Notaufnahme

Alkoholintox wird nicht immer erkannt

Wer glaubt, eine Alkoholvergiftung sei schon olfaktorisch zu diagnostizieren, irrt offenbar. Selbst in Notaufnahmen wird bei einem von zehn Schwerstbetrunkenen die Intoxikation nicht erkannt.

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ZNA: Einen möglichen C2-Abusus nicht nur erschnüffeln.

ZNA: Einen möglichen C2-Abusus nicht nur erschnüffeln.

© dpa

LONDON (rb). Britische Wissenschaftler haben sich in der medizinischen Literatur nach Studien umgesehen, die sich mit der Diagnostik von riskantem Alkoholkonsum, Alkoholabhängigkeit und Alkoholvergiftungen beschäftigen (B J Psych 2012; 20: 93). Das Bild, das sich daraus ergibt, ist ernüchternd.

Insgesamt haben die Forscher 48 Studien ausgewählt: Zwölf handelten von der Situation beim Hausarzt, 31 von der Lage in Kliniken und fünf hatten im Umfeld der Psychiatrie stattgefunden.

Allgemeinmediziner erkennen hiernach 42 Prozent aller Fälle problematischen Alkoholkonsums, dokumentieren den entsprechenden Befund aber nur bei 27 Prozent der Betroffenen.

In der Klinik erreicht die Entdeckungsrate 52 Prozent, die Diagnose wird bei 37 Prozent in den Akten korrekt dokumentiert. Spezialisten für die mentale Gesundheit stellen bei knapp 55 Prozent der Patienten mit Alkoholproblemen die richtige Diagnose.

Zu Alkoholsucht und -intoxikation fanden sich nur eingeschränkt Daten, alle aus klinischen Einrichtungen. Danach wird eine Alkoholabhängigkeit in etwa 42 Prozent der Fälle entdeckt - also bei 58 Prozent der Alkoholiker übersehen.

Problem Arzt-Patienten-Beziehung?

Auch jede zehnte Alkoholvergiftung wird bei Betroffenen nicht erkannt: Die Diagnosequote liegt hier bei knapp 90 Prozent.

Nach den Gründen dafür befragt, weshalb die Alkoholdiagnostik nicht mit mehr Nachdruck betrieben werde, äußerten viele Ärzte die Sorge, mit solchen Fragen die Patient-Arzt-Beziehung zu belasten.

Auch meinten sie, man erhalte bei diesem Thema ohnehin keine ehrlichen Antworten. Das steht im Widerspruch zu den Angaben von Patienten, wonach sie nichts dagegen hätten, entsprechende Auskünfte zu erteilen.

Dies zu behaupten ist aber naturgemäß gerade für jene Betroffenen sinnvoll, die bei der Trinkmenge flunkern.

Die britischen Forscher jedenfalls empfehlen den Ärzten, angesichts der hohen, bis zu 40 Prozent reichenden Prävalenz missbräuchlichen Alkoholkonsums in der Bevölkerung ihre Patienten routinemäßig entsprechend zu befragen.

Sie räumen allerdings ein, dass sich Instrumente wie der CAGE-Test für die hausärztliche Praxis nur bedingt eignen. Auch existierten keine Labortests, die uneingeschränkt zum Screening taugten.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 08.08.201211:50 Uhr

Alkoholabusus - oft erkannt, selten gebannt?

Die Prävalenz missbräuchlichen Alkoholkonsums reicht in manchen (überwiegend männlichen) Altersgruppen und sozialen Schichten bis zu 40 Prozent. In meiner Praxis vom Sozialhilfeempfänger bis zum Topmanager. Ein sehr hoher Prozentsatz stationärer Krankenhaus-Einweisungen bei männlichen GKV-Versicherten zwischen 25 und 50 Jahren ist bedingt durch Alkoholabhängigkeit und direkte Folgeerkrankungen.

Die gesellschaftliche Bedeutung des Alkoholkonsums bewegt sich zwischen Abstinenz, Genuss, Geselligkeit, Gewohnheit, Bagatellisierung, Abusus, Abhängigkeit, Sucht, Delir und Leberversagen. Garniert mit Marktbeherrschung bzw. Gewinnstreben der Produzenten und einem gigantischen Steueraufkommen. Krankenversicherungen, egal ob Private (PKV) oder Gesetzliche (GKV), bzw. die Gemeinschaft der Versicherungsnehmer und Arbeitgeber mit ihren Krankenkassenbeiträgen sind dann für die Ver- und Entsorgung alkoholbedingter Krankheitsfolgen zuständig. Der Staat braucht die Alkoholsteuer offenkundig für "bessere" Zwecke.

In der referierten Metaanalyse lag die diagnostische Sensitivität bei den Hausärzten im Durchschnitt bei 41,7%, mit extremer Spreizung des 95%-Konfidenzintervalls (KI) von 23,0-61,7. Korrekt dokumentiert wurde allerdings nur in 27,3% der allgemeinärztlichen Unterlagen (KI 16,9–39,1). Es genügt nicht, zu fragen: "Sie trinken doch nicht etwa zu viel Alkohol?". Sondern "Mögen Sie lieber Bier, Wein oder Schnaps?" oder "Haben Sie sich schon mal bei Gelegenheit so richtig betrunken?" Damit habe ich aber auch in meiner Praxis jede Menge sozial angepasster Wochenendtrinker/ -innen mit Pfefferminz im Mund beim Arztbesuch ab Dienstags übersehen. In der Hektik von zentralen Notaufnahmen und Klinikambulanzen bzw. unter olfaktorischer Beeinträchtigung durch alkoholhaltige Flächendesinfektion kann eine akute Alkoholintoxikation nicht immer erahnt werden, deshalb Promillegehalt im Akutlabor erfassen, soweit möglich.

Objektive Screening-Möglichkeiten gibt es durchaus, aber die sind beim "Check-Up 35" nicht vorgesehen. Nur Glucose und Cholesterin, nicht mal Krea, GGT oder Blutbild mit MCV sind angedacht. Von CDT (Carbohydrate-Deficient Transferrin) mit einer Sensitivität von 81-93% und Spezifität von 98% ganz zu schweigen. Beim CDT weigern sich die Krankenkassen aus unerfindlichen Gründen, diese zielführende Untersuchung zu bezahlen.

Was bleibt, ist eine in der Öffentlichkeit durchaus bewusste Reflexion der Problematik, aber keine praktische Umsetzung in Gesundheits- und Tagespolitik: "Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker" heißt es so lapidar wie ausgrenzend zugleich. Während Herbert Grönemeyer immerhin singt: "Alkohol ist dein Sanitäter in der Not, Alkohol ist dein Fallschirm und dein Rettungsboot, Alkohol ist das Drahtseil auf dem du stehst...".

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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