Kinder mit Schmerzen
Therapie ohne Arzneien bevorzugt
Dass chronisch schmerzkranke Kinder schwer behandelbar seien, stimme so nicht, sagen Schmerztherapeuten. Der Fokus der multimodalen Therapie liegt auf der psychosozialen Intervention. Medikamente oder invasive Maßnahmen sind oft nicht indiziert.
Veröffentlicht:STUTTGART. Kinder müssen in ihrem Schmerzempfinden ernst genommen werden, auch dann, wenn sich keine somatischen Ursachen dafür finden lassen, betonen der Neuropädiater Privatdozent Markus Blankenburg vom Olgahospital in Stuttgart und seine Kollegen (Monatsschr Kinderheilk 2014; 162: 19).
Sie empfehlen, bei vielfach negativen Befunden in der medizinischen Diagnostik früh an die Möglichkeit einer chronischen Schmerzstörung zu denken.
Denn immer neue Untersuchungen bergen das Risiko, unspezifische Befunde ohne Krankheitswert zu finden, die dann aber zu einer Fehlbeurteilung führten sowie die Diagnose einer chronischen Schmerzerkrankung verzögerten, so die Autoren.
"Die fortgeschrittene Chronifizierung ist mit extrem negativen Konsequenzen für die psychosoziale Entwicklung des Kindes verbunden", warnen sie in dem Beitrag. Um die Lebensqualität langfristig zu verbessern, müssten diese Kinder vor allem sozial und emotional reintegriert werden.
Erfolg mit multimodaler Therapie
Mit einer dreiwöchigen stationären und multimodalen Behandlung konnten am Deutschen Kinderschmerzzentrum in Datteln signifikante Schmerzreduktionen erzielt, die Lebensqualität gesteigert und emotionale Belastungen vermindert werden.
Unabhängig von der organischen und psychischen Komorbidität erzielten nach Angaben der Autoren 72 Prozent der Kinder klinisch signifikant reduzierte Schmerzintensitäten, und mehr als die Hälfte eine allgemeine Verbesserung, was zum Beispiel schmerzbedingte Behinderungen und Fehlzeiten in der Schule betraf (Clin J Pain 2009; 25: 156).
Dieser Erfolg war in der Studie mit 167 Teilnehmern zwischen 11 und 18 Jahren auch nach einem Jahr noch nachweisbar.
Überwiegend geht es bei Kindern mit chronischen Schmerzen um primäre chronische Kopfschmerzen wie Migräne und/oder Spannungskopfschmerzen, um chronische Bauchschmerzen wie funktionelle Dyspepsie, Reizdarmsyndrom, abdominelle Migräne oder funktionelle Bauchschmerzen sowie um chronische Gelenkschmerzen.
Interdisziplinäres Team notwendig
Deren Behandlung sollte möglichst gleichzeitig auf mehreren Ebenen erfolgen und bedarf eines interdisziplinären Teams.
Dabei nimmt unter anderem das Einbeziehen der Familie Zeit in Anspruch: Die Eltern sind oft zunächst ausgeprägt auf eine somatische Ursache der Beschwerden fixiert und müssen für nichtmedikamentöse Therapien motiviert werden.
Blankenburg und seine Kollegen schildern sechs Module der Behandlung. Dazu gehört zunächst die Aufklärung über die Schmerzen und die Schmerzentstehung inklusive der affektiven und kognitiven Aspekte.
Dabei wird vermittelt, dass die Schmerzen prinzipiell durch Änderungen des Verhaltens, des Denkens und des Fühlens beeinflusst werden können. Zugleich sollen realistische Therapieziele erläutert werden, die sofortige und vollständige Schmerzbefreiung ist nicht erreichbar.
Ein zweites großes Therapiemodul besteht im Erlernen von Schmerzbewältigungsstrategien. Dazu gehört körperliche Aktivität mit Verminderung der Angst vor Bewegung, die Körperaufmerksamkeit soll reduziert werden.
Hinzu kommen sprachliche Ablenkungstechniken und imaginative Verfahren, etwa die Vorstellung innerer Helfer oder von "Schmerzkämpfern", die der Vorstellungswelt eines Kindes entsprechen und seine Emotionsregulation beeinflussen. Katastrophierende Gedanken und die angstbesetzte Wahrnehmung von Körpersignalen sollen zurückgedrängt werden.
Eltern sollten Schmerzbewältigung unterstützen
Gegebenenfalls bestehende psychische Probleme wie Angststörungen und Depressionen müssen natürlich ebenso adressiert werden. Weiterhin sei es wichtig, die Funktionalität der Schmerzen im Familiensystem zu erkennen und diese zu reduzieren, so die Autoren.
Die Eltern müssten trainieren, die eigene Befindlichkeit von der des Kindes zu entkoppeln, dann könne die autonome aktive Bewältigung der Schmerzen durch das Kind unterstützt werden. Auch wird versucht, familiäre Konflikte zu lösen. Optionale Module sind die medikamentöse und Physiotherapie, Kunst- oder Musiktherapie.
Schließlich gilt es, Rezidiven vorzubeugen, etwa mit einer ambulanten psychotherapeutischen Betreuung sowie der Vorbereitung auf schwierige Situationen mit potenzieller Schmerzverstärkung.
Nach Erfahrungen am Deutschen Kinderschmerzzentrum kann mit einer dreiwöchigen stationären Schmerztherapie innerhalb von drei Monaten mit signifikanten Verbesserungen der Schmerzintensität und schmerzbezogenen Beeinträchtigungen der Lebensqualität gerechnet werden.
Die Spezialisten unterstreichen, dass im Zusammenhang mit chronischen Schmerzen bei Kindern invasive Eingriffe, Dauermedikationen, Sportbefreiungen und Heimbeschulungen überdacht werden müssen.