INTERVIEW

Bei Rheuma nicht nur Gelenke, auch HWS ansehen!

Bei rheumatoider Arthritis (RA) nimmt oft auch die obere Halswirbelsäule Schaden. Knapp 17 Prozent der RA-Patienten könnten eine solche HWS-Beteiligung haben, haben jetzt Kollegen in Oldenburg und Dresden festgestellt. Deshalb sollte, um Komplikationen zu verhindern, bei jedem RA-Patienten immer auch die obere HWS geröntgt werden, fordert Dr. Michael Schwarz-Eywill vom Evangelischen Krankenhaus Oldenburg, der Leiter der Studie. Eine solche Untersuchung werde aber noch nicht konsequent veranlaßt, so der Rheumatologe im Gespräch mit Marlinde Lehmann von der "Ärzte Zeitung".

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Ärzte Zeitung: Ihre Studie hat nicht nur ergeben, daß jeder sechste RA-Patient auch Schäden an der oberen HWS hat und jeder zwanzigste eine Rückenmarkskompression. Sondern sie lehrt uns auch: Grob jeder hundertste RA-Patient stirbt an den Folgen einer solchen Myelonkompression...

Dr. Michael Schwarz-Eywill: ... so ist das natürlich eine sehr pointierte Aussage!

Korrekterweise müssen wir hier nämlich berücksichtigen: Unsere Studie ist nur eine der Forschungsarbeiten zum Thema HWS-Beteiligung bei RA, und viel ist zu diesem Thema noch nicht bekannt. Somit ist es äußerst problematisch, gerade die Sterberate bei RA als Folge einer HWS-Beteiligung aus unserer Studie für eine allgemeingültige, generelle Aussage hochzurechnen.

In Veröffentlichungen der 60er und 70er Jahre wurde übrigens wiederholt angemerkt, daß HWS-Beteiligungen bei RA doch gar kein so großes Problem seien. Denn die Patienten stürben an anderen Komplikationen, etwa an Infektionen oder infolge von RA-bedingten Gefäß- oder Lungenschäden. Vielleicht rückt das Problem der HWS-Beteiligung jetzt einfach deshalb mehr in den Vordergrund, weil man die anderen, häufigeren Komplikationen besser in den Griff gekriegt hat?

Ärzte Zeitung: Inwieweit stimmt denn die von Ihnen gefundene Rate einer HWS-Beteiligung bei RA von knapp 17 Prozent mit bisher dazu veröffentlichen Daten überein?

Schwarz-Eywill: Mit unseren 17 Prozent HWS-Beteiligung bei RA liegen wir im Durchschnitt, vielleicht eher an der unteren Grenze. Denn mit normalem Röntgen, mit dem wir primär unsere Patienten untersucht haben, können manche Veränderungen gerade im frühen Stadium nicht gut genug erfaßt werden. Kernspin-Untersuchungen sind da natürlich wesentlich besser.

Ärzte Zeitung: In Ihrer Studie haben Sie Klinik-Patienten untersucht? Ist dieses Studienklientel denn für das Gros der RA-Kranken repräsentativ in Bezug auf die Frage einer HWS-Beteiligung?

Schwarz-Eywill: Das läßt sich durch die bisher eher spärlichen Daten zur HWS-Beteiligung bei RA nicht sicher beantworten.

Von den von uns untersuchten 214 Patienten hatten relativ viele einen aggressiven Verlauf. Zwar gibt es schon Hinweise, daß bei aggressiveren Krankheitsverläufen HWS-Beteiligungen häufiger sind und früher auftreten als bei weniger aggressiven. Insgesamt gibt es aber noch viel zu wenig Daten, um zum Beispiel einen klaren Zusammenhang zwischen der in Scores erfaßten Krankheitsaktivität und der Wahrscheinlichkeit für eine HWS-Beteiligung definieren zu können.

Ärzte Zeitung: Warum geht’s bei der Wirbelsäulen-Beteiligung bei RA eigentlich immer um die HWS, nie um die Brust- oder die Lendenwirbelsäule?

Schwarz-Eywill: Das weiß niemand so recht, auch das ist quasi noch ein Geheimnis der Erkrankung, warum gerade Hände und Füße betroffen sind, relativ häufig vielleicht auch noch die Halswirbelsäule, andere Gelenke zwar auch, aber viel seltener und ohne Merkmale, die man als charakteristisch für die RA bezeichnen könnte. Charakteristisch für die Beteiligung der oberen HWS sind ja Entzündungszeichen, es bildet sich im Atlas/Axis-Bereich Granulationsgewebe, die ligamentären Strukturen lockern sich. Folge kann dann auch - wenn bis dahin kein chirurgischer Eingriff erfolgt - eine lebensbedrohliche Myelonkompression sein.

Zu einer HWS-Beteiligung kann es dabei relativ rasch kommen. Bei einer von uns untersuchten Patientin betrug die Krankheitsdauer bis zur Diagnose der HWS-Beteiligung nur sechs Monate.

Ärzte Zeitung: Welche Konsequenz hat denn das alles für den Praxisalltag?

Schwarz-Eywill: Auf Basis der bisherigen Erkenntnisse können wir eigentlich nur sagen: Bei jedem Patienten mit RA sollte auch die HWS untersucht werden, zunächst mit Röntgen, und zwar mit normalen Aufnahmen und mit Funktionsaufnahmen, und dann, wenn es Auffälligkeiten gibt, mit dem Kernspin. Wann das im Krankheitsverlauf geschehen sollte und wann Kontrolluntersuchungen indiziert sind, dazu kann man heute noch keine gesicherten Empfehlungen machen. Klar ist nur: Gibt es eine HWS-Beteiligung, sollte früh schon der Rat eines HWS-Chirurgen eingeholt werden, um dann anhand des weiteren Verlaufs den besten Zeitpunkt für einen eventuellen chirurgischen Eingriff abzustimmen.

Und hausärztlich tätige Kollegen sollten Schulter-Nacken-Schmerzen nicht vorschnell als muskuläre Verspannungen abtun, und bei entsprechenden akuten Beschwerden des Patienten eine HWS-Diagnostik veranlassen beziehungsweise neu veranlassen.

Ärzte Zeitung: Gibt es denn schon Erfahrungen oder Studienergebnisse zum Thema Biologicals bei Rheumatoider Arthritis mit Beteiligung der oberen Halswirbelsäule?

Schwarz-Eywill: Nein. Auch hier stehen wir mit unseren Forschung noch ganz am Anfang. Derzeit ist noch völlig unklar, ob und inwieweit eine medikamentöse Behandlung die HWS-Beteiligung verhindern, verzögern, stoppen oder vielleicht auch rückgängig machen kann. Natürlich ruhen auch hier große Hoffnungen auf den Biologicals, und man wird sehen, welchen Nutzen frühe Diagnostik und früh gestartete Therapie bringen.

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