Die Risiken von Passivrauchen werden weiter unterschätzt, Kinder sind die Leidtragenden

Passivrauchen schädigt die Gesundheit von Kindern schwerer als vielen bewusst ist, betont die Stiftung Kindergesundheit in München. Rauchverbote in der Öffentlichkeit dürften nicht aufgeweicht werden.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:

Wären Zigaretten Medikamente, dürften sie selbst auf ärztliches Rezept nicht abgegeben werden. Nicht nur, weil sie zu Krebs, Herzleiden oder Lungenkrankheiten führen können, sondern weil sie für ungeborene Babys und kleine Kinder eine große Gefahr darstellen. Besonders die Risiken von Passivrauchen werden in der Öffentlichkeit noch extrem unterschätzt, betont Professor Berthold Koletzko von der Stiftung Kindergesundheit in München.

Viele Frauen rauchen in der Schwangerschaft weiter

Die Belastung ist hoch, wie Zahlen des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg belegen:

  • Jede achte Frau raucht zu Beginn der Schwangerschaft und nur ein Viertel davon hört während der Schwangerschaft damit auf. Nach einer Entwöhnung fangen 70 Prozent der jungen Mütter binnen eines Jahres mit dem Rauchen wieder an.
  • Etwa jedes vierte Kind sowie etwa jeder vierte Jugendliche zwischen 11 und 18 Jahren ist täglich Zigarettenrauch ausgesetzt.

Bei rauchenden Schwangeren sind die Nikotinkonzentrationen im Fruchtwasser, in der Plazenta und im Blut des Ungeborenen höher als im Körper der Mutter. Der Tabakrauch enthält zudem etwa 4000 weitere Chemikalien wie Ammoniak, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, Benzol, Cadmium oder Nitrosamine mit erbgutschädigenden oder krebserregenden Wirkungen. Die Giftstoffe erreichen das Kind über die Lungen der Mutter in Sekunden und bleiben dort lange, weil Abbau und Ausscheidung aufgrund der Unreife der Leber und Nieren verzögert sind.

Durch das Rauchen werden die Durchblutung der Gebärmutter und damit auch die Versorgung des Ungeborenen beeinträchtigt. Das stört auf Dauer die Entwicklung. Die Folge: In einer Studie der Universität Johannesburg wogen die Babys von Raucherinnen 165 Gramm weniger und hatten öfter ein Gewicht unter 3000 Gramm als die Neugeborenen ohne Rauchbelastung. Rauchen führt zudem zu Komplikationen:

  • Schwangere Raucherinnen haben gehäuft Blutungen. Dadurch kann es zu Fehlgeburten kommen. Das Risiko steigt mit der Zahl der gerauchten Zigaretten.
  • Lippen-Kiefer-Gaumenspalten kommen bei Babys von Raucherinnen mehr als doppelt so häufig vor. Außerdem haben die Kinder ein erhöhtes Risiko für eine Struma.

Auch für die spätere Entstehung von Übergewicht bei Kindern ist das Passivrauchen im Mutterleib ein wichtiger Risikofaktor. Eine Erhebung mit 6483 bayerischen Erstklässlern ergab: Wenn die werdende Mutter mehr als zehn Zigaretten raucht, verdoppelt sich das Risiko ihres Babys, bereits bei der Einschulung übergewichtig zu sein.

Weitere Gefahren drohen nach der Geburt. Fast jeder zweite der jährlich 500 bis 600 Todesfälle durch den Plötzlichen Säuglingstod SIDS in Deutschland wird dem Passivrauchen zugeschrieben.

Rauchen ist häufige Ursache für plötzlichen Kindstod.

Einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Rauchen der Eltern und den kognitiven Fähigkeiten von Vorschulkindern erbrachten Untersuchungen von Dr. Peter Winterstein vom Jugendärztlichen Dienst des Gesundheitsamts Göppingen. Er überprüfte die geistige Reife bei 1 894 Vorschulkindern, von denen etwa 38 Prozent von Passivrauchen betroffen waren. Die Kinder machten den "Mensch-Zeichentest" (MZT). Dabei werden sie aufgefordert, einen Menschen zu malen. Je nachdem, wie detailliert die Figur ausfällt, gibt es mehr oder weniger Punkte.

Die Folgen der Rauchbelastung waren in den Zeichnungen deutlich zu erkennen. So erreichten Kinder von Rauchern nur einen mittleren Punktwert von 8,8 im Vergleich zu Kindern aus Nichtraucherfamilien mit 9,8 Punkten. 72 Prozent der unbelasteten Kinder waren in der Lage, einen Menschen mit der korrekten Zahl der Finger zu malen, im Vergleich zu 39 Prozent der Kinder von Rauchern.

Und selbst wenn verantwortungsbewusste Eltern zum Rauchen vor die Tür gehen, beugen sie damit noch nicht allen Gefahren des Passivrauchens vor. Der Nikotingehalt im Körper ihrer Kinder liegt dann zwar achtmal niedriger als bei Rauchen in der Wohnung, aber immer noch bis zu siebenmal höher als bei Kindern von Nichtrauchern. Das ergaben Messungen australischer Forscher. An den Haaren oder in der Kleidung werden Nikotinpartikel in die Wohnung geschleppt, die im Staub, auf Teppichen, Spielzeug oder Bettzeug noch monatelang haften können.

Passivrauchen begünstigt Infektionen bei Kleinkindern

Durch Passivrauchen belastete Kinder schlafen schlechter und haben häufiger Bauchweh, Schwindel, Kopfschmerzen, Husten und Konzentrationsstörungen. Sie sind häufiger krank, neigen zu Allergien, müssen öfter ins Krankenhaus und leiden häufiger unter Bronchitis und Lungenentzündung. Dreijährige, die mitrauchen müssen, erkranken bis zu dreimal so häufig an einer Mittelohrentzündung als Kinder in rauchfreien Wohnungen. Auch Hirnhautentzündungen kommen bei passivrauchenden Kindern öfter vor. Der Rauch elterlicher Zigaretten kann sogar den Zähnen der Kinder schaden: Sie müssen häufiger wegen Karies behandelt werden.

Die Stiftung Kindergesundheit setzt sich daher dafür ein, dass Rauchverbote in öffentlichen Einrichtungen, in denen sich Kinder aufhalten, nicht aufgeweicht werden. Zudem müsse es mehr Beratungsangebote für Schwangere sowie Entwöhnungsprogramme vor und während der Schwangerschaft geben.

www.kindergesundheit.de

www.tabakkontrolle.de

Lesen Sie dazu auch: Tabakatlas für Deutschland: Der Norden raucht mehr als der Süden

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