Süchtig oder nicht süchtig

Wie viel ist sieben mal Sex?

Krankhaft erhöhtes Verlangen nach Sex - gibt es das? Ein Vortrag auf dem europäischen Psychiatriekongress versuchte, der Angelegenheit auf den Grund zu gehen - mit einer für manchen Zeitgenossen verblüffenden Erkenntnis.

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Spaß im Wohnwagen: Schon das siebte Mal?

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© Fuse/thinkstock.com

MÜNCHEN. Geht es nach der fünften Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-V), gibt es eine psychiatrische Störung mit der Bezeichnung "Hypersexualität" gar nicht.

Lediglich als komorbide Erscheinung zu paraphilem Verhalten wie etwa Exhibitionismus und Voyeurismus taucht sie in dem Manual auf, wie Professor Kris Goethals vom Zentrum für Forensik der Universität Antwerpen auf einem Symposium des 22. europäischen Psychiatriekongresses in München ausführte.

Andererseits: Unkontrollierbares Verhalten, das signifikanten Leidensdruck und Einschränkungen in verschiedenen Lebensbereichen hervorruft - suchttypisches Handeln mithin - gibt es nach Erfahrung vieler Therapeuten im Zusammenhang mit exzessivem Interesse an Sex durchaus.

An bildkräftigen Vokabeln hierfür hat es nie gemangelt, die Rede war von Satyriasis, Don-Juanismus oder, Frauen betreffend, von Nymphomanie - wobei das Zahlenverhältnis betroffener Männer zu Frauen mit 5 zu 1 beziffert wird.

Auch Erklärungsmodelle, die hypersexuelles Verhalten als zwanghaft, triebhaft oder suchtartig beschreiben, sind vorhanden. Einige Autoren argumentieren, Hypersexualität diene der Betäubung von Schmerzempfindungen, von Gefühlen der Unzulänglichkeit oder geringen Selbstwertes, von Phobien, Isolation und Einsamkeit.

Häufig leiden die Patienten an Begleitkrankheiten wie Affekt- oder Angststörungen bzw. Suchterkrankungen.

Ein Problem der Pathologisierung hypersexuellen Verhaltens liegt indes in der Abgrenzung: wie viel ist zu viel? Vorschläge, auf deren Basis auch für eine Aufnahme der Hypersexualität in das DSM-V plädiert wurde, hat es durchaus gegeben.

Einer stammt von Professor Martin Kafka, Psychiater am McLean Hospital in Belmont, Massachusetts (Arch Sex Behav 2010; 39(2): 377-400). Er betrachtet Hypersexualität als "primär nicht paraphile Störung des sexuellen Verlangens mit impulsiver Komponente".

Mögliche Korrelation mit mangelnder Selbstkontrolle

Hiernach liegt Hypersexualität vor, wenn über einen Zeitraum von mindestens einem halben Jahr drei von fünf Bedingungen erfüllt sind:

  • Die Zeit, die für sexuelle Fantasien aufgewendet wird, gefährdet das Erreichen anderer Ziele.
  • Die Beschäftigung mit Sex erfolgt wiederholt als Reaktion auf seelische Verstimmung.
  • Die Beschäftigung mit Sex erfolgt wiederholt als Reaktion auf belastende Erlebnisse.
  • Es kommt zu wiederholten, aber vergeblichen Versuchen, die sexuellen Fantasien, den Drang oder das Verhalten zu kontrollieren oder deutlich zu reduzieren.
  • Das sexuelle Verhalten nimmt wiederholt keine Rücksicht auf eigenen oder den Schaden für andere.

Vorausgesetzt ist dabei, dass all dies persönliches Leid und Einschränkungen in sozialer, beruflicher oder anderer wichtiger Hinsicht hervorruft und nicht auf Drogen oder andere Substanzen wie etwa Medikamente zurückgeht.

Eine gewisse Rolle bei der Einschätzung spielen Überlegungen zur Orgasmusquote (Total Sexual Outlet per Week, TSO). Zumindest was erwachsene Männer betrifft, kommt hier die Zahl sieben ins Spiel: Sieben oder mehr Orgasmen pro Woche wären demnach schon einer zu viel und ein Hinweis auf hypersexuelles Verlangen.

Goethals wies in diesem Zusammenhang auf die nicht nur boulevardesken Aspekte der Hypersexualität hin. DSM-V hin oder her, erhöht hypersexuelles Verhalten die Wahrscheinlichkeit für deviante Sexualpräferenzen - und umgekehrt.

Zugleich lässt der Mangel an Selbstkontrolle die Gefahr steigen, dass Betroffene sexuell aggressiv werden. Gut entwickelte Selbstbeherrschung gilt als Schutzfaktor gegen Gewalt. "Es ist offensichtlich", so Goethals, "dass Menschen, die an Hypersexualität leiden, keine oder nur eine geringe Selbstkontrolle entwickelt haben." (rb)

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