdaten vorliegen, lässt sich für diesen Zeitraum ein Therapieversagen bei rund 40 Prozent prognostizieren. Immerhin war es im Median nach drei Jahren zu einer Verbesserung des EDSS-Wertes von einem halben Punkt gekommen.

Auch Gadolinium-anreichernde Läsionen gingen in den ersten sechs Monaten deutlich zurück, die T2-Läsionsvolumina waren nach drei Jahren im Schnitt signifikant niedriger als zum Therapiebeginn, die T1-Läsionsvolumina nahmen hingegen zu.

Thrombosen und Atemstillstand

Der Erfolg hatte jedoch einen gewissen Preis: Praktisch alle Patienten zeigten starke therapiebedingte Nebenwirkungen (WHO-Grad 4). Die meisten waren hämatopoetischer und gastrointestinaler Natur, ein Patient entwickelte eine Lungenembolie, zwei weitere Atemstillstand, sechs Patienten Grad-3-ZNS-Effekte, fünf Patienten kardiovaskuläre Grad-3-Ereignisse (Thrombosen, atrioventrikulärer Block, Kardiomyopathie).

Ein Patient starb im Laufe der Studie an MS, einer an Asthma; Todesfälle durch die Chemotherapie waren nicht zu verzeichnen.

Die Forscher um Nash weisen darauf hin, dass mit anderen Methoden bei Patienten mit hochaktiver und therapieresistenter MS bislang keine ähnlichen Erfolge erzielt werden konnten.

Der Anteil der Patienten ohne erkennbare Krankheitsaktivität (No Evidence of Disease Activity, NEDA) lag nach drei Jahren noch bei rund 80 Prozent, in der AFFIRM-Studie waren es lediglich 37 Prozent mit Natalizumab und 9 Prozent mit Placebo nach zwei Jahren, in der CARE-MS-I-Studie 39 Prozent mit Alemtuzumab und 27 Prozent mit Interferon beta-1a, ebenfalls nach zwei Jahren, und in FREEDOMS 33 Prozent nach zweijähriger Behandlung mit Fingolimod und 13 Prozent mit Placebo (JAMA Neurol. 2015; 72(2): 152-15).

 Die Myeloablation mit anschließender Stammzelltransplantation könne daher eine Option für Patienten sein, die auf Immunmodulatoren nicht ansprechen, schreiben die Forscher um Nash.Etwas kritischer sehen dies die Neurologen um Weinshenker.

Sie verweisen auf das immer noch beachtliche Sterberisiko auch unter einer modernen chemoablativen Behandlung sowie auf das erhöhte Lymphomrisiko.

Solche Gefahren und die gravierenden Nebenwirkungen müssten sorgfältig gegen den Nutzen der Therapie abgewogen werden. So führe die Behandlung in der Regel nicht zu einem anhaltenden Stillstand der MS.

Auch müsse die Therapie mit Blick auf die neuen MS-Mittel neu bewertet werden, denn mit diesen lasse sich ebenfalls ein beachtlicher NEDA-Anteil erreichen.

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