Fibromyalgie

Krankheit ohne scharfe Grenzen

Beim Fibromyalgiesyndrom handelt es sich wahrscheinlich nicht um eine scharf abgrenzbare Krankheitsentität, sondern um eine Spektrumstörung. Eine neue Studie aus Deutschland bestätigt diese Hypothese.

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Muskelschmerz.

Muskelschmerz.

© Paul von Stroheim / imago

WICHITA/MÜNCHEN. Die Klassifikation der Fibromyalgie wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Die einen sehen darin eine Variante einer somatoformen Störung und empfehlen eine psychosomatische Behandlung, die anderen interpretieren die Beschwerden als affektive Störung und leiten daraus die Indikation für psychopharmakologische Therapiekonzepte ab.

Im Jahr 2010 hat das American College of Rheumatology (ACR) die Fibromyalgiekriterien überarbeitet. Die Zahl der druckschmerzempfindlichen Punkte (Tenderpoints) spielt demnach nicht mehr die Hauptrolle.

Definiert wird das Krankheitsbild jetzt vielmehr über eine Kombination aus dem Widespread Pain Index (WPI) und dem Symptom Severity Score (SSS). Beide Komponenten gehen in einen gemeinsamen Score ein, die "Polysymptomatic Distress Scale" (PSD).

Anders als beim Konzept des "Chronic Widespread Pain" (CWP), das sich auf chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen beschränkt, berücksichtigt die neue Definition der Fibromyalgie Symptome wie Fatigue, nicht erholsamen Schlaf oder kognitive Probleme und vor allem auch vom Patienten selbst berichtete Symptome wie Bauchschmerzen, Depressionen oder Kopfschmerzen.

Ein deutsch-US-amerikanisches Forscherteam um Dr. Frederick Wolfe von der Universität Kansas und Dr. Winfried Häuser von der TU München hat aktuelle Daten einer epidemiologischen Studie aus Deutschland mit über 2500 Teilnehmern aus der Durchschnittsbevölkerung analysiert.

Die Prävalenz der Fibromyalgie - definiert nach den überarbeiteten ACR-Kriterien - lag demnach bei 2,1 Prozent. Zunehmendes Alter erhöhte sowohl den WPI, nämlich um 0,45 Punkte alle zehn Jahre, als auch den Symptom Severity Score (SSS); dieser stieg pro Dekade um 0,14 Einheiten. Beides entspricht zusammengenommen einem PSD-Anstieg von 0,59.

Dagegen hatte das Geschlecht überraschenderweise nur wenig Einfluss auf die Prävalenz der Fibromyalgie nach ACR-Kriterien: Unter den Patienten waren nur unwesentlich mehr Frauen (etwa im Verhältnis 60 : 40) (Arthritis Care Res 2013; online 19. Februar).

Erhebliche Auswirkungen auf die Diagnosestellung

Dies steht in scharfem Kontrast zur Situation in der klinischen Praxis, wo bis zu 90 Prozent aller Patienten weiblich sind. Diese Diskrepanz sei darauf zurückzuführen, dass in der Praxis nach wie vor die Tenderpoints bei der Diagnosestellung im Vordergrund stehen, und auch darauf, dass Frauen mit bestimmten Problemen eher zum Arzt gehen, spekulieren Wolfe und Kollegen.

40 Prozent der Fibromyalgiepatienten erfüllten in der Studie die DSM-V-Kriterien für eine somatoforme Störung. Eine Fibromyalgie vom Typ A laut ACR-Kriterien setzt einen WPI von mindestens sieben von 19 Schmerzregionen und einen SSS von mindestens fünf von zwölf Punkten voraus, Typ B einen WPI zwischen drei und sechs sowie einen SSS von mindestens neun Punkten.

Damit wird in beiden Fällen ein PSD-Score von mindestens zwölf erreicht. Die Kriterien für Typ A erfüllten 82,7 Prozent der Patienten, eine Fibromyalgie Typ B traf dagegen nur für 17,3 Prozent zu. Das Typ-B-Kriterium, so Wolfe et al., werde all jenen Patienten gerecht, die die Symptome einer Fibromyalgie aufweisen, bei denen die Zahl der Schmerzregionen aber nicht für die Diagnose ausreicht.

Die vorangegangene Version der ACR-Klassifikation von 1990 hatte dies zu wenig berücksichtigt; deren Maßgaben wurden mit der neuen Definition zu Recht gelockert.

Am stärksten korrelierte der PSD mit einem speziellen Score zur Erfassung der Lebensqualität (PHQ-SSS), der neben Angst und Depression eine Reihe somatischer Symptome, darunter Probleme beim Stuhlgang, Schmerzen in Armen, Beinen oder Gelenken, Kopfschmerzen, Schwindel oder Gefühl von Müdigkeit berücksichtigt.

Ein PSD-Score von mindestens zwölf, laut ACR der Cut-off für die Diagnose, kam in der Durchschnittsbevölkerung mit einem Anteil von 3,4 Prozent vor.

Dabei ließ sich kein "Knick" in der Kurve feststellen, die Assoziationen waren auch für andere Variablen (Depression, Angst, körperliche Funktion, Schmerz etc.) weitgehend linear. Den Forschern zufolge spricht dies für ein Kontinuum im Sinne einer Spektrumstörung.

Die Vorstellung, dass man quasi mit einer scharfen Trennlinie Kranke von Nicht-Kranken abgrenzen könne, ließe sich nun nicht mehr aufrechterhalten, resümieren Wolfe und Kollegen: "Unsere Studie stützt die Hypothese, dass es sich bei der Fibromyalgie um eine Spektrumstörung handelt".

Dies werde erhebliche Auswirkungen haben, nicht nur auf die Forschung, sondern auch auf die klinische Diagnosestellung und das Krankheitsmanagement einschließlich Feststellung einer Invalidität. (EO)

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